Qualität und Patientensicherheit gehen Hand in Hand

ARZT & PRAXIS: Herr Dr. Wechselberger, was zeichnet Ihre tägliche Arbeit als niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin aus und was schätzen Sie an Ihrem Beruf besonders?

Dr. Artur Wechselberger: Seit mittlerweile 36 Jahren biete ich meinen Patienten leicht zugängliche, umfassende, koordinierte und kontinuierliche hausärztliche Versorgung. Das Aufgabengebiet ist vielfältig und reicht von der medizinischen Grundversorgung über die kontinuierliche Betreuung chronisch Kranker bis hin zu Familienmedizin oder der Substitution Drogenkranker.
Neben der allgemeinen Patientenbetreuung liegen meine Fachschwerpunkte in der Sportmedizin sowie im Bereich Geriatrie und Palliativmedizin. Mit der Sportmedizin bewege ich mich mehr auf der präventiven Schiene mit meist jüngeren Patienten. Dazu gehören z. B. auch die Versorgung kleinerer Verletzungen oder Rehabilitationsprogramme. Der Schwerpunkt Geriatrie und Palliativmedizin hat sich aus der Lage meiner Praxis in einem Innsbrucker Stadtteil mit (ehemals) vielen alten Einwohnern ergeben. Die Abwechslung ist etwas, das mir am Beruf des Allgemeinmediziners besonders gefällt. Ich könnte mir nicht vorstellen, mich nur auf ein bestimmtes Organ zu konzentrieren.

Neben Ihrer ärztlichen Tätigkeit sind Sie seit vielen Jahren auf höchster Ebene kammerpolitisch aktiv. Was ist Ihre Motivation, sich hier zu engagieren?

Es ist mir ein echtes Anliegen, die Arbeitsbedingungen für Ärzte so zu gestalten, dass sie die Medizin als Angehörige eines freien Berufes ausüben können, denn das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Ärzte die Errungenschaften der Medizin möglichst rasch und unbeeinflussbar im Sinne ihrer Patienten umsetzen können. Damit verbunden ist natürlich auch ein gewisser Gestaltungswille das Gesundheitssystem betreffend. Als Ärztekammer wollen wir ein freies und kein staatliches Gesundheitssystem. Die ärztliche Kompetenz soll in gesundheitspolitische Entscheidungen einfließen. Und natürlich ist uns auch die wirtschaftliche Absicherung der Ärzte wichtig, denn nur dann können sie unabhängig tätig sein und im Interesse jedes einzelnen Patienten handeln.

Eine Ihrer aktuellen Funktionen in der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) ist die des Leiters des Referats Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Welche Aufgaben haben Sie hier?

Da ist einmal die kammerinterne Aufgabe, also die Koordination aller Qualitätsaktivitäten der ÖÄK sowie auch die Koordination mit den zuständigen Referenten der einzelnen Bundesländer. Im Qualitätsausschuss, den ich leite, treffen die Bundesländervertreter zusammen und diskutieren die Notwendigkeiten im Bereich Qualitätssicherung und -management: Wo braucht es Änderungen, wo Korrekturen? Wie läuft es mit der Qualitätsevaluierung in den einzelnen Bundesländern?
Darüber hinaus gehöre ich als Vertreter der ÄK dem wissenschaftlichen Beirat sowie dem Evaluierungsbeirat der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement (ÖQMed) an. Die ÖQMed wurde 2004 von der ÖÄK gegründet. Eine ihrer Hauptaufgaben ist die Abwicklung der Evaluierung der Arztordinationen. Im wissenschaftlichen Beirat werden die Empfehlungen für die Qualitätskriterien erarbeitet, auf deren Basis die Qualitätssicherungsverordnung erstellt wird. Diese ist Grundlage für die Evaluierung von Ordinationen und Gruppenpraxen. Dieser Evaluierungsprozess wird vom Evaluierungsbeirat begleitet, dessen Vorsitz ich innehabe. Hier geht es darum, die ÖQMed bei der Planung, Durchführung und praxisgerechten Umsetzung der Evaluierung und Kontrolle zu unterstützen. Gegebenenfalls kann auch die Beurteilung individueller Evaluierungsergebnisse notwendig sein. Im Evaluierungsbeirat sind alle wesentlichen Partner des Gesundheitswesens vertreten, darunter das Bundesministerium für Gesundheit, die Sozialversicherungsträger, die Arbeiterkammer, Patientenvertreter sowie Ländervertreter der ÄK. Generell stehe ich der ÖQMed beratend zur Verfügung, wann immer es um medizinische oder medizinnahe Fragen geht.

