Effizienz versus Zuwendung

Es war wohl eine kleine Überraschung bei den ersten Koalitionsgesprächen zwischen ÖVP und FPÖ: Nicht FPÖ-Generalsekretär und -Sozialsprecher Herbert Kickl, der als möglicher künftiger Sozialminister gehandelt wird, leitet die Untergruppe „Soziales, Fairness und neue Gerechtigkeit“ mit den Fachgruppen „Gesundheit, Arbeit, Pensionen, Frauen, Familie und Jugend“ sowie „Soziales und Konsumentenschutz“, sondern die FPÖ-Gesundheitssprecherin und Ärztin Dr. Agnes Belakowitsch-Jenewein. „Externer Experte“ der FPÖ – und nächste Überraschung – ist der ehemalige Gesundheitsstaatssekretär Dr. Reinhart Waneck.

Belakowitsch-Jenewein (49) gilt als Kritikerin von Primärversorgungszentren und ortet Verstaatlichungstendenzen im Gesundheitswesen. Sie und die FPÖ wollen vor allem den niedergelassenen Hausarzt stärken und Sozialversicherungen zusammenlegen. Erst vor wenigen Monaten formulierte Sie in einer Aussendung: „Natürlich zielt die Primärversorgung darauf ab, das bewährte System des Hausarztes auszuhöhlen, den freien Beruf des Arztes durch ein wirtschaftlich abhängiges ‚Lohnmedizinertum‘ zu ersetzen und ein zentralwirtschaftlich geführtes ‚DDR-Gesundheitssystem‘ einzuführen, in dem rot-schwarze Sozialversicherungsfunktionäre aus ihren Tintenburgen heraus bis in die Behandlung des einzelnen Patienten hineinregieren können. Die Primärversorgung ist ein trojanisches Pferd für Patienten und Ärzte.“

Für die ÖVP verhandelt Sozialsprecher August Wöginger (42) mit Belakowitsch-Jenewein. Wöginger ist Angestellter des Roten Kreuzes im Bezirk Schärding und als ÖAAB-Funktionär dort seit 2006 auch Betriebsrat. Seit dem Vorjahr ist er 2016 Nachfolger von Johanna Mikl-Leitner an der Spitze des „schwarzen“ Arbeitnehmerbundes. Zu Gesundheitsfragen hat er sich bisher kaum geäußert. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich die ÖVP auch an den Vorschlägen der ursprünglich aus der ÖVP kommenden Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker orientiert. Sie fordert eine gemeinsame Strategie von Bund, Ländern und Gemeinden, um den seit dem EU-Beitritt angefallenen „Reformstau“ zu beheben. Unter dem Titel „Was jetzt getan werden muss“ hat der Rechnungshof die aus seiner Sicht zehn wichtigsten Themen für die nächste Bundesregierung zusammengefasst.

Als zentrales Beispiel nennt Kraker die Pflegefinanzierung. „Das entwickelt sich dynamischer als der Pensionsbereich“, verweist Kraker auf stark steigende Kosten – von 1,8 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2015 auf bis zu 3,4 Prozent 2060. Kraker kritisiert, dass die Sozialversicherung zwar für Krankheit und Pensionen vorsorgt, nicht aber für die Altenpflege. Eine Pflegeversicherung wäre daher eine mögliche Lösung. Strukturreformen fordert der Rechnungshof auch bei den 21 Sozialversicherungsträgern, kritisiert wird auch die hohe Dichte an Spitalsbetten. Die Experten, die der ÖVP Inputs liefern, sind unter anderem Sacher-Chefin Elisabeth Gürtler, Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner, der Bildungsexperte Andreas Salcher, die ehemalige Belvedere-Chefin Agnes Husslein, die Generaldirektorin für öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis, sowie die Unternehmerin Monika Langthaler, Antonella Mei-Pochtler (Boston-Consulting), der Finanzexperte Gottfried Haber und der Sozialrechtler Wolfgang Mazal. Viele davon präferieren Themen wie Effizienz und Selbstverantwortung. Kritiker orten darin eine Ökonomisierung des Gesundheitswesens, das dadurch an einer Weggabelung zwischen Zuwendung und Kosteneinsparungen stehe. Der Einsatz von Computern, Robotern, künstlicher Intelligenz und E-Health-Systemen sollen das Gesundheitswesen genauso wie die industrielle Produktion und die Gesellschaft als Gesamtes noch effizienter machen. Letztendlich geht es dann aber um Wirtschaftlichkeit. Sie ist ein allgemeines Maß für die Effizienz im Sinne einer Kosten-Nutzen-Relation und den rationalen Umgang mit knappen Ressourcen. Das Ziel der Verfechter ist, mit einem möglichst geringen Aufwand einen gegebenen Ertrag oder mit einem gegebenen Aufwand einen möglichst großen Ertrag zu erreichen. Dieses Denken setzt sich immer intensiver auch direkt im Gesundheitswesen durch.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Versicherten sich das genaue Gegenteil wünschen: weniger Zuzahlungen, mehr Zuwendung und einen Ausbau der ärztlichen Versorgung. Der Großteil der österreichischen Bevölkerung beurteilt das Gesundheitswesen schon jetzt als Zwei-Klassen-System. Der Apothekerverband wünscht sich wie berichtet künftig eine Abkehr von der reinen Spannenvergütung und eine Finanzierung von Beratungsleistungen. Dazu will man auch Gespräche mit den Koalitionsverhandlern führen. Helfen soll auch der oberösterreichische Apotheker Gerhard Kaniak, der für die FPÖ in den Nationalrat einzieht (siehe Kasten).

Apotheker im Nationalrat

Direkt an der B144 in Laakirchen ist die Helios-Apotheke schnell und unkompliziert zu erreichen. Um Kunden etwas mehr Zeit zum Einkaufen zu geben, ist die Helios-Apotheke die Apotheke, mit den längsten Öffnungszeiten im Bezirk Gmunden, beschreiben die Eigentümer die Apotheke auf ihrer Website. Konzessionär und Eigentümer ist Gerhard Kaniak (38). Er sitzt künftig im Nationalrat – für die FPÖ. Von 2009 bis 2011 bekleidete er die Funktion eines Ersatzgemeinderates in Seewalchen. Seit 2015 sitzt er für die FPÖ im Gemeinderat von Schörfling am Attersee.
Nach der Nationalratswahl 2017 zieht Kaniak als Mandatar in das österreichische Parlament ein. Nach einem langwierigen Verfahren zur Konzessionserteilung und einer nicht ganz einfachen Phase der Gebäudeplanung öffnete die Helios-Apotheke im August 2006 ihre Pforten. Mit einem jungen, engagierten Team baute Kaniak die Helios-Apotheke Schritt für Schritt zu dem auf, was sie heute ist: „Ein zukunftsorientierter Gesundheitsdienstleister, eingebettet in einen Komplex mit Ärzten, darunter einem Gynäkologen, einer Dermatologin und einer Augenärztin.“ Die Anstrengungen aller brachten der Apotheke unter anderem eine Auszeichnung der Wirtschaftskammer und eine ISO-Zertifizierung durch die Quality Austria ein. Kaniak ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.