IIR Forum Pflege 2013: Ergebnisqualität in der Pflege

Die internationale Fachliteratur liefert zahlreiche Definitionen für den Qualitätsbegriff in der Krankenhauspflege, jeweils abhängig von der Perspektive des Betrachters oder des Betroffenen – also Patient, Pflegepersonal oder Spitalsmanagement. Darin immer wieder auftauchende Aspekte sind etwa Effektivität, Effizienz, Patientenzentriertheit und -sicherheit, erzählt Silvia Maria Schönherr, Universitätsassistentin am Institut für Pflegewissenschaft der Meduni Graz: „Das Auftreten von sogenannten Pflegeproblemen wie Dekubitus, Sturz und Mangelernährung wird als bedeutender Indikator für die Qualität der pflegerischen Versorgung betrachtet. Diese Indikatoren sind pflegesensitiv, das heißt: Sie können durch die Pflege im eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich beeinflusst werden.“
Das Institut für Pflegewissenschaft führt seit nunmehr fünf Jahren eine jährliche Erhebung zu genau diesen Indikatoren durch, an der zahlreiche heimische Einrichtungen regelmäßig teilnehmen. Allein dadurch wird eine strukturierte Qualitätsarbeit initialisiert, die durchaus „Früchte trägt“, berichtet Schönherr: „Beispielsweise konnte in regelmäßig teilnehmenden Einrichtungen beobachtet werden, dass aufbauend auf den Ergebnissen Standards und Leitlinien implementiert und Informationsbroschüren für Betroffene erstellt wurden. Des Weiteren konnten enorme Veränderungen in der pflegerischen Versorgung festgestellt werden, das heißt ein signifikanter Anstieg in der Durchführung von Maßnahmen zur Prävention und Behandlung der oben genannten Pflegeprobleme im Sinne einer evidenzbasierten Pflege.“

Landesweite Pflegequalitätserhebung

Die vom Institut für Pflegewissenschaft durchgeführte Erhebung basiert auf dem Modell einer unabhängigen Prävalenzerhebung des niederländischen Gesundheitssystems – Landelijke Prevalentiemeting Zorgproblemen, kurz LPZ. Diese wird seit 15 Jahren vom Department of Health Services Research der Universität Maastricht durchgeführt (Detailinformationen unter www.lpz-um.eu).
Neben der Meduni Graz nützen auch Institutionen in anderen Ländern das niederländische Modell. Die Zusammenarbeit mit LPZ bietet laut Schönherr eine ausgezeichnete Gelegenheit, die „weitreichenden Erfahrungen der niederländischen Kollegen zu nutzen und gleichzeitig die Daten unterschiedlicher Länder zu vergleichen und gemeinsam die Untersuchung von Problemen im Pflegebereich zu intensivieren.“
Auf Grundlage der erhobenen Daten erhalten die beteiligten Einrichtungen auf relativ einfache Weise eine Übersicht über das Vorkommen sowie die Prävention und Behandlung der betreffenden Pflegeprobleme in ihrer jeweiligen Einrichtung. Mithilfe der Daten lassen sich gesetzte Maßnahmen evaluieren bzw. im Bedarfsfall modifizieren sowie zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegequalität gezielt ableiten. Da die Erhebung in zahlreichen unterschiedlichen Einrichtungen stattfindet, haben die beteiligten Institutionen außerdem einen Vergleichsmaßstab im Hinblick auf ähnliche Einrichtungen und können die Daten als Benchmarking-Instrument nutzen.

Das Erhebungsinstrument

Der für die Datenerhebung verwendete Fragebogen erfasst die Pflegeprobleme Dekubitus, Inkontinenz, Intertrigo, Mangelernährung, Sturz und freiheitsentziehende Maßnahmen. Jedes Modul zeichnet sich durch drei Messebenen aus: die Profile der Einrichtung insgesamt, der beteiligten Stationen/Wohnbereiche und eine patientenbezogene Erhebung über das Vorkommen und die durchgeführten Maßnahmen zur Prävention und Behandlung der einzelnen Pflegeprobleme.

Dekubitus: Dekubituswunden, durch Druck, Scherkräfte, Reibung oder einer Kombination dieser Faktoren verursachte Schädigungen der Haut und der darunter liegenden Gewebeschichten, gelten als bedeutender Qualitätsindikator in der Patientenversorgung. Ihr Auftreten führt zu verlängerten Liegezeiten, einem erhöhten Pflegeaufwand und der Reduzierung von Lebensqualität. Internationale Studien zeigen in Krankenhäusern Dekubitusprävalenzraten zwischen vier und 32 Prozent. In Österreich liegt sie bei sieben Prozent. Im Rahmen der Pflegequalitätserhebung wird beispielsweise erhoben, inwieweit es anerkannte Standards oder Leitlinien zur Dekubitusprävention und -behandlung gibt und welche präventiven Maßnahmen bei Risikopatienten durchgeführt werden. Das Dekubitusrisiko wird anhand der Bradenskala eingeschätzt.

