Immunseneszenz und Impfungen im Alter

Altersassoziierte Veränderungen des Immunsystems

Eine Reihe von Infektionskrankheiten tritt bei älteren Menschen häufiger auf und ist mit erhöhter Morbidität und Mortalität assoziiert. Als Beispiele sind Herpes Zoster, Influenza, Pneumonien sowie Infekte der Haut und der Harnwege zu nennen. Die Gründe für die erhöhte Inzidenz von Infektionen im Alter sind vielfältig. Anatomische Veränderungen der Haut, Schleimhaut und der Harnwege sowie reduzierte Motilität des Darms und mukozilliäre Clearance tragen dazu ebenso bei wie expositionelle Risikofaktoren (häufigere Hospitalisierung, invasive Eingriffe, Katheter) und Komorbiditäten. Ein weiterer Aspekt, der die Anfälligkeit für Infektionen im Alter erhöht, sind altersassoziierte Veränderungen des Immunsystems, die als Immunseneszenz bezeichnet werden (Abb.). Die Funktionalität der NK-Zellen[1], die für die Eliminierung infizierter Körperzellen zuständig sind, nimmt ab, und auch die Zytokinproduktion[2] verändert sich. Die Phagozytose[3] und die antimikrobielle Funktion[4] von Neutrophilen und Monozyten/Makrophagen sind gestört. Phagozytierende Zellen haben neben der direkten Eliminierung von Erregern auch die Aufgabe, Antigene anT-Zellen zu präsentieren und so die adaptive Immunantwort zu induzieren. Auch diese Funktion ist in Monozyten/Makrophagen sowie in dendritischen Zellen im Alter reduziert[5]. Aufgrund der funktionellen Defizite der angeborenen Immunantwort ist die Eliminierung von Pathogenen verzögert, was zu einer vermehrten Zytokinproduktion führt[6]. Subklinisch erhöhte Zytokinspiegel bei älteren Menschen werden als „Inflamm-aging“ bezeichnet.

 

 

Schon mit Beginn der Pubertät wird funktionelles Thymus-Gewebe nach und nach durch Fett ersetzt. In der Folge werden immer weniger neue naive T-Zellen gebildet, wodurch deren Zahl im Blut und in lymphoiden Organen im Alter stetig abnimmt[7]. Gleichzeitig nimmt die Zahl von hochdifferenzierten Effektor-T-Zellen mit einem sehr eingeschränkten T-Zell-Repertoire, das durch einzelne expandierte Klone dominiert wird, zu[8]. Seneszente CD4+-T-Helfer-Zellen sind in ihrer Kapazität, B-Zellen zu stimulieren und dadurch die Produktion von Antikörpern zu induzieren, eingeschränkt [9]. Effektor-T-Zellen produzieren weniger Interleukin-2 und stattdessen mehr proinflammatorische Zytokine (IFN-γ, TNF-α), wodurch das oben beschriebene Phänomen des „Inflammaging“ noch weiter verstärkt wird.
Im Tiermodell wurde gezeigt, dass auch die Zahl der naiven B-Zellen abnimmt, während sich B-Zellen, die bereits Antigenkontakt hatten, ansammeln. Im Menschen werden altersassoziierte Veränderungen der B-Zellen derzeit kontrovers diskutiert. Es wurde jedoch gezeigt, dass die Diversität des B-Zell-Repertoires im Alter und im Speziellen bei gebrechlichen älteren Menschen eingeschränkt ist. Hochaffine Antikörper werden in der Regel nach somatischer Rekombination und „Isotype-switch“ gebildet. Bei beiden Prozessen kommt es im Alter zu Defiziten, die für eine schwächere und weniger affine Antikörper-Antwort bei älteren Menschen verantwortlich sind [10].

