Krebspatient:innen in der Primärversorgung

Mit der medikamentösen Tumortherapie geht eine Reihe von Nebenwirkungen einher, die in manchen Fällen auch in der Hausarztpraxis behandelt werden können. Was sind die häufigsten Toxizitäten, und was gilt es hier zu beachten?

Nausea und Emesis

Übelkeit und Erbrechen gehören zu den Nebenwirkungen mit den größten Auswirkungen auf das Wohlbefinden. Abhängig vom Grad der Emetogenität der medikamentösen Tumortherapie wird eine antiemetische Prophylaxe verabreicht, womit das Erbrechen auch bei einer hoch emetogenen Substanz bei etwa 80 % der Patient:innen verhindert werden kann. In der Prophylaxe werden 5-HT3-Rezeptorantagonisten, NK1-Rezeptorantagonisten und Kortikosteroide (Dexamethason) eingesetzt.1, 2

Bei anhaltenden Beschwerden trotz adäquater Antiemese sind ggf. auch andere Ursachen in Betracht zu ziehen bzw. auszuschließen (Obstruktionen, gastrointestinale Infektionen, andere Medikamente etc.). Bei nicht ausreichend kontrollierter Nausea und/oder Emesis trotz Prophylaxe stehen Neuroleptika bzw. andere Dopamin-Rezeptor-Antagonisten (Olanzapin [zeigte im Vergleich höchste Wirksamkeit, aber Off-Label Use], Haloperidol, Metoclopramid, Levomepromazin, Alizaprid), Benzodiazepine (Lorazepam, Alprazolam) und der H1-Blocker Dimenhydrinat als Rescue-Antiemese zur Verfügung.1,2

Diarrhö und Kolitis

Gastrointestinale Komplikationen kommen unter medikamentöser Tumortherapie häufig vor und sind für die Patient:innen oftmals belastend.1, 3 Neben den klassischen Zytostatika können auch zielgerichtete Therapeutika wie Antikörper oder Tyrosinkinase-Inhibitoren teils auch schwere Durchfälle verursachen.1 Bei Immun-Checkpoint-Inhibitoren treten der Durchfall oder die Kolitis oft um Wochen bzw. Monate verzögert auf.4
Mittel der Wahl bei unkomplizierten Diarrhöen (Grad 1/2 ohne Risikokonstellation) ist Loperamid. Das lokal im Darm wirksame Opioid hat sich als Standard bei der tumortherapieinduzierten Diarrhö etabliert und trägt zur Verlangsamung der Darmperistaltik und zu verminderter Sekretion bei.1 Die empfohlene Dosierung liegt bei initial 4 mg1, 3, gefolgt von 2 mg alle 2–4 Stunden1 bzw. nach jedem ungeformten Stuhl, bis max. 16 mg/Tag.3 Vor der Anwendung ist eine infektiöse Diarrhö auszuschließen.3 Laut der ESMO-Leitlinie für das Management von Toxizitäten unter Immuntherapie sollten ab Grad-2-Diarrhö oder -Kolitis Kortikosteroide eingesetzt werden.4 Bei schweren Diarrhöen ab Grad 3 (> 6 Durchfälle/Tag) oder bei Vorliegen von Risikofaktoren (Krämpfe, Fieber etc.) ist eine stationäre Aufnahme indiziert.1, 4

Hauttoxizität

Die tumortherapieinduzierte Hauttoxizität ist eine häufige Nebenwirkung und wird von vielen Patient:innen als entstellend und stigmatisierend empfunden, was oft zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führt. Unter EGFR-Inhibitoren kommt es sehr häufig zum akneiformen Exanthem bzw. Rash (Wirkstoffklassen-Effekt). Typisch sind Papeln und Pusteln im Gesicht, an der Kopfhaut und im oberen Brust- und Rückenbereich, auch Pruritus kann auftreten. Zur Prophylaxe sollen den Patient:innen entsprechende Verhaltensmaßnahmen (Vermeidung von Mikrotraumata [z. B. Nassrasur], keine direkte Sonneneinstrahlung bzw. Hautschutz durch lichtundurchlässige Kleidung, Basishautpflege mit harnstoffhaltigen Cremes) empfohlen werden. Bei Auftreten von akneiformen Exanthemen Grad 1 (leichte Hautreaktion, < 10% der Körperoberfläche [KOF] betroffen) sollten ein orales und ein topisches Antibiotikum sowie bei Grad 2 (moderate Hautreaktion, 10–30 % der KOF betroffen) zusätzlich ein topisches Steroid der Klasse 2–3 verabreicht werden.1 Ab Grad 3 (schwere Hautreaktion, >30 % der KOF betroffen) sollte eine dermatologische Mitbetreuung erfolgen.1. 4