Wie läuft nun so ein Evaluierungs-prozess in der Praxis ab?

Die für jeden niedergelassenen und praxisführenden Arzt verpflichtende Evaluierung ist in fünfjährigen Zyklen durchzuführen. Es handelt sich grundsätzlich um eine Selbstevaluierung – eine bewährte Methode vieler Qualitätsmanagementsysteme. Für die Selbstevaluierung ist ein ausführlicher Fragebogen online auszufüllen. In einem nächsten Schritt werden ca. 7 % der Praxen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und im Rahmen eines Audits durch einen Qualitätssicherungsbeauftragten der ÖQMed überprüft.
Zusätzlich werden auch immer wieder anlassbezogene Evaluierungen durchgeführt, z. B. wenn Beschwerden seitens eines Sozialversicherungsträgers oder der ÄK an die ÖQMed herangetragen werden.
Der Evaluierungsprozess erfolgt nach Bundesländern geordnet, im letzten Jahr jedes fünfjährigen Zyklus gibt es eine sogenannte Sammelwelle, in der jene Praxen evaluiert werden, die zwischenzeitlich neu eröffnet haben.
Am Ende der erfolgreichen Evaluierung erhält der Arzt ein Zertifikat, das 5 Jahre gültig ist.

Für 2018 ist eine Neuauflage der Qualitätssicherungsverordnung geplant. Welche wichtigen Neuerungen wird es geben?

Die neue Qualitätssicherungsverordnung wurde über das gesamte vergangene Jahr erarbeitet, in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit, das ja letztlich der „Auftraggeber“ für diese Verordnung ist. Die kontinuierliche Abstimmung und Zusammenarbeit ist für den rechtzeitigen Beschluss der Verordnung essenziell. Die Novelle muss im Dezember 2017 beschlossen werden, damit der mittlerweile dritte Evaluierungszyklus pünktlich Anfang 2018 starten kann. Die Bundesländer Niederösterreich und Vorarlberg werden auch diesmal wieder die Ersten sein.
Zu den Neuerungen: Diese betreffen im Wesentlichen die Online-Selbstevaluierung. Ein Schwerpunkt wurde hier auf Patientenzentriertheit gelegt. Abgefragt werden Dinge wie: Ist eine ärztliche Vertretung sichergestellt, wenn der Arzt selber ausfällt? Neu zu berücksichtigen waren auch die Spezialisierungen (anstelle der früheren Additivfächer) – vor allem was die Ausstattungslisten betrifft, gab es hier Handlungsbedarf. Darüber hinaus wurden generell umständliche oder unklare Formulierungen im Fragenkatalog redaktionell überarbeitet und verbessert.
Weiters gibt es auch einen Teil, der die Anwendung von Qualitätsmanagementsystemen in der Praxis zum Thema hat.

Warum sollte sich ein Arzt für ein solches Qualitätsmanagementsystem entscheiden?

In Deutschland ist die Verwendung eines Qualitätsmanagementsystems vorgeschrieben, dafür wird aber die Praxis nicht überprüft. In Österreich machen wir es umgekehrt: Es ist für den Arzt nicht verpflichtend, ein „fertiges“ Qualitätsmanagementsystem zu verwenden, er muss aber nachweisen, dass die Inhalte, die solche Systeme haben, in seiner Praxis umgesetzt wurden. Gleichzeitig fragen wir auch ab, wie weit die Ärzte darin sind, Teile oder ganze Qualitätsmanagementsysteme in ihren Praxen zu implementieren.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade junge Kollegen, die eine neue Praxis gründen, großes Interesse am Qualitätsmanagement zeigen. Das ist auch einer der Gründe, warum die ÖQMed ein eigenes Qualitätsmanagementsystem anbietet: ÖQM®.
ÖQM besteht aus vielen verschiedenen, kostenfrei anwendbaren Modulen. Anders als beispielsweise bei ISO wird nicht ein gesamter Zertifizierungsprozess gekauft, der mit einem Zertifikat abschließt, sondern jeder Arzt kann aus dem Angebot der verschiedenen Qualitätsmanagement-Tools jene auswählen, die für seine Praxis passen. Das ist wichtig, denn wir haben in Österreich 50 verschiedene Sonderfächer. Ein Facharzt für Labormedizin mit 50 Mitarbeitern und viel technischem Equipment hat ja ganz andere Bedürfnisse als ein Psychiater mit einer halbtags angestellten Mitarbeiterin und einer Couch. Deswegen macht es Sinn, ein modulhaftes System anzubieten. Die einzelnen Module, zugehörige Dokumente und Vorlagen stehen kostenlos zum Download zur Verfügung. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, das ÖQM komplett anzuwenden und die Praxis gegen Entgelt auditieren und zertifizieren zu lassen.

