Mechanismen und Auswirkungen LDL-Cholesterin im Jahresverlauf

Der Zusammenhang zwischen der Menge an Low Density Lipoprotein (LDL) im Blut und kardiovaskulären Erkrankungen ist seit Langem Konsens und Grundlage entsprechender Leitlinien.1
Der Zusammenhang zwischen LDL-Cholesterin (LDL-C) und seinem zeitlichen Verlauf innerhalb eines Jahres wird ebenfalls seit Langem diskutiert, ist aber weit weniger klar etabliert. Schon aus den 1960er-Jahren stammen erste Beobachtungen, dass der im Serum gemessene Gesamtcholesterinwert im Herbst und Winter steigt und im Frühling und Sommer fällt.2 In späteren Untersuchungen wurde dieser zeitliche Verlauf unabhängig von Geschlecht und Körpergewicht beobachtet.3 Seit den ersten getrennten Analysen für High- (HDL-C) und Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL-C) deuten die meisten Ergebnisse darauf hin, dass der Wert für HDL-C in den Wintermonaten niedriger zu sein scheint als in der warmen Sommerzeit und für LDL-C im Sommer niedriger als im Winter.4, 5 Auch jüngere Studien bestätigen die Abhängigkeit des LDL-C-Wertes vom Zeitpunkt der Messung. Eine dänische Untersuchung zeigte, dass bei einer Messung im Dezember/Jänner das LDL-C um 20 % (p < 0,001) höher war als bei einer Messung im Mai/Juni. Dabei wurde auch ein Zusammenhang zu Weihnachten hergestellt, da die Odds Ratio für eine Hypercholesterinämie in der ersten Jänner-Woche, also direkt nach den Weihnachtsfeiertagen, im Vergleich zum Rest des Jahres bei 6,0 (95%-KI: 4,2–8,5) lag.6 Ein höherer LDL-C-Wert im Herbst/Winter gegenüber Frühling/Sommer wurde auch bei Patient:innen mit Typ-2-Diabetes mit und ohne Statin-Therapie nachgewiesen.7

Mögliche Ursachen für zeitliche LDL-C-Schwankungen

Stress: Während also eine gewisse jahreszeitliche Schwankung von LDL-C sicher scheint, sind die zugrunde liegenden Mechanismen noch weitgehend ungeklärt. Eine häufig genannte Erklärung – auch im Zusammenhang mit Weihnachten – ist Stress. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass mentaler Stress sowohl kurzfristig als auch über einen Zeitraum von 3 Jahren mit einer Erhöhung der Gesamt- und LDL-Cholesterin-Level im Blut einhergeht.8, 9

Die im Sommer und Winter unterschiedliche Lufttemperatur könnte ebenfalls einen Grund für die sich verändernden LDL-C-Werte darstellen. Auch nach Berücksichtigung anderer Risikofaktoren zeigte eine Studie einen Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und sinkenden LDL-C-Werten in den entsprechenden Monaten.10 Andere Untersuchungen bestätigen die Ergebnisse teilweise, bringen aber auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern sowie im Verhalten ins Spiel, also Sport und Ernährung in unterschiedlichen Jahreszeiten.11, 12

Die Sonne als Einflussgröße auf den Gesamtcholesterin- oder LDL-C-Wert wurde schon früh als Ursache für die Schwankungen im Jahresverlauf diskutiert. Eine höhere Sonnenexposition, beispielsweise durch Gartenarbeit im Sommer, könnte so zur Synthese von Vitamin D aus Squalen führen, während dieses bei zu geringer Sonneneinstrahlung zur Bildung von Cholesterin verwendet wird.13 Auch andere Untersuchungen zeigten eine Korrelation von niedrigem 25-Hydroxyvitamin D mit hohem LDL-Cholesterin.14, 15

Mehr Sport im Sommer und weniger Sport im Winter scheint keine direkten Auswirkungen auf die von der Jahreszeit abhängigen LDL-C-Werte zu haben.16 Dagegen könnten die im Sommer geringeren LDL-C-Werte darauf zurückgehen, dass eine erhöhte Umgebungstemperatur ebenso wie vermehrte körperliche Betätigung zu einer Hämodilution führen, wodurch die Höhe der Lipidwerte im Sommer unter- und im Winter überschätzt werden könnte.17 Eine weitere Studie konnte jedoch zeigen, dass auch das Verhältnis von LDL-Cholesterin zu Hämoglobin bzw. Hämatokrit in den Wintermonaten höher ist als im Sommer, die jahreszeitlichen LDL-C-Schwankungen also unabhängig von der Hämodilution auftreten.18

Ernährung und Körpergewicht: Während es mittlerweile als gesichert gilt, dass die individuellen Ernährungsgewohnheiten sich langfristig auf das Lipidprofil eines Menschen auswirken, ist der eher kurzfristige Einfluss auf die Lipidschwankungen im Verlauf eines Jahres umstritten. Es gibt Studien, die zeigen, dass die saisonalen Schwankungen der Lipidwerte unabhängig von Ernährung und Körpergewicht und z. B. auch bei Vegetariern mit einer über das Jahr konstanten Ernährung auftreten.3, 19 In anderen Studien geht der jährliche Anstieg an Gesamt- und LDL-Cholesterin sowie der Abfall von HDL-Cholesterin dagegen mit einer Gewichtszunahme sowie höherer Kalorienzufuhr und reduzierter körperlicher Aktivität einher.4, 7

Auswirkungen und Bedeutung für die Praxis

Die verschiedenen und teils widersprüchlichen mechanistischen Erklärungsversuche der saisonalen LDL-C-Schwankungen deuten auf einen multifaktoriellen Hintergrund hin. Diese Parameter können sich gegenseitig beeinflussen, verstärken oder maskieren, wodurch die Eingrenzung auf bestimmte Ursachen höchst komplex wird. Viel wichtiger als die Frage nach den Hintergründen ist in der klinischen Praxis allerdings die Frage nach den konkreten Auswirkungen. Für Patient:innen, deren Lipidwerte knapp an oder über den Grenzwerten zur Therapieinitiierung liegen, könnte eine Messung im Winter erstens dazu führen, dass bei diesen zu früh oder überhaupt unnötigerweise eine lipidsenkende Therapie begonnen wird. Für diese Gruppe sollte also das Risiko von Nebenwirkungen und Medikamententoxizität sorgfältig gegen die potenziellen Vorteile abgewogen werden. Umgekehrt könnte aber zweitens eine Messung im Sommer dazu führen, dass Patient:innen mit Lipidwerten knapp an oder unter den Grenzwerten eine bereits nötige Lipidsenkungstherapie ungerechtfertigterweise vorenthalten wird. Eine weitere Messung im Winter ist für diese Patient:innen also sehr empfehlenswert, damit es nicht zu Fehldiagnosen und somit Behandlungsverzögerungen kommt. Drittens könnte ein Therapiebeginn im Sommer mit Follow-up im Winter fälschlicherweise ein Therapieversagen suggerieren. Auch hier gilt es für die behandelnden Ärzt:innen die jahreszeitlichen Schwankungen im Hinterkopf zu behalten, um ein vorschnelles Abbrechen oder Umstellen einer an sich wirksamen Therapie zu vermeiden.20

Resümee

Jahrzehntelange Forschung zu den über das Jahr steigenden und fallenden LDL-C-Werten konnte noch keinen Konsens über die dahinterstehenden Mechanismen erbringen. Klar scheint jedoch, dass diese Schwankungen in der klinischen Praxis berücksichtigt werden müssen. Im Zweifel sind grenzwertige Lipidwerte erneut zu messen und entsprechend zu interpretieren.