Etwa jede zweite Frau erkrankt im Lauf ihres Lebens an einem Harnwegsinfekt. Meist verläuft die Krankheit unkompliziert, sie ist aber dennoch äußerst unangenehm. Auch wiederkehrende Infekte (Rezidive) machen den Betroffenen – zumeist Frauen – das Leben schwer. In der Apotheke wünschen sie sich eine einfühlsame Beratung und Empfehlungen, die rasch und auf verträgliche Weise die Beschwerden lindern und das Risiko eines Rezidivs reduzieren. Eine gute und beliebte Option stellt deshalb in vielen Fällen die Phytotherapie dar. Spasmolytische, antiphlogistische und harnwegsdesinfizierende pflanzliche Mittel sowie zur Durchspülungstherapie geeignete Diuretika beziehungsweise Aquaretika ermöglichen eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Selbstmedikation.1, 2
Bei E. coli und anderen pathogenen Bakterien erfolgt die Kontaktaufnahme mit dem Gewebe über tentakelartige Fimbrien, an deren Oberfläche Lektine präsentiert werden. Die Adhäsion der Bakterien gilt als Grundvoraussetzung für die Infektion.3 „Untersuchungen mit Cranberry-Extrakten haben ergeben, dass die Adhäsion, aber auch das Eindringen von Bakterien in das Epithel durch die enthaltenen oligomeren Procyanidine gehemmt werden“, erklärt Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Kubelka vom Department für Pharmakognosie in Wien. Auch eine Hemmung der schädlichen Biofilmbildung konnte nachgewiesen werden.4 „Es kommt zu einer Störung der Kommunikation der Bakterien untereinander, des sogenannten Quorum sensing.“ Auch Preiselbeeren enthalten oligomere Procyanidine (OPC) und hemmen das Andocken von Bakterien an der Blasenwand.
Neue Arbeiten weisen auf eine weitere Wirkqualität hin. Kubelka dazu: „Ein bisher noch unbekannter Cranberry-Inhaltsstoff führt über einen anderen Mechanismus ebenfalls zur Adhäsionshemmung. Diese kommt durch eine verstärke Sekretion des Tamm-Horsfall-Proteins, das auch als Uromodulin bezeichnet wird, in den Harn zustande.“5
Zubereitungen aus Bärentraubenblättern (Uvae ursi folium) wirken antibakteriell gegen zahlreiche pathogene Mikroorganismen und Pilze. Die Wirkung ist auf die enthaltenen Phenolglykoside, unter anderem Arbutin, zurückzuführen. Kubelka erklärt das Wirkprinzip: „Nach Resorption im Dünndarm wird in der Leber aus Arbutin durch Glykosidspaltung Hydrochinon freigesetzt, das – an Glucuron-und Schwefelsäure gebunden – im Harn ausgeschieden, dort von den Bakterien in einer Art ‚suizidaler Absicht‘ aufgenommen und wieder in das für sie toxische Hydrochinon übergeführt wird.“ Arbutin fungiert demnach als Prodrug.6 Um eine entsprechende Wirkung zu erzielen, ist deshalb die früher empfohlene Alkalisierung des Harnes nicht notwendig.7
Auch die Krenwurzel übt eine antibakterielle Wirkung aus. Für die Wirkung sind Senföle verantwortlich, sie werden durch Spaltung aus Senfölglykosiden gebildet und im Dünndarm rasch resorbiert.1 Senfölglykoside findet man auch im Brunnenkressenkraut, das bereits vom berühmten griechischen Arzt Dioskurides gelobt wurde. In der getrockneten Droge findet man vorwiegend die scharf schmeckenden Isothiocyanate, vor allem Hirsutin und 2-Phenylethyl-Isothiocyanat. Hirsutin zeigt stark antibakterielle Wirkungen.3 „Ähnliches gilt für Kapuzinerkressenkraut“, sagt Kubelka. „Bewährt hat sich eine Kombination von Cranberry, Brunnenkresse und Meerrettich. Diese wurde auch in Leitlinien aufgenommen.“ Eine weitere Option seien Hibiskusblüten (Hibisci flos). „Diese säuern den Harn an und helfen dadurch, das Bakterienwachstum zu hemmen.“
Birkenblätter (Betulae folium), Brennnesselblätter (Urticae folium), Goldrutenkraut (Solidaginis herba, Solidaginis virgaureae herba), Schachtelhalmkraut (Equiseti herba), und Orthosiphonblätter (Orthosiphonis folium) fallen unter die Gruppe der Aquaretika. „Zum Unterschied von synthetischen erhöhen pflanzliche Diuretika die Harnmenge fast ausschließlich durch vermehrte Wasserausscheidung, ohne den Elektrolythaushalt wesentlich zu beeinflussen“, erläutert Kubelka. „Diese Aquaretika eignen sich daher zur Ausschwemmung von Keimen und Toxinen und zur Durchspülungstherapie.“ Je nach Arzneidroge kommen zusätzlich zur aquaretischen Wirkung auch noch antiphlogistische, spasmolytische und keimhemmende Wirkungen zum Tragen. Empfohlen wird unter anderem eine Kombination von Birkenblättern und Goldrutenkraut mit Bärentraubenblättern. Kubelka weist außerdem darauf hin, dass Aquaretika vorzugsweise in Form von Arzneitees angewendet werden, damit wird die erwünschte erhöhte Flüssigkeitszufuhr für eine Durchspülungstherapie am besten erreicht.
