Vorhofflimmern und antikoagulative Therapie

Zum ersten NOAK-Vertreter, dem direkten Thrombininhibitor Dabigatran, sind über die Jahre drei Faktor-Xa-Antagonisten (Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban) dazugekommen. Es stehen uns aktuell zwei NOAK mit einmal täglicher Gabe (Rivaroxaban und Edoxaban) und zwei Substanzen mit zweimal täglicher Verabreichung (Dabigatran und Apixaban) zur Verfügung. Mögliche Vorteile in der Compliance bei Einmalgabe müssen hier mit potenziellen Nachteilen höherer Spitzenspiegel abgewogen werden.

Nichtvalvuläres VHF: NOAK sind Therapie der Wahl

Generell ist die Verwendung von NOAK als Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei Vorhofflimmern (VHF) nur bei „nichtvalvulärem VHF“ zugelassen, das heißt, dass Patienten mit mechanischen Herzklappen, mit mittelschwerer bis schwerer Mitralklappenstenose sowie mit schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 15ml/h) weiterhin mit VKA behandelt werden müssen. Die sonstige Bevorzugung von NOAK, insbesondere für die Ersteinstellung von VHF-Patienten, wurde in den derzeit noch geltenden ESC-Guidelines von 2016 mit dem größeren „net clinical benefit“ erklärt, vor allem aber durch das verminderte Risiko intrakranieller Blutungen. Die Indikation zur oralen Antikoagulation (OAK) wird nach den europäischen Guidelines weiterhin über den CHA2DS2-VASc-Score des Patienten gestellt, wobei Patienten mit einem Score von 1 antikoaguliert werden SOLLEN und ab einem Score von 2 antikoaguliert werden MÜSSEN. Das weibliche Geschlecht zählt hier nur dann als Punkt, wenn zusätzliche Risikofaktoren aus dem CHA2DS2-VASc-Score vorliegen. Für den ESC 2020 sind neue europäische Guidelines für VHF zu erwarten; ob sich hier an der grundsätzlichen Indikation zur OAK etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.

ASS: KEINE Alternative und obsolet

Grundsätzlich ist zur aktuellen Versorgungssituation mit OAK anzumerken, dass auch in großen Studien mit strenger INR-Kontrolle nur ca. 60 % der Patienten mit VKA bei den Messungen im INR-Zielbereich sind. Auch dies ist ein starkes Argument für den Einsatz der NOAK, welche eine deutlich größere therapeutische Breite und wesentlich kürzere Halbwertszeiten haben. Gut ein Drittel der Patienten mit VHF und einem CHA2DS2-VASc-Score ≥ 2 erhalten in Europa nach letzten Registerdaten überhaupt keine Antikoagulation – was wir als verantwortungsvoll handelnde Ärzte nicht tolerieren dürfen! Um einem weiteren Behandlungsfehler Einhalt zu gebieten, möchte ich etwas drastisch formulieren: ASS ist keine „Alternative“ bei VHF, denn ASS ist seit der AVERROES-Studie in der Schlaganfallprophylaxe von VHF tot! Bevor wir uns, als betreuende Ärzte, also Gedanken über die Art der OAK machen, sollten wir zuerst die seit vielen Jahren vorliegenden und gut evaluierten Guidelines zur grundsätzlichen Indikation einer OAK einhalten.

Dosisreduktion, nur wenn indiziert

Auch die weit verbreitete und über die Marktanteile in Österreich gut dokumentierte systematische Unterdosierung durch Verwendung der reduzierten Dosierungen der NOAK – ohne Indikation zur Dosissenkung – soll unbedingt vermieden werden (Tabelle). Eine falsch dosierte NOAK-Therapie bietet keinen adäquaten Schutz vor thromboembolischen Ereignissen bei dennoch erhöhtem Blutungsrisiko. Bei Unsicherheiten bezüglich der Dosierung, insbesondere bei mehreren Risikofaktoren, stellt der frei zugängliche und immer wieder aktualisierte EHRA-Guide eine sehr gute und übersichtliche Hilfe dar (Steffel J et al., Eur Heart J 2018).

 

 

CAVE Komedikation. Die antikoagulierten Patienten sollten unbedingt vom Arzt über die Gefahr der Komedikation mit bestimmten frei verkäuflichen („over-the-counter“) Substanzen (zum Beispiel NSAR, Johanniskraut) informiert werden. Zusätzlich sollten wir behandelnden Ärzte unbedingt korrigierbare Risikofaktoren für Blutungen unter OAK beachten, das heißt adäquate Blutdruckeinstellung, Vermeidung von risikoerhöhender Komedikation (ASS, NSAR, SSRI) und Umstellung von Patienten mit labilen INR-Werten auf NOAK. Relevante Wechselwirkungen gibt es in unterschiedlicher Höhe bei antiarrhythmischen Substanzen, Antibiotika, antiviralen Medikamenten (HIV), Immunsuppressiva, Fungostatika und Antiepileptika. Auch hier ist im EHRA-Guide eine gute und fundierte Übersicht zu bekommen.

