INITIATIVE BLUTGEFÄSSE VERSTEHEN: Karzinompatienten und ihr Risiko für eine VTE

Die venöse Thromboembolie (VTE) – bestehend aus der tiefen Beinvenenthrombose (TVT) und ihrer möglichen Komplikation, der Lungenembolie (PAE) – ist bei Tumorpatienten häufig. Man weiß, dass etwa ein Fünftel aller VTE-Ereignisse bei Tumorpatienten auftreten. Bis zu 20% aller Tumorpatienten erleiden bis zu ihrem Tod zumindest eine VTE. In Autopsieuntersuchungen konnten sogar bei etwa der Hälfte aller Tumorpatienten VTE-Ereignisse nachgewiesen werden.
Aber gerade die Therapie der VTE, die Antikoagulation, gestaltet sich bei Tumorpatienten besonders schwierig. In wissenschaftlichen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass das Risiko für eine neuerliche VTE nach einem Einmalereignis bei Tumorpatienten vierfach erhöht ist. Es zeigte sich aber auch, dass die entsprechende antikoagulatorische Therapie bei diesen Patienten mit einem verdoppelten Blutungsrisiko einhergeht.

Risikofaktoren für eine paraneoplastische VTE

Für das deutlich erhöhte VTE-Risiko bei Tumorpatienten gibt es viele Ursachen. Es gibt patientenspezifische Ursachen wie das Alter (ältere Patienten haben ein erhöhtes VTE-Risiko) und ethnische Hintergründe. So haben afroamerikanische Patienten ein erhöhtes Risiko für paraneoplastische VTE, Asiaten scheinen ein geringeres Risiko zu haben. Ein entscheidender Faktor ist auch der Ort des Tumors. Karzinome des Gastrointestinaltraktes (vor allem Pankreaskarzinome), aber auch Karzinome des Urogenitaltraktes sind besonders thromboseförderlich. Auch therapieassoziierte Faktoren wie operative Eingriffe, manche Polychemotherapien oder auch Hormontherapien sind hier zu erwähnen.

Perioperative Thromboseprophylaxe ist sehr wichtig!

Ein besonders thromboseförderlicher Faktor bei Tumorpatienten ist ein chirurgischer Eingriff. Eine postoperative VTE ist bei chirurgischen Tumorpatienten ca. dreimal häufiger als bei chirurgischen Patienten ohne Tumor. Eine massive, tödliche postoperative VTE tritt bei Tumoroperationen viermal häufiger auf als bei Operationen ähnlichen Ausmaßes bei nichtonkologischen Patienten.
Es herrscht daher in allen Fachgesellschaften Einigkeit zur Thromboseprophylaxe bei chirurgischen Tumorpatienten. Diese sollte mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) erfolgen. Die Prophylaxe sollte vor, oder unmittelbar nach der Operation beginnen und für zumindest sieben bis zehn Tage fortgesetzt werden. Bei adipösen Patienten, bei Patienten nach größeren abdominellen Operationen oder Operationen im Beckenbereich oder bei solchen Patienten mit einer positiven VTE-Eigenanamnese, Alter von 60 Jahren oder älter, verlängerter postoperativer Immobilisation oder OP-Dauer über zwei Stunden sollte diese Thromboseprophylaxe mit NMH für insgesamt vier Wochen postoperativ fortgesetzt werden.
Mechanische Thromboseprophylaxe-Maßnahmen (Kompressionsstrümpfe) sollten zusätzlich zu den pharmakologischen verwendet werden.

Therapie der VTE beim Tumorpatienten

Wird nun bei einem Tumorpatienten eine VTE diagnostiziert, so ist weiterführend eine Antikoagulation indiziert. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit einer Tumorerkrankung besonders von einer Therapie mit einem NMH-Präparat profitieren. Die Therapie mit einem oral verabreichten Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zeigt oft weniger Wirkung als beim nichtonkologischen Patienten. Die oft unklare Resorption der oral verabreichten Substanz, gerade angesichts der oft emetisch wirkenden onkologischen Therapie, scheint hier eine zentrale Rolle zu spielen.
Die subkutan applizierten NMH-Präparate haben hier eine besser vorhersehbare Pharmakokinetik und sind Mittel der ersten Wahl in der Therapie der paraneoplastischen VTE. Die Dosierung sollte – so keine Kontraindikation dafür besteht – für vier Wochen in therapeutischer Dosierung (zweimal täglich körpergewichtsadaptiert) erfolgen. Danach sollten 75% der verabreichten Gesamtdosis als Einmalgabe für weitere zwei Monate gegeben werden.
Die Dauer der NMH-Therapie sollte nach einer VTE zumindest drei Monate betragen. Besteht nach diesen drei Monaten nach wie vor ein thromboseförderlicher Zustand (aktive maligne Grunderkrankung, laufende Therapie für die onkologische Erkrankung etc.), so ist diese NMH-Therapie auch für die Dauer dieses thromboseförderlichen Zustandes fortzuführen. Eine Adaption der NMH-Dosis (Dosisreduktion) an eine geänderte Nierenfunktion und geänderte Blutplättchenzahl ist aber jedenfalls während der gesamten Therapie-dauer indiziert.

Aktuelle Studien: Thromboseprophylaxe beim onkologischen Patienten

Auch im Bereich der NMH-Präparate gibt es Weiterentwicklungen. Vor wenigen Wochen wurde die SAVE-ONCO-Studie mit Semuloparin, einem Ultra-NMH, publiziert. Semuloparin ist eine halbsynthetische Substanz mit einer hohen Anti-Xa-Aktivität. In der SAVE-ONCO-Studie wurde diese Substanz in einer Dosis von 20 mg einmal täglich s.c. bei Patienten mit einem soliden Tumor und Start einer Polychemotherapie zur Thromboseprophylaxe gegeben und doppelblind gegen eine Gruppe mit Placebo verglichen. Die Substanz konnte das Auftreten einer VTE signifikant reduzieren (1,2% vs. 3,4%), große Blutungsereignisse traten in der Therapiegruppe nicht signifikant häufiger auf (1,2% vs. 1,1%).

Zusammenfassung

Tumorpatienten haben ein sehr hohes Thromboserisiko. In Abhängigkeit von Alter und Tumorort kann dieses Risiko bei manchen Patienten noch einmal deutlich zunehmen. Thromboseprophylaxe mit einem NMH-Präparat ist derzeit bei chirurgischen Tumorpatienten unumgänglich und sollte bei einem Großteil der Patienten (genaue Definition oben ausgeführt) über vier Wochen postoperativ fortgesetzt werden. Auch die Therapie einer paraneoplastischen VTE sollte bevorzugt mit einem NMH-Präparat erfolgen, da im Gegensatz zur VKA-Therapie bei der NMH-Therapie die Pharmakokinetik beim Tumorpatienten klarer nachvollziehbar ist. Auch im Bereich der NMH-Präparate gibt es neue Entwicklungen. In der Onkologie gibt es nun erstmals zur VTE-Prophylaxe Daten mit einem Ultra-NMH-Präparat. Ergebnisse aus der Praxis mit diesem neuen Präparat liegen vorerst noch nicht vor.