Gut trainiert an den Start

Nach dem Vorbild der Luftfahrt halten Teamtrainings Schritt für Schritt Einzug in heimische Spitäler. Und das ist gut so, denn sie helfen nachweislich, Fehler im Alltag zu vermeiden. Das Potenzial dazu ist enorm, denn aufgrund von Fehlern, die im Zuge eines Spitalsaufenthaltes passieren, kommen pro Jahr allein in Österreich geschätzte 4.500 Personen zu Tode – die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher. Der Grund ist oft nicht die mangelnde Erfahrung oder Kompetenz – weder bei den Medizinern, noch bei der Pflege. Es sind meist Routinetätigkeiten, wo ein gewisses Aufmerksamkeitsdefizit herrscht und schon sind lebenswichtige Medikamente verwechselt oder wichtige Details im richtigen Augenblick übersehen. Diese Fehler können zu einem guten Teil vermieden werden. So geht etwa die deutsche Stiftung Gesundheit davon aus, dass ein Einsatz von Checklisten das Risiko für Fehler im Spitalsbetrieb um etwa ein Drittel reduzieren kann und das New England Journal of Medicine veröffentlichte eine Studie, wonach lebensgefährliche Infektionen auf 103 Intensivstationen mithilfe von Teamtrainings um 66 Prozent reduziert werden konnten.

Für den Ernstfall gerüstet

Einer der Pioniere auf dem Gebiet von Teamtrainings und Notfallschulungen im Krankenhaus ist Prim. Dr. Helmut Trimmel, Vorstand der Abteilung für Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin, Landeskrankenhaus Wiener Neustadt. Seit 2009 trainieren er und sein Team pro Jahr mit rund 250 Teilnehmern im Zentrum für medizinische Simulation und Patientensicherheit im niederösterreichischen Hochegg realitätsnahe Situationen im OP, an der Intensivstation oder im Schockraum. Die Kurse in Hochegg sind für zehn Teilnehmer konzipiert und mit entsprechendem technischen Equipment werden die Rahmenbedingungen des Alltagsbetriebes im Akutbereich widergespiegelt. „Dort wo der menschliche Faktor eine große Rolle spielt, sind Simulationen ein wichtiges Training, um sich gut auf komplexe Situationen im Echtbetrieb vorbereiten zu können. Wenn zur Patientenversorgung ausreichend Zeit ist und keine Dringlichkeit herrscht, sind Mediziner weniger gefordert und haben weniger Druck rasche Entscheidungen zu treffen, die dann mit hohem Risiko behaftet sind“, gibt Trimmel Einblick. Übung macht bekanntlich den Meister und erst recht dort, wo die Komplexität ein unwiderlegbarer Tatbestand ist und zum Teil viel zu viele Informationen vorliegen, andererseits aber gleichzeitig auch wichtige Details fehlen können. „Je komplexer die Zusammensetzung und die Anforderungen an ein Team, desto wichtiger sind gemeinsame Übungsszenarien“, ergänzt Trimmel.

 

 

Fachliche Skills im Hintergrund

Die Zielgruppe für die Simulationstrainings sind Assistenz- und Fachärzte sowie Pflegepersonal aus allen Akutbereichen. In den sogenannten CRM-Trainings („Crisis Resource Management“) wird mit klinischen Szenarios aus Anästhesie, Intensivmedizin und innerklinischer Notfallmedizin gearbeitet. Dieser Kurs wird jedoch auch interdisziplinär, gemeinsam mit Internisten oder Unfallchirurgen durchgeführt. „Der Schwerpunkt wird je nach Zusammensetzung und Erfahrung der Teilnehmer auf innerklinische Notfallversorgung und Intensivmedizin mit Fokus auf Airway-Management, Hämodynamik, Analgosedierung, Reanimatologie sowie anästhesiologische Szenarien gelegt. Hier steht das Fachwissen im Hintergrund, wir gehen davon aus, dass die Ärzte und Pflegepersonen dieses haben“, gibt der Mediziner Einblick in den Ablauf. Spezialsettings bieten der CRM-Kurs Notfallmedizin oder Pädiatrie sowie das SimBaby Anästhesie-Training vorliegen. „Das CRM-Training wird individuell auf den Ausbildungsstand und die Bedürfnisse der Teilnehmer abgestimmt und umfasst im Rahmen einer eineinhalb Tage dauernden Einheit mindestens sechs Szenarien typischer Situationen des jeweiligen Bereichs. Zusätzlich gibt es Kurzvorträge zu Kommunikation, Entscheidungsfindung, Critical Incident Reporting sowie psychologische Übungen“, fasst der Instruktor zusammen.