Qualitätssicherung wird oft mit Kontrolle verwechselt …

Die regelmäßige Qualitätsüberprüfung und -sicherung soll einen stetigen Verbesserungsprozess in Gang setzen. Alles dreht sich um das Qualitätsprinzip – und das ist es auch, was Ärzte in ihren Praxen wollen. Sie möchten moderne und sichere Medizin machen und hygienische Standards einhalten. Es hat einige Zeit gedauert, den Ärzten klarzumachen, dass man dieses Bemühen um Qualität auch darlegen muss. Vertrauen kann ich nur dann erzeugen, wenn ich nachweise, dass bestimmte Maßnahmen, z. B. in Bezug auf Hygiene, sichere Dokumentation, Patientenaufklärung oder barrierefreien Zugang zur Ordination, gesetzt wurden. Die Patienten wollen sich sicher sein können, dass, wenn sie in eine Ordination kommen, die Patientensicherheit an erster Stelle steht. Ich glaube, da sind wir auf einem ganz guten Weg.

Stichwort Patientensicherheit: Mit dem Fehlerberichts- und Lernsystem CIRSmedical wurde hier bereits ein großer Schritt getan …

Dieses System ist eines meiner Lieblingskinder! CIRSmedical wurde 2009 auf Initiative der ÖÄK ins Leben gerufen. Von Anfang an eingebunden waren auch das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen. CIRSmedical wurde nicht komplett neu erfunden, als Vorbilder dienten bereits vorhandene Systeme in Deutschland und der Schweiz, die wir an die Bedürfnisse hierzulande angepasst haben.
Besonders wichtig erschien uns beispielsweise die Anonymität desjenigen, der einen Fehler oder Missstand meldet. Noch bevor eine Meldung in CIRS die ÖQMed erreicht, wird die IP-Adresse des Melders deshalb gelöscht. Der Beitrag wird von der ÖQMed nach-anonymisiert (Namen, Ortsangaben werden gelöscht) und anschließend an einen Experten weitergeleitet, der das Ereignis bewertet und aufzeigt, wie es vermieden werden könnte. Andere Experten können sich ebenfalls an der Diskussion beteiligen und ihre Sicht der Dinge darlegen. Davon lebt das System.
Wir würden uns natürlich wünschen, dass die Anonymität irgendwann nicht mehr nötig ist und dass man Fehler mit Namen meldet. Aber so weit sind wir noch nicht. CIRS hat viel mit der Entwicklung von „Fehlerkultur“ zu tun.

Was versteht man unter Fehlerkultur?

Fehler passieren, Beinahe-Fehler passieren, das muss man sich als Angehöriger eines Gesundheitsberufes eingestehen. Es ist wichtig, nicht einfach wegzuschauen, sondern aus diesen Fehlern zu lernen, damit sie in Zukunft vermieden werden können. Meldet man solche Fehler (oder auch Beinahe-Fehler), gibt man damit auch anderen die Chance, daraus zu lernen.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der ebenfalls zur Fehlerkultur gehört, ist: Wie gehe ich mit einem Patienten um, der möglicherweise durch einen Fehler Schaden erlitten hat? Wichtig ist, auf den Patienten zuzugehen, mit ihm zu kommunizieren, Verantwortung zu übernehmen.

Welche Art von Fehlern wird am häufigsten gemeldet?

Keine Frage, die Medizin ist ein Hochrisikobereich. Pharmaka sind gefährlich, sie sind Gift. Erst die richtige Dosis und Indikation machen sie zu einem Heil bringenden Instrument. Das Gleiche gilt für Eingriffe aller Art. Wenn man aber genauer hinschaut, sieht man, es geht ganz oft um Fragen der Kommunikation und Organisation. Über 40 % der Meldungen in CIRS betreffen Fehler in der Kommunikation. Die moderne Medizin ist extrem arbeitsteilig und damit anfällig für Kommunikations- und Organisationsfehler.

Wer soll/kann Meldungen in CIRS machen?

