Risiko als Chance

Patientensicherheit und Risikomanagement haben in den letzten Jahren einen großen Stellenwert im Gesundheitssystem und in den einzelnen Krankenanstalten erhalten. Daher haben die Salzburger Landeskliniken (SALK) bereits zum zweiten Mal zu einem Patientensicherheitstag eingeladen. „Die Aktivitäten richten sich längst nicht mehr nur an medizinisches Personal, sondern zunehmend auch an Patienten, die durch ihre Erfahrungen aus erster Hand einen positiven Beitrag zu mehr Patientensicherheit leisten können“, sagt Univ.-Doz. Dr. Doris Mack, Leiterin der Stabsstelle für Qualitäts- und Riskmanagement.

 

 

Qualität ist Chefsache

Dass Medizin und Pflege nicht frei von Risiken sind, wissen wohl alle Beteiligten, die im Krankenhausumfeld arbeiten. „Wo Menschen arbeiten, können auch Fehler passieren – dazu kommen die vielen Nahtstellen zwischen den Berufsgruppen, die immer komplexer werdenden Abläufe, der rasante medizinische Fortschritt und die immer knapper werdenden Ressourcen. Viele Fehler sind aber vermeidbar, wenn sich Gesundheitsdienstleister dieses Themas in ihrem Qualitäts- und Risikomanagement bereits vorausschauend annehmen“, ist Mack überzeugt.
Das Thema Qualitäts- und Risikomanagement hat in den SALK bereits lange Tradition. Seit 2009 ist es als Stabsstelle des Geschäftsführers „Chefsache“. „In den SALK sind Qualitäts- und Risikomanagement für die Erhaltung und Weiterentwicklung des hohen Qualitätsniveaus von zentraler Bedeutung. Die Gewährleistung und Steigerung der Patientensicherheit ist eine komplexe Aufgabe, die kontinuierlich verfolgt werden muss. Die Identifikation, Bewertung, Aggregation, das Reporting und die Überwachung von Risiken stellen dabei die Grundaufgaben des klinischen Risikomanagements dar. Wir leben all das in einer offenen Fehlerkultur“, beschreibt Priv.-Doz. Dr. Paul Sungler, SALK-Geschäftsführer. Gegenüber Krankenhäusern mit niedrigerer Versorgungsstufe bieten die Salzburger Landeskliniken als Zentralkrankenhaus und Universitätsklinikum eine Vielfalt an Diagnostik und eine Vielzahl von komplexen internistischen und chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten an. Mit dem Qualitäts- und Riskmanagement und den damit verbundenen Verbesserungs- und Optimierungsprozessen in den vergangenen Jahren wurde hier schrittweise ein Kulturwandel herbeigeführt.

Aufgaben der Stabsstelle

Bei der Erkennung, Bewältigung und Reduzierung von Risiken der medizinischen Leistungserbringung werden Führungsebenen und Mitarbeiter maßgeblich durch die Stabsstelle Qualitäts- und Riskmanagement unterstützt. Die Leiterin der Stabsstelle für Qualitäts- und Riskmanagement, Univ.-Doz. Dr. Doris Mack, bringt langjährige Erfahrung als Urologin und als Vorsitzende der Qualitätssicherungskommission des LKH für die Position mit: „Als Ärztin weiß ich, wie wichtig es ist, Strukturen vorzufinden, die das Eintreten eines Fehlers verhindern. Bewährte Tools sind beispielsweise das freiwillige, anonyme Meldesystem CIRS (Critical Incident Reporting System), die Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen, Risikoaudits, Checklisten, die Analyse unerwarteter Ereignisse, der Qualitätszirkel zur Medikationssicherheit oder unser Beschwerde- und Befragungsmanagement. Wenn trotzdem ein Fehler passiert, wird genau analysiert und werden Maßnahmen abgeleitet, um eben diesen Fehler nicht mehr zu machen.“
Bei der schrittweisen Einführung eines klinischen Riskmanagements orientierten sich die SALK an der aktuellen Normenreihe ONR 49000:2010 ff. Diese Normen stellen ein komplettes Regelwerk zur Verfügung, das für den Aufbau eines Risikomanagement-Systems geeignet ist und auch die Anforderungen für die Qualifikation der Risikomanager festlegt. „Die Stabsstelle Qualitätsmanagement und Riskmanagement versteht ihre Arbeit in der Unterstützung der Leitungsebenen und der Mitarbeitenden der SALK bei der Erkennung, Reduzierung und Bewältigung von Risiken bei der Leistungserbringung der medizinischen Behandlung. Dabei wird eine kontinuierliche Verbesserung der Behandlungsqualität und Patientensicherheit verfolgt und damit ein Beitrag geleistet, das Unternehmen und seine Mitarbeiter vor Image- und wirtschaftlichem Schaden zu bewahren“, ergänzt Mag. Dr. Andreas Gomahr, MSc von der Stabsstelle.

