„Rheumatherapie ist Teamwork“

Bei welchen Symptomen sollte der Allgemeinmediziner hellhörig werden und an Rheuma denken?

OÄ Dr.in Judith Sautner: Anhaltende Gelenkschwellungen ohne vorangegangenes Trauma sind ein klinisches Symptom, das an eine entzündliche Gelenk- oder Autoimmunerkrankung denken lässt und rheumatologisch abgeklärt werden sollte. Morgensteifigkeit über 30 Minuten kann ebenfalls ein Frühsymptom für eine entzündliche Gelenkerkrankung sein. Anhaltendes Fieber ohne Fokus oder Erregernachweis hat oft eine autoimmunologische Ursache. Ein Raynaud-Phänomen, auch Weißfingererkrankung genannt, sollte ebenfalls durch den oder die Rheumatolog*in mit Hilfe der Kapillarmikroskopie abgeklärt werden, ob die häufigere (und harmlose) primäre Form oder die mit Autoimmunerkrankungen, hauptsächlich Kollagenosen, assoziierte sekundäre Form vorliegt. Umfassende Müdigkeit und Erschöpfung, medizinisch „Fatigue“, kann viele Ursachen haben, unter anderem eine noch unerkannte zugrunde liegende entzündlich rheumatische Erkrankung. Sie sehen, die Liste von Symptomen, für die man Rheumatolog*innen braucht, ist lang.

Welche Begleiterkrankungen treten bei Rheumapatient*innen gehäuft auf?

OÄ Dr.in Judith Sautner: Das hängt von der rheumatologischen Grunderkrankung ab. Wir wissen heute, dass Patient*innen mit rheumatoider Arthritis ein erhöhtes kardiovaskuläres Risikopotenzial haben und diesbezüglich zu screenen und zu behandeln sind. Osteoporose findet man ebenfalls häufiger – aufgrund der Grundkrankheit, aber oft auch wegen des Einsatzes von Kortisonpräparaten. Die Psoriasisarthritis kann Gelenke, Sehnenansätze, Stammskelett, Haut, Kopfhaut und Nägel betreffen und ist mit diversen Begleiterkrankungen vergesellschaftet, wie z. B. chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Augenentzündungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus, Adipositas und psychische Erkrankungen wie Depression. Hier sind wir nicht nur als Rheumatolog*innen, sondern auch als Internist*innen gefragt.

Was raten Sie Rheumapatient*innen in der Pandemiezeit bzw. was sollten diese besonders beachten?

OÄ Dr.in Judith Sautner: Es herrscht in allen rheumatologischen Fachgesellschaften Einigkeit darüber, dass eine gut laufende Rheumatherapie nicht aus Angst vor einer COVID-19-Infektion pausiert, sondern weitergeführt werden sollte. Entzündung und unkontrollierte Aktivität der Grunderkrankung bergen das höchste Risiko für jegliche Infektion, so auch für COVID-19. Während der ersten Pandemie-Welle haben wir gelernt, dass einige rheumatologische Kontrollen durchaus auch telemedizinisch/virtuell durchgeführt werden können – natürlich nicht alles.
Die COVID-19-Impfung stellt eine wesentliche Säule in der Bekämpfung der Pandemie dar – deshalb empfehlen wir die Impfung allen Betroffenen; Zeitpunkt und Begleittherapie, wie zum Beispiel die Kortisondosis, sollten mit der betreuenden Rheumatologin/dem betreuenden Rheumatologen besprochen werden. Informationen dazu bieten wir auf unserer Website an.

Die Anzahl muskuloskelettaler Erkrankungen nimmt zu − wie sehen Sie die Förderung des rheumatologischen Nachwuchses in Österreich?

