Kongressbericht „Interpharm 2013“: Selbstmedikation von Alltagsleiden in der Schwangerschaft

Das Verhalten und die Gesundheit einer schwangeren Frau haben Einfluss auf die Gesundheit und die Lebenserwartung ihres ungeborenen Kindes. Als optimale Bedingungen gelten ausreichende und ausgewogene Ernährung, die Vermeidung schädlicher Einflüsse, z. B. durch Medikamente und Alkohol, und die adäquate Behandlung von mütterlichen Erkrankungen. Im Interesse des ungeborenen Kindes sollte man sich deshalb immer gegen eine Arzneimittelanwendung entscheiden, wenn keine dringliche mütterliche Indikation zu einer Arzneimitteltherapie besteht.
Wenn nun aber eine schwangere Frau in der Apotheke steht und über Erkältungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Übelkeit klagt, stehen wir vor einem Dilemma: Müssen wir die Frau leiden lassen, um jedes Risiko für ihr Kind auszuschließen? Oder müssen wir nicht auch das Wohl dieser Frau bedenken und können und dürfen ihr Mittel empfehlen,um ihre Beschwerden zu lindern?

Um eine schwangere Frau in der Selbstmedikation zu behandeln, sind drei wichtige Punkte zu klären:

  1. Indikation: Sind die Beschwerden stark genug, dass eine Behandlung mit Arzneimitteln notwendig ist?
  2. Grenzen der Selbstmedikation: Sind die Beschwerden so schwerwiegend, dass eine Selbstmedikation nicht in Frage kommt und eine ärztliche Behandlung notwendig ist?
  3. Wirkstoffauswahl: Welche Wirkstoffe haben sich als sicher bei der Anwendung in der Schwangerschaft bewiesen?

Erfahrungswerte nutzen

Hilfestellung bei der Auswahl von geeigneten Wirkstoffen bietet z. B. die Datenbank des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité in Berlin (embryotox.de). Die Frage, welche Wirkstoffe in der Schwangerschaft vorrangig eingesetzt werden können, kann nur selten eindeutig positiv beantwortet werden, denn für die meisten Wirkstoffe liegen keine Daten für eine fundierte Risikobewertung vor. Dennoch gibt es viele Wirkstoffe auf dem Markt, bei denen aufgrund der weiten Verbreitung davon auszugehen ist, dass schon zahlreiche Schwangere diese Mittel eingenommen haben, ohne dass über irgendwelche embryotoxischen Schäden berichtet wurde. Ein Wirkstoff gilt als umso sicherer, je umfangreicher die Erfahrung mit diesem Stoff ist. Wirkstoffe mit geringeren Erfahrungswerten werden trotz fehlender Hinweise auf Teratogenität oder Fetotoxizität als unsicherer eingeschätzt.

Erkältungssymptome lindern

Eine Erkältung wird im Alltag häufig mit Arzneimitteln behandelt, damit die Beschwerden gelindert oder z. T. unterdrückt werden, um arbeitsfähig zu bleiben. Nach evidenzbasierten Leitlinien z. B. der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ist eine solche Behandlung nicht angezeigt. Zur Behandlung von Heiserkeit und Halsschmerzen werden von der DEGAM milde Hausmittel, wie Halswickel, Gurgeln mit Kamillen- oder Salbeitee, Gurgeln mit Salzwasser und Lutschen von Salbeibonbons empfohlen. Von sog. Hals­schmerzlutschtabletten oder Rachensprays wird ausdrücklich abgeraten. Bei starken Schmerzen geht die Empfehlung zu Paracetamol oder Ibuprofen. Die Therapieempfehlung für produktiven Husten lautet: ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Inhalationen mit Salzlösung. Diese Empfehlungen, Hausmittel statt Arzneimittel zu verwenden, gelten erst recht in der Schwangerschaft. Für die Anwendung von Sekretolytika gibt es zunächst keine Indikation. Erst wenn eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr über zwei bis drei Tage keine Verbesserung bringt, können Arzneistoffe zur Schleimlösung mit einbezogen werden. Aufgrund der größeren Erfahrung werden bei Erkältungen bevorzugt Acetylcystein, Ambroxol oder Bromhexin eingesetzt, während pflanzliche Sekretolytika mit Efeu oder Thymian noch nicht sicher beurteilt werden können. Zur Vorbeugung einer Sinusitis können neben salzhaltigen Nasentropfen auch abschwellende Nasentropfen bzw. -sprays mit der üblichen Einschränkung („nicht länger als fünf Tage“) eingesetzt werden. Arzneitees sollten nur ausgewählt und in Maßen getrunken werden. In Frage kommen Thymian und Spitzwegerich zum Schleimlösen, Malvenblüten und Eibischblätter zum Stillen des Hustenreizes und Salbei- und Kamillentee gegen Halsschmerzen. Pyrrolizidinhaltige Arzneidrogen, z. B. Huflattich, sind wegen ihrer potenziell mutagenen, karzinogenen und teratogenen Wirkung kontraindiziert. Generell gilt: Bei schwerem Krankheitsgefühl, starken oder anhaltenden Beschwerden ist zur Sicherheit ein Arztbesuch zu empfehlen, um eine schwere Infektion, wie Influenza oder bakterielle Superinfektion, möglichst frühzeitig ausreichend zu behandeln.

