Darmmikrobiom: Zusammensetzung beeinflusst Gewicht

Darmbakterien spielen eine wichtige Rolle hinsichtlich der Körperzusammensetzung, und eine Dysbiose gilt mittlerweile als einer der Risikofaktoren und Auslöser für Übergewicht und Adipositas.1 „Bereits vor mehr als 10 Jahren haben die ersten Mikrobiomstudien zu diesem Thema gezeigt, dass das Mikrobiom von übergewichtigen Menschen aus dem gleichen Nahrungsangebot mehr Kalorien herausholen kann, als das Mikrobiom von schlanken Menschen“, berichtet Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. med. univ. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz. Erste Untersuchungen zur Thematik zeigten vor einigen Jahren, dass eine veränderte Ratio Bacteroidetes zu Firmicutes die Ursache für die Entwicklung von Übergewicht ist, da die Bestandteile der Nahrung offenbar stärker verwertet werden. So ergab zum Beispiel eine Studie, dass ein 20%iger Anstieg der Firmicutes und ein 20%iger Abfall der Bacteroidetes mit einer zusätzlichen Verwertung von 150 kcal pro Tag einhergeht. In wissenschaftlichen Publikationen wird jedoch davon ausgegangen, dass diese Betrachtung zu oberflächlich ist und man auf niedrigere taxonomische Ebenen blicken muss. Dazu zählen die Familien Prevotellaceae und Enterobacteriaceae, die bei Adipositas gehäuft auftreten. Umgekehrt hat man festgestellt, dass Menschen mit niedrigem Body-Mass-Index einen höheren Anteil an Christensenellaceae aufweisen. Die Bakteriengattungen Alistipes, Oscillospira, Erwinia und Succinivibrio kommen bei Menschen mit Normalgewicht häufiger vor als bei Übergewichtigen. Große Hoffnungen bei der Bekämpfung von Übergewicht setzt die Forschung in Akkermansia muciniphila.1

Für Stadlbauer-Köllner ist die Firmicutes-Bacteroidetes-These aus aktueller Sicht überholt. „Wir müssen mehr in die Tiefe blicken. Es gibt zum Beispiel mehrere Bakterienspezies, die aus unterschiedlichen Familien stammen, aber die gleiche Funktion haben. Das heißt, der funktionelle Effekt der Bakterien kann gleich sein, obwohl das Mikrobiom unterschiedlich strukturiert ist.“

 

 

Dysbiose: Kalorien aus unverdaulichen Kohlenhydraten

Die Mechanismen der verstärkten Ausnutzung der Nahrungsenergie wurden in den vergangenen Jahren erforscht. „Beim Übergewichtigen werden zum Beispiel nichtverzweigtkettige Kohlenhydrate verwertet, die normalerweise unverdaut bleiben“, erklärt o. Univ.-Prof. Dr. Günter J. Krejs, ehemaliger Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Graz. „Dadurch kommt es zur vermehrten Produktion kurzkettiger Fettsäuren. In früheren Zeiten war diese Energiegewinnung durch Aufnahme von kurzkettigen Fettsäuren im Darm – ‚caloric salvage‘ genannt – sehr sinnvoll. In Zeiten des Überflusses ist sie jedoch problematisch.“ Stadlbauer-Köllner verweist auf eine im Juli des vergangenen Jahres erschienene Arbeit in der Fachzeitschrift Science2, die eine spannende Erkenntnis brachte. „Es wurde bei Mäusen gezeigt, dass das Immunsystem die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflusst und ein Mangel an IgA mit Mikrobiomveränderungen und Fettleibigkeit assoziiert ist. Interessanterweise kann dieses veränderte Mikrobiom mehr Fett aufnehmen.“ Die Arbeit bedeute auch einen Wendepunkt in der Betrachtungsweise. „Bis dahin ging man davon aus, dass die Ernährung das Mikrobiom beeinflusst und Schädigungen der Darmbarriere eine Folge sein können. Die Publikation zeigt allerdings, dass auch genetische Faktoren das Mikrobiom beeinflussen können und dass es Menschen gibt, die trotz gesunder Ernährung mehr Kalorien aus dem Essen herausholen, als sie brauchen“, erklärt Stadlbauer-Köllner. Evidenzbasierte Daten zur Problemlösung fehlen bislang. Stadlbauer-Köllner berichtet allerdings von ersten Studien, bei denen die Probanden durch Probiotikaeinnahme Gewicht abnahmen. „Probiotika haben vermutlich einen Stellenwert in multimodalen Konzepten. Diese haben zwei Aspekte: Das Darmmikrobiom soll weniger Fett ausnutzen und durch eine Modulierung der Darm-Hirn-Achse könnten Diäten besser ausgehalten werden.“ Wichtig bleibe dennoch eine Kalorienrestriktion.

 

 

Convenience-Food verändert Mikrobiom

Der Lebensstil hat einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms und die damit verbundene Gewichtsregulierung. Stadlbauer-Köllner dazu: „Es wurde gezeigt, dass hochverarbeitete Nahrung wie sie in Convenience-Food oder Junk-Food vorkommt auch ohne erhöhten Fettgehalt das Mikrobiom so verändern, dass es jenem bei Adipositas ähnlich sieht. Naturbelassenes, wenig verarbeitetes Essen und eine große Vielfalt in der Ernährung sind daher ideal. Auch die Uhrzeit der Nahrungszufuhr spielt eine Rolle. Diäten auf Basis des Intervallfastens, die dem Darmmikrobiom sozusagen Pausen gönnen, sind sehr effektiv. Man muss sich aber erst anschauen, ob das Intervallfasten für alle Personengruppen geeignet ist. Zum Beispiel muss noch untersucht werden, ob ein Einsatz dann bei Diabetikern sinnvoll ist.“
Univ.-Prof. Krejs sieht großes Potenzial in einer Umstellung der Lebensgewohnheiten in Richtung pflanzlicher, ballaststoffreicher Kost und betont dabei die Bedeutung der Nachhaltigkeit: „Zu bedenken ist die Tatsache, dass die individuelle Mikrobiota in den ersten beiden Lebensjahren geprägt wird, sie entspricht gleichsam einem persönlichen Fingerabdruck. Bei Rückkehr zu früheren Mustern fällt man auch schnell wieder auf das alte Mikrobiom zurück. Das spricht dafür, die Ernährung nachhaltig umzustellen.“ Auch Probiotika könne man dauerhaft einnehmen.

 

Literatur:

1 Tseng CH, Wu CY, The gut microbiome in obesity. J Formos Med Assoc. 2019 Mar; 118 Suppl 1:S3–S9. DOI: 10.1016/j.jfma.2018.07.009

2 Petersen C, Bell R, Klag KA et al., T cell–mediated regulation of the microbiota protects against obesity. Science 365, eaat9351 (2019). DOI: 10.1126/science.aat9351