 

 

Bilder: © Simulationszentrum/Trimmel

 

Nachgefragt bei…

… Prim. Dr. Helmut Trimmel, MSc., Vorstand der Abteilung für Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin, Landeskrankenhaus Wiener Neustadt
Warum sind derartige Übungen nicht in die Ausbildung integriert?
Bisher ist das ein blinder Fleck in der Ausbildung, weil hier die medizinischen Skills im Vordergrund stehen. Mit dem neuen Rasterzeugnis wird sich das in der Anästhesie langsam ändern, hier ist die Simulation schon verankert. Bei unseren Trainings stehen auch klar jene Mitarbeiter im Fokus, die schon praktische Erfahrungen haben. Diese Teilnehmer kommen, um hier Fehler zu machen, damit genau diese Fehler im Alltag dann nicht mehr passieren.
Was ist die häufigste Ursache für unerwünschte ­Ereignisse?
Das sind in erster Linie menschliche Faktoren wie etwa die Kompetenz in der Entscheidungsfindung, situatives Bewusstsein, Team- und Kommunikationsfähigkeit. Nicht zu unterschätzen sind Faktoren wie Stress und Müdigkeit. Daher trainieren wir diese nicht-medizinischen Fertigkeiten – es geht hier nicht um medizinisches Wissen, sondern um Kommunikation in der Krise, Entscheidungen unter Druck und zielgerichtete Teamkoordination.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mitgenommen?
Für mich war interessant, dass mehr Frauen an den Trainings teilnehmen. Hier ist vielleicht das Risikobewusstsein höher und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen. Eine weitere Lernerfahrung war, dass der Kommunikation zur Bearbeitung kritischer Situationen weit mehr Gewicht zukommt, als wir vielleicht manchmal annehmen. Interessant ist es auch zu sehen, dass die Situation im Simulator ganz rasch „real“ wird und die Teilnehmer sofort in der Rolle aufgehen. Es ist kein Spiel, sondern wird als durchaus ernst wahrgenommen, dementsprechend ist auch die Wirkung. Die Ergebnisse können 1:1 in den Alltag übernommen werden.
Wie rekrutieren Sie die Trainer?
Dafür gibt es standardisierte Ausbildungen, die aus den USA kommen, wo das Konzept ausgehend vom Crew Resource Management der Luftfahrt für die Medizin adaptiert wurde. Wir setzen nur Ärzte und Pflegepersonen ein, die in der Erwachsenenbildung und in der Behandlung von Akutsituationen schon Erfahrungen haben. Sie werden zur Instruktor-Ausbildung zugelassen, wo der Schwerpunkt auf psychologischen Komponenten liegt. Die Trainer müssen mit den Teilnehmern die Ergebnisse aufarbeiten können, der menschliche Faktor steht immer im Zentrum.
Hinkt der Vergleich mit der Luftfahrt nicht?
Schließlich sitzt der Pilot als Betroffener immer selbst mit im Flugzeug …
Wie müssen uns bemühen, für die Behandlung eine möglichst sichere Umgebung zu schaffen. Wenn wir uns dazu bewährte Konzepte aus anderen Hochrisikobranchen ausleihen, kann das nicht falsch sein. Simulationstraining allein nützt auch wenig, wenn wir es nicht mit einem strukturierten Risikomanagement verknüpfen, das erfordert auch einen Wandel der Sicherheitskultur im Spital. All das hat die Luftfahrt schon vor vielen Jahren erledigt.
Ist das auch Teil des Trainings?
Ja, wir vermitteln auch Grundlagen des Risikomanagements. Wir sprechen über CIRS, Medikamentensicherheit, Verwechslungen und welche Maßnahmen dazu beitragen, Fehler zu verhindern.
Wie oft empfehlen Sie die Trainings?
Sinnvoll ist es zumindest alle zwei Jahre. Wir werden dazu in Österreich sicher noch mehr Zentren benötigen. Jedes Crisis Resource Management (CRM)-Training ist mit zwölf DFP-Fortbildungspunkten akkreditiert.
Was wünschen Sie sich persönlich für die weitere ­Entwicklung der Trainings?
In erster Linie wünsche ich mir, dass die Finanzierung für die sehr aufwendigen Trainings sichergestellt wird. Wir sehen zum Beispiel die Versicherungswirtschaft als interessanten Partner, denn durch die Trainings werden Schadensfälle aktiv vermieden. Und wenn nur ein einziger Schadensfall vermieden wird, hat sich das Simulationszentrum schon „gerechnet“. Unfälle, die nicht passieren, lassen sich leider schwer quantifizieren, daher müssen wir auch hier auf Erfahrungswerte etwa aus der Luftfahrt zurückgreifen.