Ressourcenknappheit und Risikotransfer zum Hausarzt

Hausarzt zu sein bedeutete schon immer die umfassende Beratung und Betreuung von Patienten unter Einbeziehung aller relevanten somatischen, psychischen, familiären und sozioökonomischen Faktoren in spezifisch allgemeinmedizinisch Problem-orientierter Weise. Die rasante Zunahme an diagnostischen, vor allem jedoch an therapeutischen Möglichkeiten, mit bis vor kurzem unvorstellbar subtilen „personalisierten“ Eingriffen in molekularbiologische Regelkreise – vor allem auf dem Gebiet der Onkologie, Rheumatologie oder neurologischer Erkrankungen wie der multiple Sklerose, macht es auch für den Allgemeinmediziner notwendig, sich sehr detailliert mit den oft spezifischen Wirkmechanismen, aber vor allem den ungewöhnlichen Nebenwirkungen beispielsweise der Biologicals oder diverser Zytostatika und Immunsupressoren auseinanderzusetzen. Daran führt kein Weg vorbei, denn ein Nichterkennen z.B. von atypischen schweren Infektionen und das Nichtwissen, dass solche auch ohne typische Symptome und ohne Erhöhung einfach zu messender Entzündungsparameter auftreten können, kann gefährliche Folgen haben. Die rasante Zunahme der Zahl hochpotenter Medikamente macht die Bemühungen die Anzahl von Mehrfachmedikationen gering zu halten häufig aussichtslos. Denn man muss bedenken, dass viele aus dieser Patientengruppe auch unter anderen Erkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Depression leiden. Regelmäßigen Aussendungen des Gesundheitsministeriums weisen auf neu aufgetretene, bisher unbekannte, meist schwere Nebenwirkungen der neuen Medikamente hin und zwingen uns zu einer noch genaueren Surveillance potentiell betroffener Patienten.
Neben der (oft mühsamen, genehmigungs- und dokumentationspflichtigen) Verschreibung hochpotenter Medikamente und Überwachung ihrer Wirksamkeit und Nebenwirkungen inklusive der relevanten Interaktionen, ist es in den letzten Jahren üblich geworden, die meisten Laboruntersuchungen bzw. Zuweisung zu radiologischen oder endoskopischen Verfahren in die Praxis des Hausarztes zu transferieren. Die zunehmende Ressourcenknappheit und Einsparziele der Spitäler zwingen dazu, ohne dass dieser zunehmenden Belastung unserer hausärztlichen Praxisorganisation bisher von gesundheitspolitischer Seite das nötige Augenmerk zuteil geworden oder gar eine Hilfestellung gegeben worden wäre.
Das präoperative Absetzen einer oralen Antikoagulation inklusive des Bridgings oder die Laborkontrollen bei einer Chemotherapie werden vertrauensvoll in die Hände des Hausarztes gelegt, der damit das Spital organisatorisch entlastet und die dortigen Kosten senkt. Plötzlich traut man uns auch die präoperativen Begutachtungen zu, wir sind jetzt tatsächlich auf Augenhöhe mit den Fachärzten und kompetente Partner im diagnostischen und therapeutischen Entscheidungsprozess. Die zunehmende Verknappung an Ressourcen und der enorme Druck zu sparen, waren dabei wohl die wichtigsten Helfer. Kognitive oder sprachliche Probleme mancher Patienten verlangen genaue und einfache Anweisungen, die oft mit den Angehörigen besprochen werden müssen und daher zeitintensiv sind.
Alles in allem empfinde ich die genannte Entwicklung trotzdem als positiv, da sie deutlich zeigt, dass es ohne uns Hausärzte nicht möglich sein wird, die zunehmend komplexer werdenden Aufgaben bei der Betreuung unserer chronisch Kranken zu bewältigen.
Ich erwarte mir daher von gesundheitspolitischer Seite nicht nur ein klares Anerkennen der Tatsache, dass Allgemeinärzte dabei eine Schlüsselposition innehaben, sondern vor allem Vorschläge zu finanziellen und organisatorischen Hilfestellungen für unsere Praxen, damit Multimorbidität, Polypharmazie und Ressourcenknappheit unsere engagiert ausgeübte allgemeinärztliche Tätigkeit nicht unkalkulierbar riskant machen.

 

Die Arbeit in der ÖGAM ist in den letzten Jahren vielfältig und umfangreich geworden.

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