Kollateralschäden der Pandemie

„Länder müssen innovative Lösungen finden, um während des Kampfes gegen COVID-19 die wichtigen Gesundheitsdienste auch bei nicht übertragbaren Krankheiten aufrechtzuerhalten“, fordert der WHO-Chef Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus. Nach der Umfrage mussten 31 Prozent der Länder die Versorgung bei akuten Herz-Kreislauf-Problemen einschränken oder ganz unterbrechen. 42 Prozent beschnitten die Versorgung bei Krebspatienten, 49 Prozent bei Diabetespatienten und mehr als die Hälfte konnte die Versorgung bei Menschen mit Bluthochdruck nicht wie sonst aufrechterhalten. Rehaprogramme wurden in 63 Prozent der Länder zurückgefahren. Vorsorgeprogramme, etwa zur Erkennung von Brustkrebs, waren ebenfalls betroffen. Besonders stark waren die Einschnitte in Ländern mit niedrigen Einkommen. In den meisten Fällen wurden Termine abgesagt, weil Personal für die Behandlung von COVID-19-Patienten abgezogen wurde oder weil Menschen wegen der Ausgehbeschränkungen nicht zu Terminen kommen konnten.
An nicht übertragbaren Krankheiten sterben nach Schätzungen der WHO jedes Jahr 41 Millionen Menschen. Das sind 71 Prozent der Todesfälle weltweit. Hochrechnungen von Wissenschaftlern zufolge könnten infolge der Coronavirus-Pandemie weltweit geschätzt rund 30 Millionen geplante Operationen verschoben oder abgesagt werden. Das geht aus einer Analyse der Universität Birmingham hervor, deren Ergebnisse ebenfalls kürzlich veröffentlicht wurden.
Betroffen vom pandemiebedingten Aufschub sind vor allem orthopädische Eingriffe wie das Einsetzen künstlicher Knie- und Hüftgelenke. Doch die Wissenschaftler rechnen auch damit, dass es weltweit gut zwei Millionen verschobene oder abgesagte Krebsoperationen geben könnte. „Der Zustand von Patienten kann sich verschlechtern und ihre Lebensqualität einschränken, während sie auf eine verschobene Operation warten. In manchen Fällen, zum Beispiel bei Krebs, können verschobene Operationen zu einer Reihe von vermeidbaren Todesfällen führen“, sagte Aneel Bhangu, einer der beteiligten Forscher.
Für ihre Schätzung wurden Informationen von 359 Krankenhäusern in 71 Ländern ausgewertet. Sie basieren auf der Annahme, dass die Kliniken durchschnittlich drei Monate unter höchster Belastung stehen. Für jede weitere Woche können zwei Millionen weitere verschobene medizinische Eingriffe addiert werden. In Großbritannien beispielsweise dürfte es etwa elf Monate dauern, den entstandenen Rückstau an Operationen wieder abzubauen – selbst wenn wöchentlich 20 Prozent mehr Eingriffe stattfinden würden als vor der Pandemie.

 

Stand ● Punkt

Durch das Herunterfahren der Versorgung in den Spitälern hat sich auch der Verbrauch an bestimmten Medizinprodukten reduziert und die Betriebe haben ihre Produktionskapazitäten angepasst. Für alle elektiven Eingriffe braucht es nun einen gemeinsamen und koordinierten Weg des Hochfahrens, sodass es zu keinen Engpässen kommt. Auch Medizin­produkte-Berater müssen ihre Arbeit in den Spitälern wieder in vollem Umfang aufnehmen können.