Infizierte Wunden: Neues Wissen ist gefragt

Die Wundbehandlung ist insgesamt – und das betrifft vor allem chronische Wunden – zu einem erheblichen Kostenfaktor im Gesundheitssystem geworden, der vielfach noch kaum bewusst ist, obwohl internationale Studien längst den gesundheitsökonomischen Stellenwert belegen. „Wohlstandserkrankungen und das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung führen zu einem starken Anstieg chronischer Wunden, die mangels ausreichend erneuerten Wissens und aufgrund einer mancherorts kurzsichtigen Rotstiftphilosophie im Gesundheitssystem mittlerweile zu einem handfesten Kostenproblem geworden sind. 1,5 Mrd. Euro in Deutschland für die Wundbehandlung – Österreich 10:1“, weiß Univ.-Prof. Dr. Gerald Zöch, langjähriger Generalsekretär der AWA (Austrian Wound Association). Chronische Wunden sind in der Behandlung sowohl arbeits- als auch zeitintensiv und für jede Ordination ökonomisch letztlich ein Verlustgeschäft. Das gesamte Gesundheitssystem hat damit seine Not. Mehr als 74 % der stationären Behandlungskosten bei Diabetes entfallen auf die Therapie des Diabetischen Fußsyndroms. „Durch geeignete moderne Maßnahmen aus Prävention, Patientenschulung und multiprofessioneller Behandlung könnte sich die Zahl der Amputationen um bis zu 50 % senken lassen. Die Betroffenen werden immer jünger, mehr als 50 % von ihnen sind schon jünger als 60 Jahre. Allerdings, je profunder die Behandlung, desto kürzer ist die Behandlungsdauer. Die Kosten durch Arbeitsausfall und Behandlungskosten sinken drastisch. Ein zusätzlicher Ausbau der Prävention könnte am Beispiel des Diabetischen Fußsyndroms die Kosten um bis zu 70 % reduzieren“, betont Zöch.

Wundbehandlung im Kompetenzdschungel

Der Hintergrund für den akuten medizinischen „Nachholbedarf“ liegt darin, dass jahrzehntelang Wundbehandlung als „Schwesternarbeit“ bagatellisiert wurde. Die Ärztekammer hat das Problem bereits erkannt und bietet eine vertiefende Ausbildung in Sachen Wunden an. „Fortbildungen und intensive Schulungen der Wundversorger entlang des gesamten Behandlungspfades sind unerlässlich bei der steten Zunahme der Informationen, Produkte und Technologien im Bereich der Wundversorgung, um den Patienten Behandlungen nach dem aktuellen Wissensstand zukommen lassen zu können. Vor und während der lokalen Wundbehandlung ist die Diagnostik und Behandlung der wundverursachenden und erschwerenden Umstände von großer und leider oft vernachlässigter Wichtigkeit. Gerade hier bedarf es eines mit dem Patienten gemeinsam definierten kompetenten Netzwerkes, das je nach individueller Situation aus Arzt, mobiler Krankenpflege, orthopädischem Schuhmacher, Gefäßchirurgen, Dermatologen, Diabetologen und Ernährungsberater besteht“, meint AWA-Präsident Gilbert Hämmerle, DGKP und zertifizierter Wundmanager.
In der Praxis kämpfen die Wundexperten mit zahlreichen Fehlmeinungen, wie etwa der Einstellung, Wunden müssen ständig desinfiziert werden. „Sie wird es mit Granulationsstörungen danken“, ist Hämmerle überzeugt. Das andere Extrem ist vernachlässigte Sterilität beim Verbandwechsel, da ohnehin alle Wunden bakteriell besiedelt sind. Ein fataler Irrtum, keine Handschuhe zu tragen und unsteriles Verbandmaterial zu verwenden. Fibrinöse Wundbeläge werden als „Eiter“ fehlinterpretiert. Schließlich wäre da noch der tägliche Verbandwechsel, der der Wunde keine Ruhephasen gönnt, oder die Wundreinigung – sie gelingt am schonendsten mit physiologischer Kochsalzlösung. „Bei akuten Wunden, wie etwa Schnitt-, Schürf-, Bisswunden oder Verbrennungen, können durch ­Verschmutzung und Fremdkörper Bakterien in die Wunde gelangen und manchmal – etwa bei tierischen Bisswunden – schwere Infektionen hervorrufen. Normalerweise erfolgt der Wundverschluss jedoch sehr rasch und potenzielle Krankheitserreger können durch das Immunsystem erfolgreich bekämpft werden“, gibt Univ.-Prof. Dr. Franz Trautinger Einblick in die Infektionsrisiken.
Ganz im Unterschied dazu ist bei chronischen Wunden die Heilung krankhaft gestört. Ursachen sind eine verminderte Durchblutung, Diabetes mellitus oder andere Erkrankungen, die unbedingt erhoben und behandelt werden müssen. Damit können sich unterschiedliche Keime aus der Umgebung bei fehlender Konkurrenz durch die natürliche Hautflora und bei oft eingeschränkter Immunität leicht ansiedeln. „Besiedelung ist jedoch nicht gleich Infektion. Davon spricht man erst, wenn eine Entzündung auftritt, die klassischerweise mit Rötung, Überwärmung, Schwellung, Schmerzen und Funktionseinschränkung verbunden ist. Allerdings stellt jede Wunde grundsätzlich eine Infektionsquelle dar und daher sollte das Behandlungsziel immer ein möglichst rascher Wundverschluss sein“, so Trautinger weiter.