Impfungen im Alter

Die effektivste Maßnahme, um Infektionskrankheiten zu verhindern, ist die Impfung. Die Zahl der für Kinder verfügbaren und empfohlenen Impfungen steigt ständig, und der immense Nutzen dieser Impfungen ist unbestritten. Auch für Erwachsene und speziell für ältere Personen sind einige Impfungen im Impfplan vorgesehen (Tab.). Für die Impfungen gegen Tetanus/Diphtherie/Pertussis/Polio und gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sollen die Abstände zwischen den Auffrischungsimpfungen für Personen über 60 Jahren verkürzt werden. Die jährliche Influenzaimpfung wird für alle Erwachsenen und speziell für Senioren empfohlen. Eine einmalige Impfung gegen Herpes Zoster ist ab dem 50. Lebensjahr vorgesehen. Die Impfung gegen Streptococcus pneumoniae erfolgte in der Vergangenheit bei Kindern mit einem 7-, 10- oder 13-valenten Konjugatimpfstoff, bei Erwachsenen mit einem 23-valenten Polysaccharid-Impfstoff. Seit 2011 ist der 13-valente Konjugat-Impfstoff auch für Erwachsene über 50 Jahren, seit 2013 für alle Erwachsenen zugelassen. Die klinische Wirksamkeit dieser Impfung gegen ambulant erworbene Pneumonien wurde in einer kürzlich publizierten Studie nachgewiesen. Eine einmalige Impfung mit dem Konjugat-Impfstoff wird für Personen über 50 Jahre empfohlen. Die österreichische Empfehlung beinhaltet außerdem eine weitere Impfung mit dem Polysaccharid-Impfstoff ein Jahr später.

 

 