Inkontinenz: Studien in Krankenhäusern berichteten von Prävalenzraten von bis zu 43, in Pflegeheimen sogar bis zu 78 Prozent. In Österreichs Krankenhäusern liegt die Prävalenz von Urininkontinenz bei 18 Prozent. Neben psychischen und sozialen Auswirkungen sowie erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität führt Inkontinenz auch zu beträchtlichen ökonomischen Folgen. Experten schätzen die direkten jährlichen Zusatzkosten pro Patient zwischen 260 und 620 Euro. Die Pflegequalitätserhebung erfragt unter anderem, ob es Experten auf dem Gebiet der Inkontinenz gibt und inwieweit der Inkontinenz-Subtyp diagnostiziert wird.

Intertrigo: Adipöse und Diabetes-Patienten sind häufig von Intertrigo betroffen, einer entzündlichen Hauterkrankung, die in Hautfalten auftritt, durch Reibung von Haut an Haut entsteht und durch Wärme und Feuchtigkeit gefördert wird. Die Prävalenz von Intertrigo liegt in den heimischen Spitälern knapp unter vier Prozent und damit unter dem europäischen Schnitt von über sechs Prozent. Im Rahmen der Erhebung wird unter anderem erfasst, inwieweit das vorgeschriebene Material für Intertrigo standardmäßig in der Einrichtung zur Verfügung steht und welche präventiven Maßnahmen durchgeführt werden.

Mangelernährung, definiert als Mangel oder Ungleichgewicht von Kalorien, Proteinen oder anderen Nährstoffen, was zu messbaren Effekten auf den Körper, dessen Funktionen und klinischen Outcomes führt, tritt vor allem bei älteren Menschen auf. Europäische Prävalenzen von Patienten reichen von 20 bis 60 Prozent, in Einzelfällen auch deutlich darüber. In Österreich liegen sie bei 25 Prozent. Insbesondere die Diagnosestellung stellt im klinischen Alltag oft ein großes Problem dar. Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2007 berichtete, dass etwa jeder fünfte Patient mangelernährt war, aber weniger als 50 Prozent der Personen eine entsprechende Behandlung erhielten. Die Folgen sind vielfältig, langwierig und oftmals verbunden mit längeren Liegezeiten und hohen Behandlungskosten. Holländische Forscher berechneten für Pflegeheime Kosten von 10.000 Euro pro mangelernährtem Bewohner. Die Pflegequalitätserhebung fragt unter anderem, ob Diätologen in der Einrichtung beschäftigt sind und welche Maßnahmen bei Risikopatienten bzw. mangelernährten Personen durchgeführt werden. Das Mangelernährungsrisiko wird mithilfe des Malnutrition Universal Screening Tools (MUST) eingeschätzt.

Stürze: Zwischen drei und 37 Prozent der Patienten stürzen während eines Krankenhausaufenthaltes. Das Risiko liegt bei über 65-jährigen Personen doppelt so hoch, bei über 70-Jährigen fünfmal so hoch wie bei Jüngeren. In Österreichs Kliniken sind laut der Erhebung 15 Prozent der Patienten in den letzten 30 Tagen gestürzt. Ein Viertel der Stürze führt zu schwerwiegenden Komplikationen wie größeren Wunden oder Frakturen. Als Hauptrisikofaktoren für Stürze wurden in verschiedenen Studien kognitive Einschränkungen, Insult und Inkontinenz identifiziert. Die Pflegequalitätserhebung erfasst beispielsweise wann und unter welchen Umständen die Stürze passiert sind und welche präventiven Maßnahmen durchgeführt werden.

Freiheitsentziehende Maßnahmen: Internationale Prävalenzraten zu freiheitsentziehenden Maßnahmen – Mittel, Materialien, Medikamente, elektronische Maßnahmen oder Applikationen, die Patienten bewusst davon abhalten, sich frei zu bewegen – liegen in Krankenhäusern zwischen sieben und 33 Prozent, auf geriatrischen und psychiatrischen Stationen bei bis zu 60 Prozent. Österreich liegt hier an der untersten Gr
enze. Die Erhebung erfasst zum Beispiel, welche freiheitsentziehenden Maßnahmen angewendet wurden und zu welchem Zweck oder ob Fortbildungen zum Thema stattgefunden haben.
Insgesamt unterstützt die Pflegequalitätserhebung, davon ist Silvia Maria Schönherr überzeugt, die „bereits stattfindende Entwicklung hin zu einer effektiven und effizienten Patientenbetreuung, welche auf wissenschaftlichen Ergebnissen basiert. Diese wird sich in den nächsten Jahren noch intensivieren, da es einfach nicht mehr leistbar sein wird, ineffektive Pflege anzubieten.“ Umso wichtiger sei es daher, durch regelmäßige Qualitätsmessungen den Ist-Zustand zu erfassen, um darauf aufbauend Verbesserungen der Pflegequalität anzustreben.