Fernabsatz am Vormarsch, Preiskampf eröffnet!

Versandhandelsapotheken mit Sitz in anderen europäischen Ländern (u. a. Deutschland, Tschechien, den Niederlanden und der Slowakei) bedienen derzeit den österreichischen OTC-Versandhandelsmarkt. Aus Deutschland senden u. a. die „Apotheke zur Rose“ (Kooperation mit DM), „My Care“ (Kooperation mit Bipa), „Vital&’sund Ihre Versandapotheke apotheke-österreich.at“ (Kooperation mit Quelle), „apo rot“ und „Apotheke.at“. Aus Tschechien senden die „VfG – Ihre Versandapotheke für Gesundheit“ und „Vamida“, aus der Slowakei die „Servus Apotheke“ und aus den Niederlanden die „Shop Apotheke“.

„Geiz ist geil“ – auch bei Medikamenten?

Die Preise der Angebote dieser acht Online-Anbieter können z. B. auf dem Portal „medikamentenpreise.at“ verglichen werden. Die Plattform ist seit 16. April 2014 online und wird als privates Projekt von Jens Apermann, Mitgründer der Versandapotheke DocMorris, betrieben. Als Service bietet „medikamentenpreise.at“ an, ihre Kunden auf Wunsch automatisch per E-Mail zu informieren, sobald sich der günstigste Preis für ein ausgewähltes Produkt ändert. Die Betreiber erklären in einer Aussendung, dass der Preisvergleich „das faktische Preismonopol, das bislang in Österreich herrscht, durchbricht“. Zugute würde dies insbesondere Menschen mit chronischen Erkrankungen und mit hohe Apothekenkosten kommen. „Diese sind in der Regel gut vertraut mit den Präparaten und können ihren Bedarf einige Tage im Voraus planen. Unter diesen Voraussetzungen können die Nachteile der Versandapotheken, nämlich die ohne Sichtkontakt eingeschränkte persönliche Beratung und die Lieferzeit von mindestens einem Tag, ausgeglichen werden“, argumentiert Apermann. „Ein Vorteil ist, dass die an den Patienten gesendete Rechnung als schriftliche Dokumentation für den behandelnden Arzt über den OTC-Konsum dienen kann. Viele Versandapotheken bieten auch einen Interaktionscheck an, um die Sicherheit für Patienten zu erhöhen“, so Apermann.

Analyse der aktuellen Preise

Betrachtet man die zehn Top-Marken im OTC- & Patient- Care-Markt, zeigt sich, dass im Preisvergleich Versandapotheke versus öffentliche Apotheke Abweichungen zur angegebenen Preisempfehlung von bis zu 36 % zugunsten des Fernabsatzes möglich sind.1 Besonders deutlich wird der Preisdruck der Versender im Vergleich der Durchschnittspreise auf OTC2-Level (Erklärung siehe Kasten). Hier zeigen sich Preisunterschiede zur öffentlichen Apotheke von bis zu 41 %.2
Es sind auch erste Trendzahlen für das 1. Quartal 2014 über Verkäufe von deutschen Versandhandelsapotheken, die nach Österreich liefern, verfügbar. Bei den Top 10 auf OTC1-Level (nach AVP; Erklärung siehe Kasten) zeigt sich, dass die Top-10-OTC-Klassen bei Versandhandelsapotheken und öffentlichen Apotheken fast ident sind.

Prognose für 2014

IMS HEALTH schätzt den Anteil des Versandhandels aufgrund erster bereits vorliegender Abverkaufsdaten auf derzeit ca. 4 %. Das Unternehmen rechnet für 2014 mit einem starken Wachstum von 6–8 %.3 Dieses wird bei rezeptfreien Produkten (OTC-Arzneimittel), Nahrungsergänzungen sowie im Bereich der Patient- und Personal Care (Kosmetik und Medizinalbedarf) gleichermaßen liegen. Der Anteil am Versandhandel wird sich laut IMS HEALTH somit bei 4–6 % einpendeln.

 

Was sind OTC-Klassen?

IMS HEALTH teilt OTC in eigene Klassen ein. Jeder Level definiert eine Detailkategorie bis hin zur Darreichungsform. Ein Beispiel anhand eines Acetylsalicylsäure-hältigen Schmerzmittels:
OTC1-Level: Schmerz- und Rheumamittel
OTC2-Level: Schmerzmittel
OTC3-Level: Allgemeines Schmerzmittel für Erwachsene
OTC4-Level: Allgemeines Schmerzmittel für Erwachsene (Kapsel/Tablette)

 

Quellen:
1 Preisvergleiche der 10 Top-Marken im OTC- & Patient-Care-Markt (mit MAT12/2013) bei „medikamentenpreise.at“ vom 17. 4. 2014
2 Daten deutscher Versandhandelsapotheken sowie IMS Combined Offtake Q1/2014
3 IMS Wien & IMS Frankfurt, Schätzung auf Basis IMS Austria OTC Offtake & IMS Versandhandelsdaten

 

 

PRO & CONTRA

 

„Ich möchte mit der Preisvergleichsplattform die gezielt gestreuten Ängste gegenüber dem Versandhandel durch eine gute Apothekenpraxis zerstreuen. Möglichst viele Kunden und Patienten sollen sich ihr eigenes Bild machen können und nicht nur das glauben, was die Apothekerkammer sagt. Patienten können auf der Website sehen, welche Medikamente es gibt, wie viel beim Einkauf gespart werden kann und welche Anbieter seriös sind. Den Standard der Abgabe von OTC können Versandapotheken ebenso gut wie stationäre Apotheken erfüllen – das hat die Praxis in Europa gezeigt. Der Status von Arzneimitteln wird nicht durch den günstigeren Preis verändert, es werden auch nicht mehr Arzneimittel konsumiert. Nach der Legalisierung des Versandhandels wird die Nachfrage über die Intensivierung des Wettbewerbs steigen. Ich erwarte, dass er sich in Österreich noch stärker etabliert als es in Deutschland der Fall war, vor allem, weil das Preisniveau in Österreich sehr hoch ist. Der Versandhandel wird also eine spürbare Preisentlastung für Kunden bringen.“

Jens Apermann

 

Bei Schnäppchenjägern, die Preisvergleiche nutzen, wird die Apotheke wenig Chancen haben. Aber: wir müssen unseren Kunden ins Bewusstsein bringen, dass wir Apotheker den persönlichen Kontakt bieten und sie in allen Lebenslagen begleiten, also echte Nahversorger sind. Deshalb muss sich die Apotheke weg vom reinen Handelsprodukt und dessen Logistik hin zur persönlichen und niederschwelligen Betreuung orientieren.

Mag. pharm. Ewald Wolfram

 

Ein Medikament kann über den Versandhandel vielleicht billiger sein, das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass es auch das richtige für den jeweiligen Kunden ist. Im Gegenteil: das falsche Medikament in der falschen Dosierung kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben und Kosten verursachen. Nur durch die persönliche Beratung kann das individuell richtige Medikament festgestellt werden.

Mag. pharm. Viktor Hafner