Unter Checkpoint-Inhibitoren kommt es bei mehr als der Hälfte der Patient:innen zu Hauttoxizitäten. Am häufigsten sind unspezifische makulopapulöse Exantheme, die von Pruritus begleitet sein können; dieser kann aber auch als alleinige Manifestation einer Hauttoxizität auftreten. Grad 1 wird mit topischen Kortikosteroiden behandelt, während bei Grad 2 zusätzlich noch systemische Kortikosteroide zum Einsatz kommen. Bei Pruritus ist die Gabe oraler Antihistaminika indiziert. Obwohl die überwiegende Mehrzahl der Hauttoxizitäten mild bis moderat ausfällt, sollte der Schweregrad und damit die Notwendigkeit der Betreuung durch Spezialist:innen rasch bestimmt werden.4

Tumortherapieinduzierte Anämie

Sowohl die Krebserkrankung selbst als auch die Therapie können eine Anämie hervorrufen. Die Symptome sind vielfältig und reichen von Müdigkeit, Fatigue, Schwächegefühl, Kopfschmerzen und Schwindel über Belastungsdyspnoe bis hin zu Hypotonie und Synkopen. Typische klinische Zeichen sind eine Blässe der Haut, der Skleren und der Schleimhäute. Entsteht die Anämie langsam, adaptieren sich die Patient:innen häufig, sodass die Symptome ohne aktive Anamnese leicht übersehen werden können. Zur Therapie der tumortherapieinduzierten Anämie stehen abhängig vom Schweregrad erythropoesestimulierende Agenzien, Eisensubstitution und Bluttransfusionen zur Verfügung. Die Indikationsstellung zur Therapie ergibt sich aus den klinischen Beschwerden; ein erniedrigter Hb-Wert allein ist nicht ausreichend.1

Infektionsprävention durch Impfungen

Besondere Bedeutung in der Vermeidung von Infektionen kommt der Umgebungsprophylaxe zu, ein aufrechter Impfstatus aller Kontaktpersonen sowie des betreuenden Gesundheitspersonals ist unabdingbar.5, 6 Vor Beginn sowohl einer Chemo- als auch Immuntherapie sollte ein Immunstatus hinsichtlich Masern, Mumps, Röteln (MMR) und Varizellen (VZV) erhoben werden. Bei MMR-seronegativen Personen unter Immunsuppression darf die MMR-Lebendimpfung nicht gegeben werden, und eine entsprechende Substitution mit Immunglobulinen ist in Erwägung zu ziehen. Bei VZV-seronegativen immunsupprimierten Patient:innen kann unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abschätzung eine Impfung mit Shingrix erwogen werden (Off-Label).6

Die zytotoxischen Effekte der Chemotherapie betreffen vor allem sich schnell teilende Zellen, was alle Blutzellen, insbesondere jedoch die Leukozyten betrifft. Während einer Chemotherapie sowie mindestens 6 Monate danach sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert. Die Wirksamkeit von Totimpfstoffen kann eingeschränkt sein, diese können aber verabreicht werden (siehe Kasten). Zielgerichtete Therapien und Immuntherapien haben unterschiedlich ausgeprägte immunsuppressive Wirkungen, es hängt von der einzelnen Substanz ab. Beispielsweise kommt es bei Checkpoint-Inhibitoren zu keiner wesentlichen Immunsuppression, sondern eher zu hyperaktiven Reaktionen, weshalb hier bei gleichzeitiger Impfung an eine mögliche Überaktivierung des Immunsystems gedacht werden sollte. Unter Therapie mit CD20-Antikörpern wie Rituximab oder Ofatumumab ist kein sicheres Impfansprechen zu erwarten, da die für die Antikörperbildung notwendigen B-Zellen depletiert sind. Booster-Impfungen sollten frühestens 6 Monate nach Therapieende erfolgen, während mit Primovakzinierungen mindestens 1 Jahr gewartet werden sollte.5

Eine hochgradige Immunsuppression kann durch bestimmte Chemotherapeutika, eine kürzlich erfolgte Strahlentherapie (für mindestens 6 Wochen), die meisten Biologika sowie durch die Grunderkrankung selbst bedingt sein – insbesondere bei akuten hämatologischen Malignomen, chronisch lymphatischer Leukämie oder bei metastasierten soliden Tumoren. Hier ist die Verabreichung von Totimpfstoffen zwar möglich, der Impferfolg ist jedoch fraglich. Dieser kann mittels Titerbestimmung überprüft werden. Lebendimpfstoffe sind kontraindiziert, der Abstand zur letzten Therapie hängt von der eingesetzten Substanz ab. Die Therapie kann 4 Wochen nach Lebendimpfung fortgesetzt werden.5 Die Durchführung bzw. Beurteilung der Sinnhaftigkeit einzelner Impfungen sollte im Optimalfall zwischen impfenden Ärzt:innen und zuständigen Spezialist:innen abgestimmt werden. Die Kosten bei Impfungen unter Immunsuppression können als „vorgezogene Heilbehandlung“ definiert und bei der Sozialversicherung eingereicht werden.6