Kopfschmerzen behandeln

Kopfschmerzen sind gerade in der Frühschwangerschaft häufig, weil die Flüssigkeitsverteilung im mütterlichen Körper sich anpasst und dabei auch zerebrale Blutgefäße sich in der Weite ändern. Treten starke anhaltende Kopfschmerzen im zweiten oder dritten Trimenon auf, ist Vorsicht geboten. Es könnten z. B. Hinweise für Präeklampsie oder Hypotonie sein, die ärztlich abgeklärt und behandelt werden müssen.
Zur Behandlung können auch hier erst einmal Hausmittel wie Pfefferminzöl auf die Schläfen, Ruhe, ausreichend Trinken und Entspannungsübungen oder auch eine Tasse Kaffee mit Zitronensaft eingesetzt werden. Bis zu drei Tassen Kaffee (ca. 300 mg Coffein) gelten als unkritisch.
Das Mittel der ersten Wahl gegen Schmerzen (und Fieber) ist Paracetamol. Es kann zu jeder Phase der Schwangerschaft sicher eingesetzt werden. Im ersten und zweiten Trimenon (bis zur 28. Schwangerschaftswoche) sind auch NSAR möglich, vor allem Ibuprofen, Diclofenac oder Acetylsalicylsäure. Danach sind diese COX-2-Hemmer kontraindiziert, weil sie bei der Mutter die Wehentätigkeit herabsetzen, den Geburtsvorgang und die nachfolgende Blutung verlängern und das Risiko für Sodbrennen und Gastritis erhöhen. Beim Fötus führen sie zu einem verfrühten Verschluss des Ductus arteriosus Botalli mit der Gefahr eines pulmonalen Hypertonus und einer Nierenfunktionsstörung. Beim Neugeborenen erhöht sich das Risiko für intrakranielle Blutungen unter der Geburt. Die Kontraindikation gilt nicht nur für oral, sondern auch für lokal angewendete NSAR, z. B. für Diclofenac-Gele gegen Muskel- und Gelenkschmerzen.
Auch zur Migränebehandlung werden Ibuprofen oder Paracetamol evtl. in Kombination mit Coffein (oder ärztlich verordnet mit Codein) empfohlen. Reicht die Wirksamkeit nicht aus, können Triptane eingesetzt werden. Weil die meisten Erfahrungen mit Sumatriptan (Rp!) vorliegen, wird dieses dem Naratriptan oder Almotriptan aus der Selbstmedikation vorgezogen.

Übelkeit und Erbrechen mildern

Die meisten Beschwerden im Verlauf einer Schwangerschaft sind Magen-Darm-Beschwerden. Es startet mit der typischen Schwangerschaftsübelkeit bzw. dem sog. Schwangerschaftserbrechen, und es entwickeln sich im Laufe der Schwangerschaft zahlreiche Probleme, weil die wachsende Gebärmutter das Verdauungssystem einengt und Beschwerden wie Sodbrennen, Völlegefühl, Blähungen und Verstopfung auslöst. Schwangerschaftsübelkeit tritt aufgrund hormoneller Umstellung in den ersten Wochen der Schwangerschaft auf. Bei leichten Beschwerden kann es ausreichen, auf üppiges Essen zu verzichten, morgens vor dem Aufstehen Zwieback oder Knäckebrot zu essen und eventuell Ingwer (als Gewürz, Tee oder Extrakt in Kapseln) einzusetzen. Bei starken Beschwerden werden hohe Dosierungen von Vitamin B6 (bis zu 80 mg/d) oder Dimenhydrinat eingesetzt. In den USA und Kanada gibt es gute Erfahrungen mit Doxylamin, das in Deutschland nur als apothekenpflichtiges Hypnotikum bzw. Sedativum zugelassen ist (Anm. d. Red.: In Österreich ist Doxylamin succinat nur in einem apothekenpflichtigen Erkältungssirup enthalten). Bei starkem Erbrechen (Hyperemesis gravidarum) besteht die Gefahr des schweren Flüssigkeits- und Elektrolytverlusts. Hier ist eine ärztliche Behandlung, oft sogar ein Krankenhausaufenthalt notwendig.

Reflux, Obstipation und Diarrhö entschärfen

Durch den Druck der wachsenden Gebärmutter kommt es häufig zu einem Aufsteigen von Magensäure in die Speiseröhre und zu Sodbrennen. Alle Antazida sind für die Behandlung dieser Beschwerden kurzfristig einsetzbar. Bei aluminiumhaltigen Antazida (Magaldrat, Hydrotalcit) weisen die Packungsbeilagen darauf hin, dass die Gabe von Aluminiumsalzen bei Tierversuchen zu Schäden im Nervensystem geführt hat – bei der Anwendung der Wirkstoffe selbst sind keine schädlichen Wirkungen aufgetreten. Bei Verstopfung können Füll- und Quellmittel, aber bei Bedarf auch Lactulose und Macrogol empfohlen werden. Bei Durchfall werden vor allem Elektrolytersatz und medizinische Kohle eingesetzt. Bei Blähungen kann Dimeticon genutzt werden. Für fast alle Beschwerden im Bereich der Selbstmedikation finden sich Mittel, die bei Bedarf angewendet werden können.

Dokumentation

Um schwangere Patientinnen gut zu betreuen, ist es sinnvoll, alle Arzneimittel, die im Verlauf der Schwangerschaft eingenommen werden, zu dokumentieren. Auf diese Weise kann der behandelnde Gynäkologe informiert werden, und es können mögliche Auswirkungen zurückverfolgt werden. Gleichzeitig kann bei den Patientinnen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jede Arzneimitteleinnahme auch auf den Embryo bzw. Fötus einwirkt und dass eine professionelle Empfehlung von Arzt oder Apotheker Sicherheit bieten kann.

Literatur:

• Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Datenbank des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie

• Schaefer, Spielmann, Vetter, Weber-Schöndorfer: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit.Urban & Fischer, München, 8. Aufl., 2012

 

Quelle: Interpharm 2013, 15. 3. 2013, Hamburg