Ein guter Tipp bei Harnwegsinfekten sind Rosmarinblätter (Rosmarini folium). Kubelka nennt die Gründe: „Das ätherische Öl mit Cineol, Campher, Alpha-Pinen und anderen Monoterpenen, aber auch andere Inhaltsstoffe der Rosmarinblätter wie Di-, Triterpene, Phenolcarbonsäuren und Flavonoide wirken harntreibend und sorgen damit für eine bessere Ausspülung der Keime.“ Gleichzeitig wurden für Extrakte aus Rosmarinblättern in vitro antibakterielle Eigenschaften nachgewiesen. In vivo und in vitro wurde eine spasmolytische Wirkung ermittelt.6 Bei Harnwegsinfekten bewährt hat sich die gleichzeitige Verwendung mit Liebstöckelwurzel und Tausendguldenkraut8, auch bekannt als RTL-Kombination.9 Substanzen aus allen drei Arzneidrogen haben eine bakterizide Wirkung.9 Das ätherische Öl von Rosmarinblättern und Liebstöckelwurzel wird nach der Aufnahme zum Teil über die Niere ausgeschieden und wirkt somit direkt am Ort der Erkrankung. Aufgrund einer gesteigerten glomerulären Filtration wird die Harnmenge gesteigert und das Ausspülen der Keime gefördert. Sowohl Lamiaceengerbstoffe aus Rosmarinblättern als auch Inhaltsstoffe des Tausendguldenkrautes (Centaurii herba) sorgen für eine entzündungshemmende Wirkung. Komponenten der Liebstöckelwurzel (Alkylphthalide), der Rosmarinblätter und des Tausendguldenkrautes (unter anderem Secoiridoide) haben außerdem spasmolytische Effekte.9
Insgesamt gibt es viele Belege, die für eine Anwendung der Phytotherapie bei Harnwegsinfekten sprechen. Wolfgang Kubelka hebt den Multi-Target-Ansatz von pflanzlichen Kombinationen hervor. „Die Kombination mehrerer Pflanzen hat sich gerade auch bei Harnwegsinfekten deshalb sehr gut bewährt.“
Literatur:
1 Fintelmann V, Weiss RF, Kuchta K, Lehrbuch Phytotherapie, 13. Auflage. Haug Verlag 2017
2 Schilcher H, Leitfaden Phytotherapie, 5. Auflage. Elsevier/Urban & Fischer München 2016
3 Nowack R, Zeitschrift für Phytotherapie 2006
4 Ulrey RK et al., Cranberry PACs have antibiofilm properties against P. aeruginosa. BMC 2014, 14:499
5 beschrieben in: Scharf B, Hensel A, Cranberry-Extrakt moduliert die Freisetzung von antiadhäsivem Tamm- Horsfall-Protein aus der Niere, Z. Phytotherapie 40, 4–8 (2019)
6 Blaschek W, Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka, 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2016
7 Bauer R, APOKolleg Bärentraubenblätter. MedMedia Verlag 2016
8 Wagenlehner F M et al., Non-Antibiotic Herbal Therapy (BN0 1045) vs Antibiotic Therapy (Fosfomycin Trometamol) for the Treatment of Acute Lower Uncomplicated Urinary Tract Infections in Women, DOI: 10.1159/000493368, Urol Int 2018
9 Kopp B, APOKolleg Rosmarin. MedMedia Verlag 2017