INITIATIVE STOP SCHMERZ! Neues aus der Schmerzmedizin

„Wir konnten in einer aktuellen Studie zeigen, dass Gruppenhypnose zusätzlich zur medikamentösen Standardbehandlung eine hocheffiziente Therapie beim Reizdarmsyndrom ist“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Gabriele Moser, Leiterin der Spezialambulanz für gastroenterologische Psychosomatik, AKH Wien anlässlich der 12. Österreichischen Schmerzwochen. „Die Darmsymptome nahmen in der Hypnosegruppe im Vergleich zur Gruppe, die nur Standardmedikation erhielt, deutlich ab, ebenso Ängstlichkeit, Depression und psychische Beeinträchtigungen. Das ist ein für die künftige Behandlungspraxis sehr wichtiges Ergebnis, denn hypnotherapeutische Einzelsitzungen sind relativ teuer und daher für den klinischen Alltag wenig praktikabel.“
Funktionelle Beschwerden des Verdauungsapparates wie das Reizdarmsyndrom (RDS), die sehr schmerzhaft sein können, stellen in der Gastroenterologie eine der häufigsten Diagnosegruppen dar und sind unter den häufigsten Erkrankungen in den ärztlichen Ordinationen. Allein das RDS betrifft je nach Studie zwischen 10 und 20% der Bevölkerung, in westlichen Ländern in einem Verhältnis von 2:1 überwiegend Frauen. Aber nur 20–50% der Betroffenen nehmen ärztliche Hilfe in Anspruch.
„Die Therapie bedarf einerseits einer symptomorientierten, medikamentösen Behandlung“, so Moser. Andererseits sollte Betroffenen eine psychotherapeutische Betreuung angeboten werden, insbesondere wenn bisherige medikamentöse Behandlungen wenig Erfolg zeigten.“ Für viele erweist es sich auch als hilfreich, in einer Selbsthilfegruppe (www.reizdarm-selbsthilfe.at) Unterstützung zu suchen. „Insbesondere eine therapeutische Hypnosetechnik, die speziell auf den Bauch zielt, kann über Jahre die Beschwerden und Arztbesuche vermindern und die Lebensqualität steigern“, so Moser. „Zahlreiche Studien haben für Einzelhypnose bereits nachgewiesen, dass sie eine der erfolgreichsten Methoden zur Behandlung von funktionellen Störungen des Magen-Darm-Traktes ist.“
Reizdarm-Patienten leiden unter Bauchschmerzen, Bauchkrämpfen, extremen Durchfällen oder krankhaften Verstopfungen. Dazu kommen häufig andere Beschwerden wie Sodbrennen, Fibromyalgie, Kopf- oder Rückenschmerzen und urogenitale Beschwerden.
„Zudem ist ein Reizdarmsyndrom oftmals auch bei Patienten mit anderen gastrointestinalen Erkrankungen zu finden, und zwar häufiger als bei der gesunden Normalbevölkerung“, berichtete Moser. „Darüber hinaus weisen Menschen mit RDS in rund 60% der Fälle psychische Störungen auf. Viele Betroffenen haben allein schon durch die langandauernden unklaren Beschwerden Symptome einer psychischen Störung wie Depression oder Angst.“

Neuromodulation: Starke Wirkung gegen chronische Beckenbodenschmerzen

Ein Schmerzschrittmacher („Sakrale Neuromodulation“, SNM) ist gut wirksam gegen chronischen Beckenbodenschmerzen, berichtet Dr. Reinhold Zimmermann, Univ.-Klinik für Urologie und Andrologie, LKH Salzburg. In einer neuen Studie wurde 27 Patienten mit chronischen Beckenbodenschmerzen, von denen bereits bei jedem Zweiten (53%) Voroperationen im kleinen Becken vorgenommen worden waren, ein Schmerzschrittmacher eingesetzt (Martellucci J et al., Int J Colorectal Dis (2012) 27:921–926).
Durch die Schrittmacher-Implantation konnte der Schmerz um fast 80% gesenkt werden. Während die Patienten vor der Schrittmacher-Implantation im Schnitt an Schmerzen der Stufe 8,1 (Visuelle Analogskala; 0 = kein Schmerz, 10 = größter vorstellbarer Schmerz) litten, waren es nach sechs Monaten nur noch Schmerzen der Stufe 2,1 und nach 60 Monaten Schmerzen der Stufe 1,9.
Bei der SNM wird Patienten ein Schmerzschrittmacher eingesetzt, der über Elektroden elektrische Impulse direkt an den betroffenen Nerv abgibt. Die Schmerzen werden durch ein Kribbelgefühl überlagert. Sie wurde bisher vor allem bei Patienten mit Funktionsstörungen von Blase und Enddarm mit sehr gutem Erfolg eingesetzt, zuletzt zeigte sich, dass sie auch bei chronischen Schmerzen eine gute Wirkung zeigt. Das Verfahren kann nach der Implantation nicht-invasiv genau auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten abgestimmt werden.
„Diese Methode ist bei chronischen Schmerzen sehr gut anwendbar. Derzeit wird daran gearbeitet, über Schlüsselloch-chirurgische Eingriffe einzelne, für die Schmerzen verantwortliche Nerven zu identifizieren um mittels SNM dann den Schmerzreiz gezielt auszublenden“, so Zimmermann.

Löschung des Schmerzgedächtnisses durch Opioide nachgewiesen

„Über kurze Zeit gegebene hochdosierte Opioide können eine Form des Schmerzgedächtnisses löschen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Jürgen Sandkühler, Leiter des Zentrums für Hirnforschung, Medizinische Universität Wien. Bisher war von Opioiden lediglich bekannt, dass sie die Weiterleitung von Schmerzreizen im Rückenmark hemmen. „Opioide sind hoch wirksam, indem sie die Informationsübertragung der sensiblen Nervenfasern für Schmerz (Nozizeptoren) auf die nachgeschalteten Nervenzellen im Rückenmark unterdrücken“, führt der Forscher aus. Daher werden Opioide vor allem bei nozizeptiven – durch normale Schmerzreize ausgelösten – Schmerzen eingesetzt.
Sandkühler und sein Team hatten bereits zuvor in einer anderen Studie gezeigt, dass Schmerzreize an den Synapsen zwischen den sensiblen Nervenfasern und den Nervenzellen im Rückenmark, an denen Opiate die Reizweiterleitung hemmen, eine langanhaltende Schmerzverstärkung (Synaptische Langzeitpotenzierung) verursachen können. Dieser Mechanismus gilt als eine klinisch relevante Form der Schmerzverstärkung, z.B. bei degenerativen Veränderungen, Entzündungen, Verletzungen oder nach chirurgischen Eingriffen. In ihrer neuen, 2012 im Wissenschaftsjournal „Science“ publizierten Studie konnte Ass.-Prof. Dr. Ruth Drdla-Schutting aus der Arbeitsgruppe von Sandkühler nachweisen, dass die Gabe von hochdosierten Opioiden über einen Zeitraum von nur einer Stunde diesen Schmerzverstärker zumindest zeitweise wieder ausschalten kann (Drdla-Schutting R. et al.: Erasure of a spinal memory trace of pain by a brief, high-dose opioid administration, Science. 2012 Jan 13;335(6065):235-8.) „Das Opiat bewirkt dabei einerseits eine kurzfristige Hemmung der Schmerzübertragung, andererseits hat es eine langfristige Wirkung und kann die gesteigerte Signalübertragung wieder normalisieren“, erklärt Sandkühler.