Pflege: „Beklatschen ist nicht ausreichend!“

Die Diskussionen zu Fragen wie „Wie geht es der Pflege und was kommt auf sie zu“ sind im Grunde nicht neu, gewinnen allerdings mit den durch COVID-19 auch für die breite Öffentlichkeit erkennbar gewordenen Defiziten und der demografischen Entwicklung quasi von Stunde zu Stunde mehr Brisanz. Dr. Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums, das Ende Mai genau dieses Thema im Visier hatte: „Es ist ein spannendes, ein seit Jahren und Jahrzehnten spannendes Thema. Der Anpassungsbedarf ist besonders hoch.“

Anhaltende personelle Unterbesetzung, „Stimmung im Keller“, Kündigungsdrohungen, übergroße Verantwortung bei als zu gering empfundener Bezahlung in diesem Sektor seien bestimmende Faktoren der derzeitigen Situation, sagte Huber. „Die Bundesregierung hat erklärt, steuerfrei 500 Euro zu bezahlen. Das ist ein guter Anfang, aber nicht genug. Beklatschen ist nicht ausreichend.

Nur ein Schlaglicht: Das Gesundheitsministerium geht von derzeit rund 127.000 Beschäftigten in der Pflege in Österreich aus. Bis 2030 wird der Bedarf auf mindestens rund 160.000 Beschäftigte steigen. Die Berechnungen laufen bis dahin auf einen Zusatzbedarf von rund 34.000 im Pflegebereich Tätigen durch den notwendigen Ausbau der mobilen Dienste hinaus. Hinzu kommen 42.000 Personen im Pflegebereich, die allein durch den Ersatz nach Pensionierungen bis 2030 benötigt werden.

 

 

Attraktives Arbeitsumfeld schaffen!

„Der Bericht der ,Task Force Pflege‘ liegt vor, was die Personalressourcen betrifft. Was klar ist, egal, welche Schritte wir setzen sollten, wir können viele nicht umsetzen, wenn wir nicht genug Personal haben. Es geht darum, das Pflegefeld für InteressentInnen attraktiver zu machen“, sagte Mag. Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV). Es gehe um Rahmenbedingungen, Ausbildung und um jene, die das System bereits wieder verlassen hätten.
Die Problematik beginne beispielsweise schon bei den grundsätzlichen Rahmenbedingungen. Man müsse sich das Arbeitsumfeld anschauen und so gestalten, dass Arbeit in der Pflege nicht zu zu großen Belastungen führt bzw. gar krank macht. In der Pflege sei das oft auch an die geltenden Arbeitszeitregelungen gebunden. „Wir haben im Moment viele Schichtdienste mit 12,5 Stunden Arbeitszeit. Wenn man das anders haben will, gibt es zu wenige Dienststellen, wo das möglich ist – oder man hat mit großen Gehaltseinbußen zu rechnen“, so Mag. Elisabeth Potzmann.

 

Dienstplansicherheit sei beispielsweise ein anderes Thema. Die ÖGKV-Präsidentin: „Wir haben sehr große Unterschiede beim Personalschlüssel, was das gesamte Bundesgebiet betrifft. Es gibt Bereitschaftsdienste durch die Hintertür. Wenn ein Kollege oder eine Kollegin ausfällt, kann man dann jederzeit angerufen werden und muss einspringen.“ Spezialisierung (z. B. Krankenhaushygiene oder Wundmanagement) sei erwünscht, doch dann müssten auch die Planstellen geschaffen werden, um diese Funktionen auch ausüben zu können.

In der Ausbildung wiederum benötige man eine echte Offensive, um ausreichend Nachwuchs zu bekommen. Da gehe es auch um Distance Learning und um Blended Learning. Durchlässigkeit der Strukturen und Karrieremöglichkeiten müssten gegeben sein. Auch Ausbildungsmodelle mit einer Bezahlung, um Personen, die finanzielle Verpflichtungen gegenüber Familie etc. hätte, den Ein- oder Umstieg in die Pflege zu ermöglichen, seien notwendig. − Ebenso wie entsprechende Möglichkeiten für eine gut erreichbare Anerkennung von im Ausland erworbener Ausbildungen in diesem Bereich mit Hilfen beim Spracherwerb und beim Lernen.

