Schmerzmanagement alter Patienten

In einer Erhebung im Bundesland Kärnten gaben 53,4% der Männer und 63,6% der Frauen über 65 Jahren an, unter Schmerzen zu leiden, die Hälfte sogar unter starken bis sehr starken Schmerzen. 84,2% von ihnen tun dies bereits seit Jahren.
Zu den wichtigsten Ursachen chronischer Schmerzen im Alter gehören degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates, Osteoporose, neuropathische Schmerzen wie Post-Zoster-Neuralgie, Tumorschmerzen, Schmerzen aufgrund von Gefäßkrankheiten und Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises.
Der im Alter häufig auftretende chronische Schmerz ist ein multifaktorielles Geschehen, das ein umfassendes und interdisziplinäres Therapiekonzept erfordert. Mit jedem unzureichend behandelten Schmerzdurchbruch nehmen Schmerzintensität und -folgen wie Depression, Schlafprobleme, eingeschränkte soziale Kontakte und damit verbundene Vereinsamung weiter zu (Schmerzspirale, siehe Abb.).

 

Abb

 

Schmerzdiagnostik

Die Schmerzdiagnostik stellt bei älteren und dementen Patienten ein größeres Problem dar. Der Schmerz wird speziell bei kognitiv und kommunikativ beeinträchtigten Patienten oft erst spät erkannt. Es liegt hier in der Erfahrung der klinisch tätigen Personen, den Schmerz richtig zu erkennen und zu behandeln.
Ziel muss es sein, bei allen älteren Patienten den Schmerz als fünften Vitalparameter regelmäßig zu erheben. Denn schon durch ein standardisiertes Vorgehen bei der Schmerzerfassung ist eine deutliche Schmerzreduktion erzielbar.
Es stehen zahlreiche validierte Instrumente und Scores zur Schmerzerhebung zur Verfügung: verbale Ratingskalen (VRS), numerische Ratingskalen (NRS) oder visuelle Analogskalen (VAS).
Ganz besonders dann, wenn die verbale Kommunikation eingeschränkt ist und die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt sind, ist auf indirekte Zeichen vorhandener Schmerzen zu achten. Hier sind bei der strukturierten Schmerzerfassung Symptome wie angespannter Gesichtsausdruck, Schonhaltung, verkrampfte Haltung, veränderter Atemrhythmus, Verhaltensänderungen, Appetitverlust, Schlafstörungen, Verwirrtheit, eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Tachykardien, gequälte Lautäußerungen, ängstliche Abwehr von Berührung, Gramassieren, Stirnrunzeln oder eine starre Mimik zu beachten. Eine besonders wichtige Rolle kommt gerade bei dieser Patientengruppe Pflegepersonen und Angehörigen zu, die aufgrund ihrer Beobachtung derartige Anzeichen oft früh erkennen können.
Für verbal und kognitiv eingeschränkte Patienten sind inzwischen Scores und Skalen entwickelt worden, wie der ECPA (L’echelle comportementale pour pesonnes agés), die BESD (Beurteilung von Schmerz bei Demenz) die deutsche Fassung der PAINAD Scale (Pain Assesement in Advanced dementia), sowie die Doloplus-2-Skala.
Die BESD-Skala etwa beruht auf einem relativ kurzen und einfach durchzuführenden Test und ist vor allem für mobilere Patienten gut geeignet
Die Erfahrungen sprechen für eine gute und einfache klinische Anwendbarkeit der Doloplus-2-Skala. Die Skala sollte von Angehörigen verschiedener Disziplinen ausgefüllt werden, und zwar unabhängig davon, ob der Patient zuhause gepflegt wird oder in einem stationären Setting.

Schmerztherapie schwierig

Die Schmerztherapie gestaltet sich bei älteren Menschen schwieriger, weil sie in vielen Fällen unter mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig leiden. Multimorbidität ist das klassische Charakteristikum des älteren und betagten Patienten überhaupt. Aufgrund der Multimorbidität steigt auch die Anzahl der Therapien: 75-Jährige nehmen im Durchschnitt sieben unterschiedliche Medikamente ein, bei 10% von ihnen sind es sogar mehr als zehn. Dies führt häufig aus Sorge über ein erhöhtes Risiko von Interaktionen durch die Multimedikation zu einer insuffizienten Therapie. Andererseits werden aber nichtpharmakologische Interventionen zu selten durchgeführt, wobei aber gerade physikalische Therapiemethoden einen hohen Stellenwert in der Schmerzreduktion haben können.
Schon deshalb muss die schmerztherapeutische Behandlung älterer Menschen individuell auf den Patienten abgestimmt werden. Generell sollten Medikamente in diesem Patientenkollektiv wenn möglich über kurze Zeit und in niedriger Dosierung verabreicht werden.
Husebo B et al. führen die Schmerztherapie nach einem standardisierten Protokoll in den Heimen durch:

  • Stufe 1 (orales Paracetamol Maximum bis 3 g/Tag)
  • Stufe 2 (orales Morphin Maximum 20 mg/Tag)
  • Stufe 3 (Buprenorphin transdermal Maximum 10 µg/h)
  • Stufe 4 (orales Pregabalin Maximum 300 mg/Tag)

