5 von 100 Menschen in Österreich leben mit einer Krebsdiagnose.
Die Krebsprävalenz ist im Zeitraum 2014–2024 um 24 % angestiegen. Die Allgemeinmedizin nimmt daher eine immer wichtigere Rolle im onkologischen Versorgungspfad ein.
Wie hat sich die Bedeutung der Hausarztpraxis für die onkologische Versorgung in den letzten Jahren verändert? Was kann die Allgemeinmedizin leisten?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Ewald Wöll: In vielerlei Hinsicht hat die Bedeutung der Hausarztpraxis für die onkologische Versorgung in den letzten Jahren zugenommen: zum einen durch die Zunahme der oral zur Verfügung stehenden Therapien, wodurch ein Teil des Toxizitätsmanagements und der Weiterverschreibung über die hausärztliche Praxis erfolgt, zum anderen durch die zunehmende Komplexität der Behandlungspfade, bei denen Hausärzt:innen zum Teil auch eine koordinative Rolle übernehmen.
Durch die epidemiologischen Entwicklungen und durch die erfreuliche Zunahme der Lebenserwartung von Patient:innen mit Krebserkrankungen werden Hausärzt:innen in einigen Fällen auch in die strukturierte Nachsorge eingebunden. Dadurch leisten die Allgemeinmediziner:innen eine wertvolle Hilfe in der kontinuierlichen Betreuung unserer Patient:innen.
Wie wichtig sind Hausärzt:innen für die Früherkennung von Krebs – etwa beim Bewerten unspezifischer Symptome?
Ein wesentlicher Aspekt ist hier in der Motivation von Patient:innen zu sehen, die Früherkennung und Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Eine Erhöhung der Vorsorge- und Früherkennungsraten übersetzt sich direkt in ein besseres Outcome. Was die Bewertung von unspezifischen Symptomen betrifft, gilt es vor allem bei Persistenz von Symptomatik oder bei Verschlechterung trotz symptomatischer Therapie, Patient:innen einer weiteren Abklärung zuzuführen.
In der Nachsorge und in der Langzeitbetreuung von Patient:innen in Remission übernehmen Allgemeinmediziner:innen wichtige Aufgaben. Was funktioniert dabei gut, und wo braucht es mehr Unterstützung?
Abhängig von den zur Verfügung stehenden Ressourcen muss die Nachsorge unter Umständen in den niedergelassenen Bereich abgegeben werden. Hier ist es besonders wichtig, einen strukturierten Nachsorgeplan vorzulegen und Warnsignale zu adressieren, bei denen eine umgehende Zuweisung in die hämatoonkologische Spezialambulanz durchgeführt werden sollte. Möglicherweise helfen hier in Zukunft digitale Hilfsmittel, die zum Teil vorhandene Schnittstellenproblematik zu überwinden.
Wie wichtig ist die Rolle der Hausärzt:innen als koordinierende Schnittstelle zwischen verschiedenen Fachdisziplinen – auch zur Entlastung der Spitalsambulanzen?
Entscheidend ist, dass hier jede:r Krebspatient:in einen Case Manager hat, der genau diese koordinative Funktion übernimmt. Aufgrund der leichteren Zugangswege und der Präsenz in den jeweiligen Tumorboards wird diese Rolle jedoch meistens von Kliniker:innen übernommen. Hier sehe ich die Rolle der Hausärzt:innen eher im Bereich der Nachsorge bzw. bei Patient:innen mit Frühsymptomen in der Selektion und Zuweisung an die richtige Spezialambulanz, darüber hinaus natürlich aber auch in der Versorgung der Komorbiditäten. Gerade im ländlichen Raum sind Hausärzt:innen oft die einzige niederschwellige Anlaufstelle.
Welche Rolle spielt der niederschwellige Zugang zu Hausärzt:innen für die onkologische Versorgung in strukturschwachen Regionen?
Besonders bei langer Anreise bzw. großem geografischem Abstand zum Zentrum spielen die Hausärzt:innen natürlich eine noch prominentere Rolle. Aber auch hier ist stets wichtig, eine Anlaufstelle für niedergelassene Praktiker:innen für eine niederschwellige Kommunikation mit den jeweiligen Zentren vorzusehen.
Eine gute Kooperation zum Wohle unserer Patient:innen kann nur dann gelingen, wenn die Informationsflüsse in beide Richtungen durchlässig sind und bei Problemen eine zumindest telefonische Nachfrage im Zentrum möglich ist.
Wie gelingt der Informationsfluss zwischen onkologischer Fachversorgung und Hausarztpraxis, und wo sehen Sie konkrete Verbesserungspotenziale?
Aufgrund der zunehmenden Komplexität der onkologischen und hämatologischen Versorgung und der Vielzahl an Arzneimittelspezialitäten mit den jeweiligen unterschiedlichen Nebenwirkungsprofilen ist eine engmaschige und fallbasierte Kommunikation mit den niedergelassenen Kolleg:innen aus meiner Sicht enorm wichtig.
Fortbildungsveranstaltungen können hier einen ersten Schritt darstellen, aber bei der Betreuung von Patient:innen mit seltenen oder sehr seltenen Erkrankungssituationen und hochkomplexer Medikation ist es hier unumgänglich, die direkte Kommunikation zu suchen.
Das kann einerseits durch eine persönliche Patientenübergabe stattfinden, aber auch durch Begleitmaterial, das dem/der Ärzt:in beigelegt wird. In Zukunft werden hier E-Health-Tools sicherlich auch nützliche Anwendung finden.
Vielen Dank für das Gespräch!