OÄ Dr.in Judith Sautner: Es ist leider Realität, dass wir in Österreich zu wenige Rheumatolog*innen haben – was zu Wartezeiten in Ordinationen und Ambulanzen sowie zur Verzögerung der Diagnostik und Therapie führt. Aus gezielten Erhebungen wissen wir auch, wie viele Rheumatolog*innen wir in Österreich bräuchten. Die ÖGR setzt bereits seit einigen Jahren ganz gezielt auf die Nachwuchsförderung und hat 2017 die sogenannte „ÖGR – Rheuma Summer School“ ins Leben gerufen, bei der Student*innen aus ganz Österreich und dem benachbarten Ausland wie Deutschland und Italien in einem dreitägigen Workshop mit der Rheumatologie vertraut gemacht werden – mit Vorträgen, praktischen Übungen, Patient*innenfällen etc. Wir sehen den Erfolg dieses Projektes in einer seit 2017 steigenden Anzahl junger Kolleg*innen, die sich für unser Fach entscheiden.
Außerdem kümmert sich die ÖGR, die nicht nur eine wissenschaftliche Fachgesellschaft, sondern auch eine berufsständische Vertretung ist, um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen niedergelassener Kolleg*innen und ist hier mit den Krankenkassen in permanentem Dialog.

Welche Projekte waren Ihrerseits Meilensteine in den vergangenen Jahren für Rheumapatient*innen?

OÄ Dr.in Judith Sautner: Da fällt mir ganz konkret das „Rheuma-Bus-Projekt“ 2018 ein, wo wir, die ÖRL und die ÖGR, mit Patient*innenvertreter*innen und Ärzt*innen, die sich unentgeltlich in den Dienst der Sache stellten, vier Tage lang durch Oberösterreich, Niederösterreich, das Burgenland und die Steiermark fuhren, um Betroffene im Bus rheumatologisch zu begutachten, Informationen zu geben, Kontakte herzustellen etc.
Gertraud Schaffer: Auch für mich war unser „Rheumabus on Tour“ in Kooperation mit dem damaligen Präsidenten der ÖGR, Dr. Rudolf Puchner, der sehr erfolgreich seine Kolleg*innen zur Teilnahme motivieren konnte, ein unvergessliches Projekt. Mit an Bord waren Psycholog*innen, Ergotherapeut*innen sowie ein Team von Selbsthilfegruppenleiter*innen.
Die Idee dahinter: Aufgrund mangelnder fachärztlicher Versorgungsmöglichkeiten durch spezialisierte Rheumatolog*innen in ländlichen Gegenden plagen sich Betroffene oft jahrelang mit vielen Schmerzen und einer unbehandelten Krankengeschichte. Im Zuge einer ärztlichen Kurzberatung wurden die Beschwerden von dem anwesenden Ärzt*innenteam erhoben, eine Verdachtsdiagnose wurde erstellt und bei Bedarf eine Weiterempfehlung ausgesprochen.
Eine wirksame Informationstour mit Öffentlichkeitsarbeit sowie Thematisierung zur Bewusstseinsbildung für Menschen mit Muskel-Skelett-Erkrankungen in unserer Gesellschaft!„Gut leben mit Rheuma“ war ein weiteres Gesundheitsprojekt in Bad Häring, das vom Land Tirol der Gemeinde Bad Häring und der EU unterstützt wurde. Neben Vorträgen über unterschiedliche Krankheitsbilder wurden auch verschiedene Workshops sowie eine Podiumsdiskussion anlässlich des Weltrheumatages angeboten. Sehr gerne denke ich auch an die „Gelenkig-fit-Tage“ in Maria Alm, ein viertägiges umfangreiches Programm mit medizinischen Vorträgen, viel Bewegung zum Mitmachen, ein Kinderprogramm und der so wichtige Austausch unter Betroffenen und Angehörigen. Die medizinischen Vorträge der Rheumatolog*innen und medizinischen Fachkräfte fanden großes Interesse.

Wo sind die Schnittpunkte, bzw. wie sieht die Zusammenarbeit zwischen der ÖGR und der Österreichischen Rheumaliga aus?