Tatort Krankenhaus

In Holland etwa gibt es eigene Programme, die sich auf die Prävention von MRSA-Infektionen konzentrieren. Die Maßnahmen reichen von passagerer Quarantäne, wenn Patienten aus Ländern wie etwa Großbritannien kommen, in denen MRSA häufig auftreten, bis hin zu eigenen Handwasch-Schulungen. „Da die Keimübertragung vor allem über die Hände erfolgt und fatale Folgen haben kann, ist die Einhaltung entsprechender Hygienemaßnahmen bei der Pflege und Therapie von Patienten mit chronischen Wunden unumgänglich“, empfiehlt Trautinger. Der Dermatologe winkt aber entschieden ab, wenn es um ständiges Händewaschen im Spitalsalltag geht: „Da gibt es heute definitiv effizientere Methoden wie rückfettende Alkohole, die noch dazu wesentlich wirkungsvoller hinsichtlich der Infektionsvermeidung sind.“ Kein Wunder, gilt das dishydrotische Ekzem ja als unerfreuliche Folge von Handwaschexzessen.
Die am häufigsten gefundenen bakteriellen Erreger in Wunden sind Staphylococcus aureus, Streptococcus pyogenes, Enterobakterien, Pseudomonas aeruginosa und anaerobe Keime. Besondere Bedeutung haben multiresistente Erreger wie MRSA- (multi-resistente staph. aureus) oder ­ESBL-Keime (extended beta lactamase, Enterokokken) gewonnen, die vor allem in Krankenhäusern vorkommen, gegen zahlreiche der herkömmlichen Medikamente resistent sind und besondere Hygiene- ­sowie Therapiemaßnahmen erfordern. Aber erst, wenn es zu einer Infektion gekommen ist, treten Antibiotika auf den Plan, keinesfalls in der Lokaltherapie. Nur ausgewählte Ausnahmen bestätigen diese Regel. „Bei Infektionen sollen immer systemische Antibiotika angewendet werden, die in erster Linie nach den am häufigsten vorkommenden Keimen ausgewählt werden. Bei Vorliegen von repräsentativen Abstrichergebnissen sollte eine gezielte Antibiotikaauswahl erfolgen“, so Trautinger zur richtigen Substanzwahl.
Die AWA-Vizepräsidentin, Sonja Koller, MBA, ist das Symbol für das Beschreiten eines ungewöhnlichen Weges im Klinikum Melk, wo sie eine eigene Abteilung für Wundheilung leitet. Die engagierte Expertin hat umfassenden Einblick auch in die extramuralen Probleme und unterstreicht, wie wichtig die Patienten- bzw. Angehörigenschulung ist: „In unserem Haus werden alle Patienten und Angehörigen einzeln entsprechend geschult, damit sie diese Dinge erlernen. Das gilt für die Hygiene ebenso wie für den richtigen Verbandwechsel, nach dem das abgenommene Verbandmaterial sofort entsorgt werden muss.“

 

Wund-D.A.CH Kongress 2013

AWA Jahrestagung, Austrian Wound Association

10. – 12.10.2013, Friedrichshafen, www.wund-dach.org
Die Diagnostik und Therapie von Patienten mit akuten und chronischen Wunden stellt ein weiterhin zunehmendes interdisziplinär und interprofessionell relevantes Problem dar. Obwohl gerade in den deutschsprachigen Ländern Europas die medizinische Versorgung der Patienten mit akuten und chronischen Wunden auf sehr hohem Niveau betrieben wird und auch breit in den verschiedenen Disziplinen verankert ist, gab es bislang keine wissenschaftliche Gesellschaft, die die verschiedensten Aktivitäten in den deutschsprachigen Ländern aufnimmt, zusammenführt und transnational umsetzt. Es haben sich daher Vertreter der schweizerischen Wundheilungsgesellschaft SAfW, der deutschen Initiative Chronische Wunde (ICW) und der österreichischen Wundheilungsgesellschaft (AWA) unter Zustimmung der nationalen Gesellschaften zusammengefunden, um das selbstständig agierende Wund D.A.CH im Dezember 2011 zu gründen. Wund D.A.CH versteht sich als Dachorganisation aller deutschsprachigen Fachgesellschaften, Vereine und Gruppen, die in die Abläufe des Managements von Patienten mit akuten oder chronischen Wunden involviert sind. Wund D.A.CH soll in den deutschsprachigen Ländern und Regionen Europas interdisziplinär den medizinischen Bereichdes Managements von Patienten mit akuten und chronischen Wunden in Theorie und Praxis in übergreifender Form interdisziplinär und interprofessionell fördern. Diese Förderung kann in jeglicher Form, jedoch mit einem starken Fokus auf die Fort- und Weiterbildung stattfinden und bezieht sich immer auf supranationale Anliegen für den deutschsprachigen Raum. In diesem Sinne wurde nun der erste Dreiländerkongress organisiert, der sich folgenden Themen widmen wird:
  • Zertifizierungen von Wundzentren und Weiterbildungen
  • Individualisierte Diagnostik
  • Seltene Ursachen Chronischer Wunden
  • Ernährung/Malnutrition
  • Infektiologie
  • Physikalische Therapien
  • Lebensqualität
  • Philosophie, Ethik
  • Psychologie und Wundheilung
  • Perspektiven in der Wunddiagnostik und -behandlung