Die Krux mit der Finanzierung

„Ich habe den Eindruck, dass die Finanzierungssicherheit des Pflegewesens auf die lange Bank geschoben wird. Politisch ist geklärt, dass man es bei einer Finanzierung über die Steuern belassen will. Man wird aber die Bundesländer und die Gemeinden besser unterstützen müssen“, sagte die Vorarlberger Landesrätin Katharina Wiesflecker (Die Grünen).
Wenn man es aber in der Realität betrachte, so hätte sich gerade bei der mittel- und langfristigen Sicherstellung der monetären Ressourcen wenig getan. Die Landesrätin für sich und ihre Kolleginnen und Kollegen: „Wir fühlen uns von den Finanzreferenten im Stich gelassen, weil wir von einem Jahr zum nächsten arbeiten müssen. Eigentlich ist nicht wirklich geklärt, wie wir die Finanzierung mittel- bis langfristig sicherstellen.“
Personalmangel gebe es vor allem bei den diplomierten Fachkräften, weniger bei den MitarbeiterInnen mit zweijähriger Ausbildung oder bei Pflegekräften mit einem Jahr Ausbildung. Offenbar hätte es mit der COVID-19-Pandemie ein größeres Interesse für Ein- und Umschulungen in den Pflegebereich gegeben. „Wir haben mit einer Aktion Anfang des Jahres binnen ein paar Wochen 100 InteressentInnen gewinnen wollen. Wir haben binnen vier Woche 400 gehabt“, so die Vorarlberger Landesrätin.
Entscheidend sei aber auch die Frage der Personalbindung. „Mehr als 80 Prozent der Ausgebildeten gehen in die Akutpflege. Dort schaffen wir es recht gut, das Personal zu halten. Doch in der stationären Langzeitpflege wechselt die Hälfte des Personals innerhalb von drei Jahren. Ein Gutteil wechselt schon nach einem Jahr.“

Community Nurses als Ansprechpartner

Nicht zuletzt durch einen zunehmenden Koordinierungsbedarf in der Pflege und der medizinischen Versorgung sowie durch einen sich vergrößernden Personalmangel in vielen spezialisierten Bereichen (z. B. niedergelassene Ärzte) werden gut ausgebildete Personen des Gesundheits- und Krankenpflegepersonals immer wichtiger, die solche und andere Aufgaben übernehmen können. „Community Nurses oder Community Health Nurses können ein wesentlicher Beitrag zur niederschwelligen und bedarfsorientierten Versorgung sein. Sie sind eine professionelle Unterstützung für Angehörige und Betroffene und eine zentrale Ansprechperson“, sagte Karoline Riedler B. Sc. M. Sc., Präsidiumsmitglied des ÖGKV.
Koordination, aufsuchende Betreuung von PatientInnen und deren Angehörigen, Beratung, Information und Gesundheitsförderung seien die Hauptaufgaben dieser diplomierten Gesundheits- und KrankenpflegerInnen. „Die Community Nurse baut auf vorhandenen Strukturen auf und ergänzt sie. Sie ist in einer Gemeinde oder in einem Gesundheitssprengel angestellt oder arbeitet freiberuflich – nicht an Trägerorganisationen gebunden. Die Verrechnung der Leistungen sollte nach dem ASVG (Krankenkassen; Anm.) erfolgen“, erklärte die steirische Expertin.
Im Endeffekt sei dieses Konzept ja schon im Programm der derzeitigen österreichischen Koalitionsregierung bis 2024 festgeschrieben. Wertschätzung, angemessene Bezahlung und adäquates Budget müssten gesichert werden. Community Nurses würden immer auf Basis eines Assessments des Bedarfs von Einzelpersonen oder Zielgruppen arbeiten. Es gehe aber auch um ein Monitoring über einen längeren Zeitraum hinweg samt Evaluierung. Koordination der Pflege- und Krankenversorgung, lokale und regionale Vernetzung und Präventionsmaßnahmen gehörten ebenso dazu. Karoline Riedler: „Gute Beispiele gibt es in Großbritannien, den USA, Kanada und zum Beispiel auch in Slowenien.“

Buurtzorg als Alternative aus den Niederlanden?

Eine mögliche Alternative zur herkömmlichen mobilen Pflege könnte die 2006/2007 in den Niederlanden gegründete gemeinnützige Buurtzorg-Initiative sein. Teams von eigenverantwortlich arbeitenden diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal betreuen jeweils auf lokaler Ebene als Community Nurses Pflegebedürftige. „Buurtzorg ist ein Modell, das eine Weiterentwicklung der Community Nurses ist und derzeit von den Niederlanden ausgehend in 25 Ländern eingeführt wird, darunter in Deutschland, Frankreich, Schweden, Dänemark und der Schweiz“, sagte Pia Haider B. Sc., DGKP, Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin der Buurtzorg Cura Communitas GmbH Korneuburg (NÖ).
In Österreich arbeiten auf der Basis von Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit in der Arbeit vier „Diplomierte“, die 17 KlientInnen mit durchschnittlich Pflegestufe 5 betreuen. Aktivierung und Reduktion der Einsamkeit und Isolation stehen im Vordergrund. Disease Management und Sozialberatung werden kombiniert.

„Wir brauchen (in der Pflege; Anm.) Personal, Personal, Personal. Jeder Manager, der eine Fluktuationsrate von 33 % hat, wird freigestellt. In Schulnoten ist das ein ,Fleck‘!“, so Dr. Wolfgang Huber, Geschäftsführer von Buurtzorg Österreich, ehemals Leiter einer großen Heiminstitution, zur gegenwärtigen Situation im Pflegewesen. Das Buurtzorg-Beispiel aus den Niederlanden: „Wir haben eine um 60 % geringere Fluktuation und um 33 % geringere Krankenstandsraten als herkömmliche Krankenpflegeunternehmen. Die Kosten wurden in den Niederlanden um 30 % reduziert.“

 


Quelle: 117. Gesundheitspolitisches Forum zum Thema „Wie geht es der Pflege und was kommt auf sie zu?“