Die Last des langen Sitzens

Wir sitzen immer mehr und immer länger. Schätzungen und Untersuchungen besagen, dass unsere westlichen Gesellschaften täglich sechs bis zehn Stunden sitzend verbringen.1 Wissenschafter der Universität Washington haben für diesbezügliche Auswertungen Daten aus dem berühmten National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) verwendet. Ihre Analyse besagt, dass die tägliche Sitz-Zeit zwischen 2007 und 2016 für Jugendliche von sieben auf acht Stunden gestiegen ist und für Erwachsene von 5,5 Stunden auf 6,5 Stunden. Im Zeitraum von zehn Jahren hat die Zeit, die man täglich auf Stühlen, Sofas und Bänken verbringt, also um eine Stunde zugenommen. Das Problem betrifft aber nicht nur den Arbeitsplatz und ausgiebige Schul- und Studienzeiten, auch in der Freizeit wird viel gesessen. Die US-Wissenschafter fanden zum Beispiel heraus, dass bis zu zwei Drittel der Erwachsenen täglich nach der Arbeit zwei (weitere) Stunden vor Bildschirmen verbringen, 28–38 % der Bevölkerung tun dies sogar drei Freizeitstunden pro Tag.2

Kein Wunder also, dass bereits der Begriff vom „Homo sedens“ existiert. Das hat jedoch Folgen, denn der menschliche Körper ist dafür nicht gebaut, und die Auswirkungen des langen und häufigen Sitzens auf die Gesundheit sind vielfältig:

  • Ausgiebiges Sitzen wirkt sich negativ auf den peripheren Blutfluss aus.3
  • Eine ältere Studie hat gezeigt, dass langes Sitzen ohne zwischenzeitliches Aufstehen und Bewegen den zerebralen Blutfluss reduziert. Wer alle 30 Minuten kurz aufsteht und zwei Minuten geht, kann dem entgegenwirken. Hingegen sind derartige Pausen nur alle zwei Stunden nicht ausreichend, um den negativen Effekt abzumildern.3
  • In einem systematischen Review und einer Metaanalyse (18 Studien inkludiert) kam man zu dem Ergebnis, dass die Gruppe der am längsten sitzenden Personen verglichen mit dem Kollektiv, das am kürzesten sitzt, ein um 47 % höheres Risiko für kardiovaskuläre Events, ein 112 % höheres Diabetesrisiko und ein um 90 % erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Mortalität hat. Auch das Gesamtmortalitätsrisiko ist bedeutend höher.4
  • Büroarbeit am Schreibtisch führt bei vielen Menschen zu chronischen Schmerzen im unteren Rückenbereich. Wird das ausgiebige Sitzen hingegen unterbrochen, kommt es zu einer Reduktion der Probleme, wie eine Studie gezeigt hat, für die anstelle des Dauersitzens sogenannte „Sit-Stand-Workstations“ eingerichtet wurden.5
  • Nicht nur sitzende Jobs sind der Auslöser für Beschwerden im unteren Rücken. In einer Cross-Sectional-Studie aus dem Jahr 2015 hat sich gezeigt, dass es für langes Sitzen in der Freizeit ähnliche Ergebnisse gibt. Für die Studie wurden Daten von Reinigungskräften, Fahrern, Beschäftigen im Sozialbereich, Bauarbeitern und Monteuren gesammelt.6

Einen Zusammenhang zum Rückenschmerz gibt es auch im Hinblick auf die Psyche. Anspannungen und Stress führen zu außergewöhnlichen Spannungszuständen in der Muskulatur. Durch diese Spannungen und Verkrampfungen kommt es zu einem chronischen Ruhetonus der Muskulatur, zu geringerer Durchblutung und Verhärtungen im Übergangsbereich zwischen Lenden- und Kreuzbeinwirbel. Auch Einschränkungen der osmotischen Stoffwechselversorgung der Bandscheiben sind möglich. Die Rückenmuskulatur reagiert zudem sehr empfänglich auf Fehlhaltungen, wie sie unter anderem beim langen Sitzen auftreten.7

Weitere Alltagsrisiken für Rückenschmerzen sind:8

  • Alter: Die ersten Probleme treten häufig im Alter zwischen 30 und 50 Jahren auf, wobei die Rückenbeschwerden mit steigendem Alter immer häufiger werden. Auslöser sind eine Abnahme der Muskelelastizität und eine Abnahme des Tonus. Außerdem verlieren die Bandscheiben stetig Flüssigkeit und Flexibilität.
  • Fitness: Eine schwache Rücken- und Abdominalmuskulatur erhöht das Risiko für Schmerzen.
  • Übergewicht erzeugt Druck auf die Rückenmuskulatur und fördert Schmerzen (vor allem im unteren Rückenbereich).
  • Rauchen: Der dadurch eingeschränkte Blutfluss (und die damit verbundene reduzierte Sauerstoffversorgung) führt auch dazu, dass die Bandscheibendegeneration gefördert wird.
  • Tragen von Lasten: klassisches Beispiel sind schwere Schulrucksäcke im Kindes- und Jugendalter.

Autogenes Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobson sowie asiatische Bewegungsübungen wie Qigong und Tai-Chi sind bewährte Maßnahmen, um verspannungs- und verkrampfungsbedingten Rückenschmerzen entgegenzuwirken.7 Auch Yoga und Meditationen sind hilfreich. Um den durch Druckschädigung ausgelösten Schmerzen im Rücken entgegenzuwirken, wird eine Kost reich an antiinflammatorischen Nahrungsmittelinhaltsstoffen empfohlen. Mikronährstoffe, die das Nervensystem unterstützen, sollten ebenfalls einen Platz im täglichen Speiseplan haben. Dazu zählen Vitamin B1, Vitamin B6, Vitamin B12 und Folsäure. Außerdem kann sich die Substanz Uridinmonophosphat (UMP) durch ihre Funktion im Zellstoffwechsel und in der Zellregeneration als hilfreich erweisen.

 

 

Literatur:

1 Informationsdienst Wissenschaft, Dezember 2019: https://nachrichten.idw-online.de/2019/12/05/wenn-der-ruecken-vom-vielen-sitzen-schmerzt/

2 Yang L, Cao C, Kantor ED et al., Trends in Sedentary Behavior Among the US Population, 2001–2016. 2019 Apr 23; 321(16):1587–1597

3 Carter SE, Draijer R, Holder SM et al., Regular walking breaks prevent the decline in cerebral blood flow associated with prolonged sitting. J Appl Physiol (1985). 2018 Sep 1; 125(3):790–798

4 Wilmot EG, Edwardson CL, Achana FA et al., Sedentary time in adults and the association with diabetes, cardiovascular disease and death: systematic review and meta-analysis. Diabetologia. 2012 Nov; 55(11):2895–905

5 Ognibene GT, Torres W, von Eyben R et al., Impact of a Sit-Stand Workstation on Chronic Low Back Pain: Results of a Randomized Trial. J Occup Environ Med. 2016 Mar; 58(3):287–93

6 Gupta N, Stordal Christiansen C, Hallmann DM et al., Is Objectively Measured Sitting Time Associated with Low Back Pain? A Cross-Sectional Investigation in the NOMAD study. PLoS ONE 2015; 10(3):e0121159

7 Fandl C, Wirbelsäulenprobleme. Die Volkskrankheit als neue Herausforderung des 21. Jhd. Medizinische Universität Graz

8 National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NIH): Low Back Pain Fact Sheet.