Unser Ziel ist es, möglichst viele Einrichtungen (Krankenhäuser, Rettungen etc.) mit CIRS zu versorgen. Schließt sich ein Krankenhaus an CIRS an, wird eine eigene Meldegruppe vergeben. Diese Meldegruppen können für das Aufzeigen und die Diskussion hausinterner Fehler verwendet werden. Beiträge, die auch für die Allgemeinheit interessant sind, können in den für alle offenen Bereich von CIRS eingespielt werden. Aktuell sind 15 Meldegruppen vergeben.
Weil wir bemerkt haben, dass nicht nur Angehörigen von Gesundheitsberufen Fehler- und Gefahrenquellen auffallen, sondern auch Patienten und Angehörigen, wurde CIRS vor Kurzem auch für diese Personengruppen freigeschaltet. Damit können wir noch mehr aus CIRS herausholen.
Im nächsten Schritt wollen wir nun aus der Summe der CIRS-Meldungen ein Lernsystem für Ärzte aufbauen. Medikamentenfehler, Kommunikationsfehler und Verwechslungsfehler sollen in Gruppen zusammengefasst und den Ärzten als Online-Lerntools zur Verfügung gestellt werden.

Wie wird CIRS von den Ärzten angenommen?

Das System wird erfreulich gut angenommen. Seit dem Start 2009 gab es rund 500 Meldeeinträge, dazu 400 Kommentare. In dieser Zeit verzeichnete CIRS insgesamt etwa 300.000 Zugriffe. Aktuell sind es ungefähr 3.500 Zugriffe pro Monat, Tendenz steigend.
Patientensicherheit wurde erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein wirklich zentrales Thema. Ausschlaggebend war u. a. das im Jahr 2000 erschienene Buch „To Err is Human – Building a Safer Health System“, das aufzeigt, dass mehr Leute an medizinischen Fehlern im Krankenhaus versterben als bei Verkehrsunfällen. Das war der Start für Qualitätssicherungsprozesse in der Medizin. Seither hat sich vieles verbessert, wir haben CIRS initiiert und sind in der „Plattform Patientensicherheit“ aktiv. Diesen Weg wollen wir konsequent weitergehen.

Welchen Stellenwert hat die regel-mäßige ärztliche Fortbildung in Ihren Augen für die Patientensicherheit?

Das Wissen und Können des Arztes stellen die Basis für die ärztliche Leis-tungserbringung dar. Wenn es daran fehlt, scheitert jedes Qualitätsbemühen – da hilft die schönste und „zertifizierteste“ Praxis oder Klinik nichts.
Als ÄK haben wir daher großes Interesse daran, dass die Fortbildung in Österreich gut funktioniert – und das tut sie, denke ich! So, wie sich die ÖQMed um den Bereich der Qualitätssicherung kümmert, ist die Österreichische Akademie der Ärzte mit sämtlichen Agenden der ärztlichen Fortbildung und deren Dokumentation (DFP-Diplom) betraut. Eine der Hauptaufgaben der Akademie der Ärzte ist die Prüfung sämtlicher Fortbildungen (Veranstaltungen und E-Learnings) hinsichtlich deren Qualität. Fällt die Beurteilung positiv aus, wird die Veranstaltung für das DFP approbiert.
Das Fortbildungsangebot in Österreich ist sowohl thematisch als auch hinsichtlich der Veranstaltungsformate sehr breit gefächert. Neben großen Kongressen und Seminaren gibt es auch Fortbildungen in kleinerem Rahmen, wie Qualitätszirkel oder die Hospitation. Ein umfassendes E-Learning-Angebot rundet das Angebot ab.

Was ist Ihnen wichtig beim Thema Fortbildung?

Ein wichtiges Qualitätskriterium für mich – wie auch für die meisten Kollegen – ist die Praxisnähe von Fortbildung. Seminare oder Kurse, in denen Ärzte Informationen über neue Medikamente oder Methoden erhalten, die ihnen in ihrem Berufsalltag unmittelbar nützlich sind, sind am besten besucht.
Ebenfalls wichtig ist die Verfügbarkeit. Nicht immer ist es einfach, die Ordination zuzusperren und für eine Veranstaltung irgendwohin zu fahren. Es sollte deshalb einen guten Mix geben aus regionalen und überregionalen Veranstaltungen sowie E-Learning-Angeboten, die zu Hause absolviert werden können.
Unverzichtbar ist die Unabhängigkeit ärztlicher Fortbildung. Es ist eine Tatsache, dass Fortbildung für den einzelnen Arzt mit teilweise hohen Kosten verbunden ist (Reisekosten, Kongress- bzw. Teilnahmegebühren), sodass es notwendig ist, hier Unterstützer zu finden. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die Fortbildung per se frei von wirtschaftlichen Interessen ist, d. h. die Inhalte sind nach rein medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien und im Sinne einer guten Patientenbetreuung zu wählen, ohne Einflussnahme des Sponsors. Als ÄK sind wir bemüht, diesen Weg konsequent zu gehen.