Dem demografischen Wandel begegnen

Was bedeutet für Sie Innovation grundsätzlich und im Hinblick auf das Gesundheitswesen?
Das Austrian Center for Medical Innovation and Technology (ACMIT) ist ein Forschungs- und Entwicklungszentrum im Bereich Medizintechnik und trägt „Innovation“ sogar im Namen. Als translationales Forschungszentrum machen wir innovative Technologien für Medizinprodukte nutzbar mit dem Ziel, damit die Gesundheitsversorgung nachhaltig zu verbessern.
Wer ist verantwortlich, dass Innovationen gefördert werden und in den Markt kommen?
Die Rahmenbedingungen, dass Innovation gedeihen kann, müssen Regierungen und politische Entscheidungsträger schaffen, sowohl in Österreich als auch auf EU-Ebene. Ihnen obliegt es, eine den westlichen Standards entsprechende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Zum Rahmen gehören aber auch der Bereich der Forschung und Wissenschaft sowie Bildung. Es muss Universitäten, FHs und Forschungsstätten geben, zudem müssen ein gewisser Innovationsgeist und die Möglichkeit, innovativ denken zu dürfen, auch in der Gesamtbevölkerung gefördert werden. Dazu gehören zum Beispiel die Förderung und Finanzierung von Forschung und viele regulatorische Rahmenbedingungen, in denen sich die Akteure bewegen können und müssen. Neben der Wissenschaft braucht es Firmen, die innovative Produkte auf den Weg zu den Anwendern und Patienten bringen.
Wer bringt die Innovationen in das Gesundheitswesen?
Wir alle, denn als Patient kann ich Feedback geben und rückmelden, welche Produkte wirksam sind und welche nicht. Vonseiten der Regierung braucht es die bereits erwähnten Rahmenbedingungen, damit die Kommunikation zwischen den Akteuren fließen kann und die Umsetzer – das sind zum Beispiel Unternehmen, Forscher und Gesundheitsdienstleister – bestmöglich unterstützt werden.
Kann Digitalisierung zur Förderung von Innovation beitragen?
Es ist längst keine Frage mehr, ob wir im Gesundheitswesen auf Digitalisierung setzen müssen, sondern nur, wie schnell. Es ist eines der wertvollsten und leistungsstärksten Tools, das wir haben, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Die Bedürfnisse nach einer hochwertigen und leistbaren Gesundheitsversorgung steigen und es liegt an uns allen, dafür Mittel und Wege zu finden. Wir wollen damit nicht den Menschen und die persönliche Dienstleistung ersetzen, sondern die neuen und wachsenden Anforderungen abfedern und dort sinnvoll ergänzen, wo diese persönliche Dienstleistung nicht erforderlich ist, zum Beispiel in der Administration.
Wo sehen Sie hier Chancen, wo Hürden und was sind die konkreten nächsten Schritte, um ein Innovationsklima zu beschleunigen?
Der regulatorische Rahmen wie die EU-Verordnungen MDR und IVDR sowie die Datenschutzgrundverordnung sind aus meiner Sicht aktuell die größten Hürden im Gesundheitswesen. Regeln zum Schutz der Patienten haben eine Komplexität erreicht, die am ursprünglichen Sinn vorbeigehen. Oft wird das aber auch als Vorwand genommen, um einer Umsetzung oder einem Fortschritt aus dem Weg zu gehen. Ich denke, dass es auch eine Form der Innovation ist, hier neue Wege zu finden und offener zu sein. Kein Regelwerk existiert zum Selbstzweck, also sollten wir versuchen, neue Wege der Interpretation und Umsetzung zu finden, die den Zweck – die Sicherheit – erfüllen, aber nicht unnötig komplex sind. Digitalisierung sehe ich als Chance, gerade diese überladene Administration zu erleichtern. Viele Daten werden redundant erhoben, hier könnte man mit digitalen Lösungen ganz rasch erheblichen Mehrwert schaffen.
Sind Anwender, Patienten oder Bürger bereit für Innovation?
Jeder Patient möchte bestmöglich versorgt sein, dafür ist er auch bereit Neues zu lernen, zum Beispiel den Umgang mit telemedizinischen Anwendungen. Ärzte möchten ihren Aufwand vergütet haben, dann wären sie auch bereit mitzumachen. Ich denke, wenn alle die Vorteile sehen und erleben, dann gibt es keine vernünftigen Argumente dagegen. Wir müssen nur von Anfang an alle ins Boot holen – Krankenkassen, den intra- und extramuralen Bereich, Anwender, Patienten, Entwickler, Hersteller, …
Gibt es Vorbilder in Sachen Innovation und Digitalisierung im Gesundheitswesen, von denen wir lernen können?
Deutschland oder Israel haben schon sehr gute Systeme, um digitale Gesundheitsanwendungen zu fördern. Es ist ein Tool, das viel bewirken kann, aber noch mit Vorbehalten zu kämpfen hat. Ich vergleiche das oft mit Assistenzsystemen im Auto. Niemand wollte das Ruder aus der Hand geben und heute können wir uns kaum vorstellen, ohne ABS, Tempomat oder automatisches Abblenden zu fahren. Bei vielen Aufgaben sind Maschinen einfach präziser und dort, wo das so ist, sollten wir durchaus auf die Technik setzen und delegieren.
Ist Österreichs Gesellschaft durch Corona innovationsfreudiger und offener für digitale Gesundheitsanwendungen geworden und wie schätzen Sie die Innovationsfreudigkeit hierzulande insgesamt ein?
Evidenzbasiertes Wissen würde sicher in der Bevölkerung gut ankommen und viel Vertrauen aufbauen – zum Beispiel die effektive und effiziente Klärung der Frage, ob ein Mensch „an oder mit Corona“ gestorben ist, durch neue innovative pathologische Verfahren. Aber die Kommunikation ist oft schiefgelaufen und hat das Gegenteil bewirkt. Zu viele widersprüchliche Aussagen lagen am Tisch und man hat die Interpretation der Bevölkerung überlassen, ohne entsprechend Unterstützung zu gewährleisten.
Wie wichtig ist Digitalisierung im Gesundheitswesen als Standortfaktor für Wirtschaft und Wissenschaft?
Elon Musk sagt dazu: “I could either watch it happen or be part of it.” In 20 Jahren wird vieles digitalisiert sein und wir können heute entscheiden, ob wir vorne dabei sein oder nur zuschauen wollen.
Welche Innovationen auf dem Sektor der Medizinprodukte waren für Sie in den letzten Jahren richtungsweisend?
Die roboterassistierte Chirurgie, der Einsatz von KI zum radiologischen Befunden und die mRNA-Technologie.