Der IQVIA-Blick über die Grenze – Ungarn

In dieser Ausgabe steht eines unserer östlichen Nachbarländer im Fokus. Mehr als 70.000 Ungarn leben in Österreich, und mehr als 20.000 pendeln jeden Tag ins Burgenland, wobei die Zahl der ungarischen Pendler stark zunimmt. In Ungarn gibt es bei einer Einwohneranzahl von knapp 10 Millionen (fallende Tendenz seit mehr als 3 Jahrzehnten) rund 2.900 öffentliche Apotheken inklusive Filialapotheken. Hinzu kommen noch 100 Krankenhausapotheken und 170 ärztliche Hausapotheken. Damit liegt Ungarn hinsichtlich der Apothekenanzahl pro 100.000 Einwohner im europäischen Durchschnitt. Aufgrund strenger Restriktionen gibt es keine großen Apothekenketten, doch mehr als 80 % aller öffentlichen Apotheken sind Mitglieder einer Kooperation oder eines Franchise-Unternehmens. Die Apotheken profitieren hierbei von gemeinsamen Einkaufs- und Marketingaktivitäten, Wissensaustausch und von einer gewissen finanziellen Stabilität. In Ungarn existiert ein Gebietsschutz je nach Bevölkerungsanzahl und Ent­fernung zur nächsten Apotheke.

Bewegte Zeiten

Nach einer Phase der Liberalisierung des Apothekenrechts zwischen 2007 und 2010 ruderte Ungarn 2011 wieder zurück, da sich die Zunahme an Wettbewerb für viele Apotheken ruinös auswirkte und ausländischen Apothekenketten Tür und Tor geöffnet wurden. Mit dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes sind Neugründungen von Apotheken seither nur noch Pharmazeuten gestattet. Für bestehende Apotheken gab es eine Übergangsregelung bis Dezember 2016. Seit Jänner 2017 muss die Mehrheit der Anteile im Besitz eines Apothekers sein, und Firmen dürfen nicht mehr als ­4 Apotheken besitzen. 2007 wurde außerdem die Apothekenpflicht für eine Reihe von OTC-Arzneimitteln aufgehoben und deren Verkauf in Drogerien, Supermärkten und Tankstellen ermöglicht. Viele Apotheken können nicht mehr profitabel wirtschaften und kämpfen ums Überleben. Zahlreiche kleine Dörfer verfügen weder über ein Lebensmittelgeschäft noch über eine Apotheke, und Lebensmittel sowie Medikamente werden nur einmal pro ­Woche geliefert. E-Commerce ist ausschließlich für OTC-Präparate zugelassen. Einige Apotheken gründen Onlineshops allein, andere gemeinsam mit Großhändlern, doch es gibt auch viele unseriöse Webshops. Das E-Rezept existiert in Ungarn bereits seit einigen Jahren, es gewann wie das Thema E-Commerce durch die Coronapandemie mehr an Bedeutung.

COVID-19 setzt Ungarn stark zu

Ungarn hat im Zusammenhang mit COVID-19 in Relation zur Einwohnerzahl besonders viele Todesfälle zu beklagen – und das, obwohl derzeit in keinem Land der EU so schnell geimpft wird. Bisher wurde in Ungarn bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung beim Hausarzt oder in Impfstationen immunisiert. In Apotheken finden allerdings weder Impfungen noch Tests statt. Der Impferfolg ist unter anderem der (Not-)Zulassung vieler verschiedener Impfstoffe zu verdanken. Neben ­den Vakzinen von BioNTech/Pfizer, AstraZeneca und Moderna sind wie auch in Serbien das russische Serum „Sputnik V“ und das Serum von Sinopharm sowie zwei weitere Impfstoffe aus China und Indien zugelassen. Der ungarischen ­Roma-Minderheit, die großteils in besonders strukturschwachen Regionen lebt, fehlt jedoch häufig der Zugang zu den Impfungen, da sie weder über technische Geräte zur Impfanmeldung verfügen noch zu einem Impfzentrum reisen können. Durch den fehlenden Informationszugang ist die Impfbereitschaft der Roma zudem schwach ausgeprägt. COVID-Tests sind in Ungarn kostenpflichtig, weshalb die Zahl der sich testenden Personen extrem niedrig ist. Dem ungarischen Gesundheits­system mangelt es an Geld, medizinischen Geräten und qualifiziertem Personal, das aufgrund der schlechten Bezahlung in ­andere EU-Länder abwandert. Seit März dieses Jahres belastet überdies eine massive Kündigungswelle das ohnehin schon angeschlagene Gesundheitswesen. Bis zum 1. März sollten 130.000 Angestellte des Gesundheitspersonals einen neuen Vertrag mit dem Staat unterschreiben, der in vielen Punkten eine Schlechterstellung und Beschneidung bestehender Rechte zur Folge hat. Ganze Krankenhausabteilungen verloren daraufhin ihre Mitarbeiter, und dies hat gerade in Pandemiezeiten verheerende Auswirkungen.

Harte Herausforderungen

Wie bereits erwähnt haben viele Apotheken neben Mängeln im Gesundheitssystem und Fachkräfteknappheit mit finanziellen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Preise für Medikamente sind nicht offiziell festgelegt. Hersteller können jederzeit den Markt betreten und müssen ihre Preise keiner Behörde melden. In vielen Arzneimittelkategorien, wie zum Beispiel im Husten- und Erkältungssegment, sind deutliche Umsatzeinbußen spürbar, und Gewinnspannen sind gering. Von der Regierung geplante Budgetkürzungen und die Erhöhung der Umsatzsteuer von OTC-Präparaten belasten die Apotheken zusätzlich. Oft besorgen Kunden Medikamente für Angehörige, und dies schränkt die Möglichkeit individueller Beratungsgespräche ein. Einige Apotheken bemerken Schwierigkeiten in der Patienten-Hausarzt-Apotheken-Kooperation, da Patienten ihre Hausärzte kaum mehr persönlich besuchen. Internetapotheken werden zur Konkurrenz, und ungarische Apotheken haben selten die notwendige technische Ausstattung und das Know-how, um zeitnah ins Online-Geschäft einsteigen zu können.


Quelle: IQVIA | Internationale Insights – Daten und Fakten zur ungarischen Apothekenlandschaft