Verdauungsprobleme: ein Frauenthema

Statistisch ist leicht nachzuvollziehen, dass Frauen viel öfter als Männer unter Blähungen, Durchfall oder Verstopfungen leiden. Insbesondere von der so genannten ideopathischen Verstopfung, deren Auslöser nicht eindeutig erkennbar sind, sind deutlich mehr Frauen betroffen. Seltener Stuhlgang und das Gefühl, sich dabei sehr anstrengen zu müssen, machen gerade Frauen zu guten Kunden für Laxanzien. Gendermäßig werden dabei immer wieder Unterschiede im geschlechtsspezifischen Stoffwechsel angeführt; scheinbar gilt dabei auch die unzureichende Zufuhr von Ballaststoffen oder Flüssigkeit als frauenspezifisches Merkmal. Wissenschaftlich wesentlich bedeutender ist aber, dass sich schon die Resorption der Nahrung bei Frauen und Männern deutlich unterscheidet, da die Magen- und Darmmotilität bei Männern wesentlich stärker ausgebildet ist. Bei Frauen ist dadurch die Kontaktzeit für die Resorption reduziert, was auch bei der Aufnahme von Arzneistoffen signifikante Auswirkungen zeigt. Darüber hinaus unterscheidet sich generell die Enzymaktivität der Geschlechter: bestes Beispiel ist die Aktivität der Aldehyddehydrogenase im Magen, die bei Männern wesentlich höher ist, weshalb Frauen auch schlechter Alkohol abbauen. Das­selbe Phänomen betrifft auch die Verdauungsenzyme.

Schilddrüse – Schwachstelle der Frau

Verdauungsprobleme können aber auch auf Funktionsstörungen der Schilddrüse zurückgehen. Auch dabei gibt es eine geschlechtspezifische Tendenz zu den Frauen. Eine Unterfunktion der Schilddrüse verlangsamt den Stoffwechsel sowie die Motilität im Magen-Darm-Trakt und führt daher nahezu zwingend zur Verstopfung. Bei einer Überfunktion ist hingegen der Grundumsatz erhöht; gesteigerte Darmmotilität, Durchfall und Gewichtsverlust sind hier die logischen Konsequenzen.

Geschlechterstreit um Stresshormon CRH

Gendermediziner sehen als Ursache für die weiblichen Verdauungsbeschwerden vor allem eine gesteigerte Stressempfindlichkeit, die im Gehirn durch verschiedene biochemische Prozesse nachweisbar ist. Im Tierversuch kann man nämlich deutlich zeigen, dass männliche und weibliche Versuchstiere eine ganz unterschiedliche Empfindlichkeit der Rezeptoren für das Stresshormon CRH aufweisen, das indirekt auch für die Aktivierung von Cortisol verantwortlich ist. Das unterschiedliche Stressverhalten von Mann und Frau scheint also doch nicht nur anerzogen zu sein, sondern bereits genetisch vorprogrammiert.

„Ötzi“-Darmflora im Vergleich

Geschlechtspezifische Unterschiede in der Darmflora lassen sich zur Zeit nur im Tierexperiment zeigen: wie im Jänner dieses Jahres im Fachjournal „Science“ präsentiert wurde, dürfte Testosteron einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmflora haben. Auch umgekehrt dürften die Darmbakterien den Hormonspiegel beeinflussen können. Ob diese Ergebnisse aber auf den Menschen übertragbar sind, muss noch geklärt werden.
Tatsächlich nachgewiesen hat man hingegen, dass unsere moderne Lebensweise die menschliche Darmflora dramatisch verändert. US-Forscher haben dazu vorhandene Daten zur Darmflora unserer Gletschermumie „Ötzi“ mit modernen, erwachsenen US-Amerikanern verglichen. Antibiotika und eine verbesserte Hygiene haben demnach die Anzahl der physiologischen Darmbakterien drastisch reduziert. Die regelmäßige Substitution mit Probiotika scheint also durchaus berechtigt zu sein.

 

Literatur:
1 Janet GM et al., Science, 17 January 2013, DOI: 10.1126/science.12335211
2 Tito RY et al., PLoS ONE 7(12): e51146. doi:10.1371/journal.pone.0051146