Big Data in der Medizin: Datenspeicher so groß wie ein Würfelzucker

Der rapide Fortschritt bei Bandbreiten, Speicher- und Rechnerleistungen bringt rasante Veränderungen mit sich und ermöglicht individuell zugeschnittene Services und Anwendungen. „Big Data“ steht dabei stellvertretend für alle Techniken, mit denen sich diese Datenmengen speichern und analysieren lassen und die bis vor Kurzem noch zu groß waren (Volume), sich zu schnell änderten (Velocity) oder zu heterogen (Variety) waren, um sie überhaupt sinnvoll verarbeiten zu können. „Wir müssen uns die Frage stellen, wieweit diese personalisierten Daten gerade vor dem Hintergrund der Datenschutzgrundverordnung für die Forschung und Anwendung zur Verfügung stehen. Mutiges Innovieren im Bereich Datenanalyse braucht in Europa neue Spielräume. An Big Data führt für mich kein Weg vorbei, es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Technologie und das Know-how dahinter aus Österreich und aus Europa stammen“, sagt Mag. Dr. Harald Mahrer, Präsident der ­Österreichischen Wirtschaftskammer.
Dass die Zukunft „data-driven“ ist, bekräftigte kürzlich auch der Mathematiker Professor Dr. Allan Hanbury anlässlich seiner neuen Stiftungsprofessur „Data Intelligence“ an der TU Wien und er beschreibt weiter: „Durch die Digitalisierung sind wir mit einer wachsenden Menge an Daten konfrontiert. Wir stehen vor der Herausforderung, diese Daten für die spezifischen ­Anforderungen effektiv und effizient zu analysieren, um wichtige und vielleicht ­unerwartete Erkenntnisse zu gewinnen.“ Hinter dem Begriff „Data Intelligence“ ­verbirgt sich das Know-how, Datenmengen intelligent auszuwerten und aufzubereiten, um damit komplexe Entscheidungsprozesse zu vereinfachen – so wie es in der Medizin tagtäglich erforderlich ist.

Ohne Vernetzung geht es nicht

Durch die Digitalisierung steht die Medizin vor Veränderungen, die von den meisten derzeit im System agierenden Berufsgruppen schwer abzuschätzen ist. Viele wollen es auch nicht wahrhaben, dass sich gerade die „Kunst“ der Medizin in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren so radikal verändern wird, wie es beispielsweise in der Autoindustrie vor rund 20 Jahren passiert ist. „Das Wissen aller europäischen Forschungseinrichtungen werde bald auf einem Speicher in der Größe eines Zuckerwürfels Platz haben“, sagt Mahrer und ergänzt: „Big Data ist nicht nur Thema für große Unternehmen. Im Gegenteil: Eine Vielzahl an jungen, engagierten Start-ups positioniert sich sehr erfolgreich in diesem Segment. Ich würde mir aber natürlich noch ein Mehr an Vernetzung wünschen. Aus diesem Grund forciert die Wirtschaftskammer nicht nur die Zusammenarbeit mit heimischen Unis, sondern auch die Kooperation mit internationalen Forschungseinrichtungen wie der ETH Zürich, dem MIT oder Stanford.“ Österreichs Ziel ist es aus Sicht des WKO-Präsidenten, einer der führenden Innovationsstandorte zu werden – doch das hängt wesentlich davon ab, wie aktuell das Datenmaterial ist, mit dem geforscht werden kann: „Gerade im Bereich von Biotech werden immer stärker maß­geschneiderte Forschungsergebnisse verlangt. Wir benötigen hier einen zentralen europäischen Ansatz, der praxisnahe Regelungen ebenso im Fokus hat wie eine erfolgreiche Positionierung der EU als Hightech-Standort. Was die technologischen Rahmenbedingungen in Österreich betrifft, müssen wir im Hinblick auf den 5G-­Ausbau die Ärmel aufkrempeln. Egal, ob Stadt oder Land, der Ort, an dem aus Daten Wissen gemacht wird, muss unwesentlich sein. Schaffen wir das, dann stärken wir unsere Wirtschaft maßgeblich. Und wir müssen die entsprechenden Skills bei unseren Studenten stärken, also echte Data Scientists ausbilden“, sagt Mahrer.

Sektoren statt Silos

Dazu braucht es Zentren, an denen das neue Datenwissen zusammengeführt wird. Es braucht Plätze, an denen idealerweise Unternehmen, Forschung aus Medizin und Technik sowie Studium zusammenfinden können. „Ich denke, dass wir es in fünf bis zehn Jahren mit einer Vielzahl an Unternehmen in diesem Bereich zu tun haben werden. Big Data wird die Medizinprodukte-Industrie völlig umkrempeln, weil immer individuellere Anwendungen gefragt sein werden. Und das ermöglicht eine Vielfalt an Chancen für innovative kleine und mittlere Unternehmen“, ist Mahrer überzeugt. Damit diese Technologien aber aus den Elfenbeintürmen und Forschungssilos in der Praxis ankommen, braucht es Entscheidungsträger, die Verantwortung übernehmen. „Der richtige Mix aus zielgerichteten Förderungen und einem innovationsfreundlichen Umfeld, der es den Unternehmen ermöglicht, ihre Forschung auszuweiten, wird nötig sein. Der Berg an reichlich anfallenden Daten wird in Zukunft nicht kleiner, sondern größer werden und die personalisierte Medizin zählt zu einem außerordentlichen Wachstumsbereich. Klar ist, dass wir verbindliche Spielregeln benötigen – gerade auch in Hinblick auf die internationalen Big-Data-Giganten“, ist Mahrer überzeugt. In „Horizon Europe“, dem künftigen EU-Forschungsprogramm, wurden in den Bereichen Gesundheit sowie Digitalisierung und Industrie deutliche Schwerpunkte gesetzt. „Den Ball nehme ich für die österreichische Wirtschaft gerne auf, um hier erhebliche Budgetmittel für heimische Ideen abzurufen und damit in eine Lead-Position innerhalb Europas zu kommen“, so Mahrer.