Einfachere Handhabung

Ein weiteres Plus der Therapie mit NOAK ist sicherlich die einfachere Handhabung mit dem Entfall regelmäßiger INR-Kontrollen sowie die unkomplizierte Umstellung durch die rasch einsetzende (circa zwei Stunden nach Einnahme und somit schneller als subkutan niedermolekulares Heparin) und kurze Wirksamkeit der NOAK. Bei Umstellung von einem niedermolekularen Heparin kann mit der nächsten Dosis einfach auf das NOAK gewechselt werden. Bei Umstellung von einem VKA kann generell ab einem INR-Wert unter 2,0 begonnen werden.

Kardioversionen sind unter NOAK nach den gleichen Regeln wie bei VKA möglich: mindestens 3 Wochen Vortherapie – alternativ TEE – und mindestens 4 Wochen Nachtherapie beziehungsweise Dauerantikoagulation bei erhöhtem CHA2DS2-VASc-Score. Auch Ablationen bei VHF (Pulmonalvenenisolation) sind unter ununterbrochener NOAK-Therapie möglich (KEIN Bridging mit niedermolekularem Heparin); hierzu gibt es auch eine österreichische S1-Guideline (Martinek M et al., Wien Klein Wochenschr 2018). Vor elektiven Operationen ist die NOAK-Therapie mindestens 24 Stunden abzusetzen, bei hohem Blutungsrisiko 48 Stunden davor (CAVE: bei eingeschränkter Nierenfunktion länger, vor allem bei Dabigatran!). Es erfolgt KEIN routinemäßiges Bridging mit niedermolekularem Heparin.

Zeitlich begrenzte Triple-Therapien bei VHF-Patienten nach Myokardinfarkt, akutem Koronarsyndrom oder elektiver Stentimplantation sind mit NOAK + ASS + Clopidogrel möglich. Die Dauer der Triple-Therapie wird je nach thromboembolischem Risiko und Blutungsrisiko festgelegt. Bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko kann die Triple-Therapie auch gänzlich entfallen. Nach maximal einem Jahr wird nur mehr die OAK weitergeführt und die Plättchenhemmung abgesetzt. In der Kombination NOAK + Thrombozytenaggregationshemmer sollte unbedingt eine Protonenpumpenhemmer-(PPI-)Therapie in Standarddosis beigefügt werden. Ansonsten ist unter NOAK-Therapie eine Zugabe von PPI nur bei Zustand nach gastrointestinaler Blutung oder Ulkus beziehungsweise bei anderer, das Blutungsrisiko erhöhender Begleittherapie indiziert.

An Laborkontrollen unter NOAK werden jährliche Kontrollen des Hämoglobins sowie der Leber- und Nierenfunktion empfohlen, ab dem 75. Lebensjahr 2-mal pro Jahr. Bei eingeschränkter Nierenfunktion gilt laut EHRA-Guide die Faustregel: Intervall für Kreatinin-Kontrollen = Kreatinin-Clearance (CrCl)/10 in Monaten, das heißt bei einer CrCl von 50 alle 5 Monate.

Bei Blutungen unter NOAK-Therapie gilt: Bei leichten Blutungen abwarten, da die Halbwertszeit der Substanzen kurz ist (um 12 Stunden). Bei stärkeren Blutungen soll eine mechanische Blutstillung angestrebt werden (zum Beispiel direkte Kompression oder endoskopisch). Bei Bedarf sollen Blutkonserven, Plasma (FFP) und Thrombozytenkonzentrate verabreicht werden. Bei lebensbedrohlichen Blutungen oder dringlicher Operationsindikation ist für Dabigatran ein einfach anzuwendendes und schnell wirksames Antidot (Idarucizumab – Praxbind®) verfügbar. Auch für die Faktor-Xa-Antagonisten (zugelassen für Rivaroxaban und Apixaban) gibt es seit kurzer Zeit mit Andexanet alfa (Ondexxya®) ein sehr teures und in der Anwendung etwas komplexeres Antidot.

 

 

Für die Praxis

  • NOAK-Therapie: nur bei „nichtvalvulärem“ Vorhofflimmern
  • VKA-Therapie: bei mechanischen Herzklappen, Mitralklappenstenose oder schwerer Niereninsuffizienz
  • Indikation zur oralen Antikoagulation bei VHF: nach dem CHA2DS2-VASc-Score (ESC- Guidelines 2016)
  • ASS-Therapie: Ist KEINE Alternative zur oralen Antikoagulation!
  • Reduzierte NOAK-Dosierung: Dosisreduktion nur, wenn indiziert, ansonsten Therapiefehler!
  • Laborkontrollen unter NOAK: Bei eingeschränkter Nierenfunktion: Kreatinin-Clearance (CrCl)/10 in Monaten
  • NOAK-Antidot: Idarucizumab für Dabigatran und Andexanet alfa für Rivaroxaban und Apixaban zugelassen.