Gertraud Schaffer: Seit der Ausgliederung und Neugründung der Österreichischen Rheumaliga (ÖRL) als Verein im Jahr 1994 besteht eine sehr gute Zusammenarbeit mit der ÖGR. Schnittstelle ist nicht nur die Sektion „Patientenpartnerschaft“ (derzeitiger Leiter Herr PD Dr. Josef Hermann, MUG), sondern es besteht auch auf Ebene der Präsidentinnen und der Vorstandsmitglieder eine lebendige partnerschaftliche Kooperation. Dieses „Team Play“ wurde bei vielen gemeinsamen Projekten und Pressekonferenzen sichtbar.
Eine gute Kooperation mit der ÖGR im Zusammenspiel mit allen medizinischen Fachkräften, die ihr kompetentes medizinisches Fachwissen einbringen, und den Patient*innen, die ihrerseits ihre individuellen Erfahrungen mitbringen, ist erstrebenswert. Das Ergebnis einer erfolgreichen Teamarbeit in der Rheumatologie bedeutet einen guten Austausch zwischen Patient*innen und Ärzt*innen – für eine größere Lebensqualität der Patient*innen.
OÄ Dr.in Judith Sautner: Wir bemühen uns beiderseits um eine gute und lebendige Zusammenarbeit – und das ist die notwendige und optimale Grundlage für ein erfolgreiches Miteinander im Sinne der bestmöglichen Patient*innenversorgung.

Wie wichtig ist die Teamarbeit von Expert*innen und Patient*innen für eine gute Lebensqualität?

Gertraud Schaffer: Erfolgreiche Teamarbeit in der Rheumatologie bedeutet einen guten und regen Austausch zwischen den Patient*innen und Ärzt*innen. Dadurch entsteht eine größere Lebensqualität für Patient*innen. Rheumatherapie ist Teamwork. Chronisch krank zu sein bedeutet für die Betroffenen nicht nur, dass sie die Krankheit ein Leben lang begleitet, sondern auch, dass zur Bewältigung der Erkrankung verschiedene Ärzt*innen und ein medizinisches Behandlungsteam als Wegbegleiter erforderlich sind. Wenn Betroffene in die Therapieoptionen miteinbezogen werden, sind sie eher bereit, Eigenverantwortung zu übernehmen. Für die Patient*innen ist es sehr wichtig, wie ihre Chancen für die Zukunft im Schulbereich, Studium, Berufsleben, in der Partnerschaft oder auch in der Freizeitgestaltung mit der Erkrankung vereinbar sind. Wenn all diese Fragen gemeinsam im Team abgeklärt werden können, werden den Betroffenen Ängste und Unsicherheiten genommen, was auch von großer Bedeutung für die Therapietreue und den Krankheitsverlauf ist.

Welche Rolle spielt das Erstgespräch für den weiteren Verlauf?

Gertraud Schaffer: Besonders beim Erstbesuch ist der Verlauf eines Arzt-Patienten-Gespräches auf Augenhöhe sehr wichtig. Auch wenn der Faktor Zeit eine große Rolle spielt, muss es möglich sein, nachzufragen, wenn etwas unklar ist oder ein medizinischer Fachausdruck nicht verstanden wurde bzw. Ängste in Bezug auf Therapieempfehlung/Nebenwirkungen bestehen.
Hilfreich ist der Austausch mit Gleichgesinnten im Bereich einer Selbsthilfegruppe. Die Erfahrungen im Umgang mit der Erkrankung und das Gefühl, verstanden zu werden, geben Stütze und Halt. Die Selbsthilfe hat in Österreich noch immer nicht die Wertschätzung erhalten, die sie verdient. Sie bringt aber dem Gesundheitsbereich hervorragende Arbeiten ein, was gerade in der COVID-19-Pandemie ersichtlich wurde.

Welche Wünsche haben Sie an die Zukunft, damit die Versorgung von Rheumapatient*innen noch besser funktioniert?

Gertraud Schaffer: Ich wünsche mir, dass generell von Seiten der Ärzt*innenschaft sowie auf politischer Ebene die Selbsthilfe auf Augenhöhe wahrgenommen wird und breite Unterstützung findet.