Es gilt, eine adäquate Balance zwischen Multimorbidität und der damit verbundenen Polypharmazie einerseits und einer ausreichenden schmerztherapeutischen Versorgung andererseits zu finden. Die vulnerable Gruppe älterer und betagter Patienten bedarf eines ganz besonderen Managements, damit gute Schmerzlinderung gewährleistet ist, und gleichzeitig mit der analgetischen Therapie nicht zusätzliche Nebenwirkungen provoziert werden. Eine Hierarchisierung der Therapienotwendigkeiten ist anzustreben. Diese wird im geriatrischen Alltag durch ein multidimensionales Assessment erreicht.
In Berücksichtigung körperlicher, pharmakodynamischer und pharmakokinetischer Besonderheiten gilt als Grundprinzip für die Pharmakotherapie im Alter das Prinzip „start low, go slow“.
Dies trifft auf alle gebräuchlichen Analgetika zu, ebenso wie das Prinzip, jeweils nur eine zusätzliche neue Substanz auf einmal zu verabreichen und die Behandlung permanent zu überwachen und erforderlichenfalls anzupassen.
Grundsätzlich sollte vor Beginn jeder Schmerztherapie die aktuelle Medikation vor dem Hintergrund der Polypharmazie kritisch überprüft werden. Ein geeignetes Hilfsmittel dafür ist der Medication Appropriateness Index (MAI).
Die häufig angewendeten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) sind nach Ausschluss der Kontraindikationen und Beachtung möglicher Interaktionen eine geeignete analgetische Option bei Schmerzen des Bewegungsapparates. Es ist aber zu beachten, dass sie von den in der Schmerztherapie eingesetzten Substanzen besonders häufig verantwortlich für Nebenwirkungen in der Gruppe ältere Patienten sind und sie deshalb nur kurzfristig eingesetzt werden sollten.
Eine streng indikationsbezogene und zeitlich begrenzte Verordnung ist erforderlich. Beim Einsatz von NSAR sollte immer das deutlich erhöhte gastrointestinale Blutungsrisiko älterer Patienten sowie das Hypertensionsrisiko bedacht werden.
Eine Alternative ist Metamizol, welches analgetisch, spasmolytisch und antipyretisch wirkt.
Bei Opioiden zeigt sich ein grundsätzlich für ältere und betagte Patienten durchaus günstiges Nebenwirkungsprofil. Studien zeigten bei Pflegeheimbewohnern unter einer Opiatlangzeittherapie keine signifikanten Änderungen in Bezug auf Risiken wie Stürze, Obstipation, Pneumonien, gastrointestinale Blutungen, Nierenversagen, Delirium oder Depressionen gegenüber der nichtbehandelten Gruppe.
Grundsätzlich ist zu beachten, dass ältere Patienten auf Opioide stärker ansprechen als jüngere, sie sind daher besonders behutsam zu dosieren und individuell anzupassen. Ein Vorteil von Opioiden liegt darin, dass diese Substanzgruppe keine Organtoxizität aufweist.
Prinzipiell sind orale Retard-Opioide wegen der besseren Steuerbarkeit vorzuziehen. Bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion sind Dosisreduktionen oder Intervalländerungen angezeigt.
Keine Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion ist bei der Verwendung von Hydromorphon und Buprenorphin notwendig.
Für die Behandlung von neuropathischen Schmerzen sind auch Antikonvulsiva wie Pregabalin und Gabapentin indiziert. Pregabalin hat im Unterschied zu trizyklischen Antidepressiva weniger Nebenwirkungen. Antikonvulsiva können auch Nebenwirkungen auslösen und sollen einschleichend dosiert werden. Weiters besteht ein nur geringes Arzneimittelinteraktionspotenzial. Prega-balin und Gabapentin sind in der Dosierung an die Nierenfunktion des Patienten anzupassen.
Lokale Therapiemöglichkeiten sind Capsacin 8%ig, welche bis drei Monate Schmerzlinderung hervorrufen kann, und 5%iges Lidocain-Pflaster, welches zwölf Stunden appliziert eine Schmerzlinderung von insgesamt 24 Stunden bewirkt. Die lokalen Applikationsformen haben den Vorteil, dass sie keine systemischen Nebenwirkungen haben. Ebenso verbreitet wie in ihrem Nebenwirkungsprofil unterschätzt ist die Kombination von NSAR mit selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI). Das Risiko von Magenblutungen ist unter einer Kombination von SSRI mit NSAR deutlich höher als unter NSAR oder SSRI allein. Die Kombination sollte nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden.
Die Kombination von Tramadol mit SSRI und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) weist das Risiko eines Serotoninsyndroms auf, das gilt auch für die Behandlung von SSRI gleichzeitig mit Oxycodon und Pethidin.
Trizyklische Antidepressiva erhöhen die Bioverfügbarkeit und den Plasmaspiegel von Morphin. Grundsätzlich ist der Einsatz von trizyklischen Antidepressiva in dieser Patientengruppe sehr problematisch (Gefahr des anticholinergen Syndroms).

Fazit für den Prozess

Das Schmerzmanagement bei älteren und betagten Patienten muss altersassoziierte Besonderheiten berücksichtigen. Schmerzerleben, Schmerzpräsentation und Reaktionen auf Therapien sind verändert, sensorische und kognitive Beeinträchtigungen, Multimorbidität und damit verbundene Polypharmazie stellen Pflegende, Betreuende und Behandelnde vor besondere Herausforderungen. Auch beim alten Patienten ist es wichtig, einen multimodalen Therapieansatz durchzuführen. Dies schließt neben der medikamentösen Therapie physikalische, ergotherapeutische und psychotherapeutische Unterstützung mit ein. Es wurden auch schmerzpsychologische Gruppentherapieprogramme entwickelt, die speziell auf die Bedürfnisse älterer Schmerzpatienten zugeschnitten sind. Ziel der psychologischen Maßnahmen ist ein aktiver Umgang mit den Schmerzen, eine Steigerung der Lebensqualität und somit eine bessere Bewältigung der Krankheit.