Trotz dieser expliziten Impfempfehlungen für Senioren ist die Durchimpfungsrate in Österreich für viele Impfungen erschreckend niedrig. Nur ca. 40–50% der über 60-Jährigen sind gegen Influenza geimpft. In einer an unserem Institut durchgeführten Studie hatten 10 bzw. 65% der Teilnehmer über 60 Jahren keine schützenden Antikörper-Titer gegen Tetanus bzw. Diphtherie. Diese Erkrankungen sind für Senioren nach wie vor relevant. In Europa gibt es ca. 100 Fälle von Tetanus pro Jahr, die Mehrzahl davon bei älteren Personen. Die Impfung gegen Pertussis wurde in der Vergangenheit bei Erwachsenen oftmals nicht aufgefrischt. In der aktuellen Impfempfehlung wird eine regelmäßige Auffrischung mit einem Kombinationsimpfstoff Tetanus/Diphtherie/Pertussis/Polio empfohlen. Ein großer Prozentsatz der Pertussis-Erkrankungen (für Australien z.B. über 70% im Zeitraum 2004/2005) betrifft Erwachsene, und speziell ältere Personen haben ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (28,6% bei hospitalisierten Patienten über 50 Jahren vs. 1,4% bei jüngeren Patienten).
Die meisten Impfungen sind bei älteren Personen weniger effektiv als bei jungen Erwachsenen. Nach fast allen Impfungen sind die Antikörper-Titer bei älteren Personen niedriger als bei jungen Erwachsenen, wie wir für Tetanus, Diphtherie und FSME zeigen konnten. Die geschätzte Wirksamkeit von Impfungen gegen Influenza liegt bei Personen zwischen 65 und 74 Jahren bei 40–60%, bei Personen über 75 Jahren sogar nur bei 30–45%. Die Effektivität der Impfung gegen Herpes Zoster wurde in einer großen Studie mit mehr als 38.000 Teilnehmern über 60 Jahren nachgewiesen. Allerdings wurde auch bei dieser Studie beobachtet, dass die Wirksamkeit der Impfung bei Personen zwischen 60 und 70 Jahren höher war als bei Personen über 70 Jahre (Reduktion der Herpes-Zoster-Fälle um 65,5 bzw. 55,4%). Ähnliche Ergebnisse wurden auch für die Polysaccharid-Impfung gegen Pneumokokken berichtet. Wir konnten kürzlich zeigen, dass für den Antikörper-Anstieg nach Tetanus- und in noch größerem Maße Diphtherie-Auffrischungsimpfungen bei Senioren Parameter des biologischen und immunologischen Alters weniger relevant sind als vielmehr adäquate Impfungen in jüngeren Jahren. Regelmäßige Impfungen während des gesamten Erwachsenenlebens scheinen also entscheidend zu sein, um auch in hohem Alter noch ausreichende Memory-Antworten nach Auffrischungsimpfungen zu ermöglichen.
Impfungen für Senioren werden aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Speziell die Verbesserung der Influenza-Impfung wurde in den letzten Jahren angestrebt, was zur Zulassung von Hochdosis-Impfstoffen(60 µg Hämagglutinin pro Virusstamm statt 15 µg), intradermal verabreichten Impfstoffen und adjuvantierten Impfstoffen (MF59; Öl-in-Wasser-Emulsion) geführt hat. Diese Impfstoffe induzieren in älteren Personen höhere Antikörper-Titer als konventionelle Influenza-Impfstoffe, und auch eine etwas höhere klinische Wirksamkeit konnte in Studien nachgewiesen werden. Die Virusstämme, die weltweit zirkulieren, verändern sich ständig. Aus diesem Grund werden – basierend auf Surveillance-Programmen – die im saisonalen Influenza-Impfstoff enthaltenen Virusstämme jedes Jahr von der WHO festgelegt, und die Impfung wird jährlich mit dem aktuellen Impfstoff wiederholt. Von Interesse ist deshalb auch immer die Wirksamkeit einer Impfung gegen Virusstämme, die nicht exakt dem Impfstamm entsprechen. Mehrere Studien zeigen, dass diese Kreuzreaktivität nach einer Impfung mit dem MF59-adjuvantierten Impfstoff stärker ausgeprägt ist. Andere Adjuvanzien, darunter weitere Öl-in-Wasser-Emulsionen und verschiedene Toll-like-Rezeptor-Agonisten, sind in der klinischen Entwicklung und werden hoffentlich in Zukunft den Impfschutz für Senioren weiter verbessern.
Speziell für ältere Personen sind Impfstoffe gegen Pathogene, für die noch keine Impfungen zur Verfügung stehen, von großer Bedeutung, wie z.B. gegen das Respiratory Syncytial Virus (RSV), das bei älteren und gebrechlichen Personen schwere Erkrankungen auslösen kann. Jährlich sterben in den Vereinigten Staaten ca. 11.000–17.000 Erwachsene aufgrund von RSV-Infektionen. Auch Impfungen gegen nosokomiale bakterielle Erreger wie z.B. Staphylococcus aureus oder Clostridium difficile könnten gerade bei älteren Menschen schwere Erkrankungen verhindern.

Fazit

Mit zunehmendem Alter nimmt die Funktionalität des Immunsystems ab, was zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen und zu verringerter Immunogenität und Wirksamkeit von Impfungen führt. Trotzdem und gerade deswegen sind Impfungen für Senioren wichtig und notwendig. Für viele ist Impfen immer noch „reine Kindersache“. Um optimalen Schutz für alle zu erreichen, darf Impfen jedoch nicht nur eine Angelegenheit für Pädiater – und in den letzten Jahren zunehmend auch für Geriater – sein. Regelmäßige Kontrollen des Impfstatus bei Arztbesuchen und bei Bedarf die Verabreichung der entsprechenden Impfungen sollten für alle Erwachsenen selbstverständlich sein. Grundvoraussetzung für adäquaten Impfschutz ist auch eine vollständige Dokumentation im Impfpass. Neben dem optimalen Einsatz verfügbarer Impfstoffe bei Erwachsenen und Senioren hat die Entwicklung neuer Impfstoffe für diese Altersgruppen höchste Prioriät.