Patienten müssen aktiv werden

Auf Stationen und in OPs sind ausgebildete Risikomanager aus Medizin und Pflege im Einsatz, die sensibilisiert sind, wo mögliche Risiken auftreten können. „Ein zentraler Faktor ist der Patient selbst, denn er ist an allen Prozessstufen beteiligt“, betont Mack und setzt auf das Konzept „aktiver Patient“: „Während eines Aufenthaltes im Krankenhaus werden den Patienten meist viele Fragen gestellt, um ein möglichst ganzheitliches Bild zu erhalten. Umfassende Informationen über seinen eigenen Gesundheitszustand können eine Vielzahl von Komplikationen vermeiden“, ist die Expertin überzeugt.
Trotz aller Bemühungen kann es in einem Krankenhaus dazu kommen, dass Medikamente verwechselt werden. Patienten sind daher aufgefordert, immer darauf zu achten, dass Anzahl und Aussehen der täglich vorbereiteten Medikation bekannt sind. „Bei Unklarheit soll vor der Einnahme beim medizinischen Personal nachgefragt werden. Oft haben Patienten hier Hemmungen und trauen sich nicht, aber so könnten viele mitunter sehr gravierende Fehler vermieden werden“, erklärt die Riskmanagerin. Um Allergien von Patienten schnellstmöglich wahrnehmen zu können und eventuelle Patientenverwechslungen zu vermeiden, ist das Tragen des Identifikationsbandes im Salzburger Universitätsklinikum verpflichtend. Patienten sollen dabei den Inhalt des ID-Bandes auch selbst überprüfen. Weitere Themen, die das Qualitäts- und Riskmanagement immer wieder genau unter die Lupe nimmt, sind die Händehygiene, die Sturzprävention und die Rauchfreiheit im Krankenhaus sowohl bei Patienten als auch bei Mitarbeitern.

 

 

Die „goldene Stunde“ der Ärzteausbildung

Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (M&M) sind eines derwichtigsten Steuerungsinstrumente des Qualitätsmanagements. Eine SALK-interne Umfrage hat gezeigt, dass zwar an vielen Kliniken solche Konferenzen durchgeführt werden, jedoch nicht flächendeckend, zudem sind auch Sichtweise und Qualität unterschiedlich. „In der Medizin wird oftmals von der ‚goldenen Stunde‘ gesprochen. Es ist die Stunde nach einem Trauma, einem Myokardinfarkt oder einem Apoplex, in der ein Arzt die Chance hat, durch Wissen und Fähigkeiten die drohenden und mitunter potenziell katastrophalen Folgen für die Patienten abzuwenden oder zu mildern. Die Analogie zu dieser goldenen Stunde ist die M&M-Konferenz“, erklären Neurochirurg Univ.-Prof. Dr. Peter Winkler und Allgemeinchirurg Univ.-Prof. Dr. Dietmar Öfner, die das Tool regelmäßig und in sehr ausgefeilter Form verwenden. Während dieser Stunde besteht die Möglichkeit zu einer intensiven und qualifizierten Diskussion innerhalb des professionellen therapeutischen Teams. So stellt die Morta­litäts- und Morbiditätskonferenz nicht nur ein Werkzeug zur ­Verbesserung der Patientensicherheit dar, sondern auch ein entscheidendes Lehrmittel, dem sich die Salzburger Universitäts­kliniken verpflichten, es zu nutzen. Anhand der Expertise von Winkler und Öfner und auch vor dem Hintergrund der Praktikabilität und Evidenz in der Literatur hat die Stabsstelle einen Leitfaden erstellt, der es allen Kliniken leicht machen soll, in für sie adaptierter Weise mit den M&M-Konferenzen umzugehen.

 

Riskmanagement-Maßnahmen der SALK

  • CIRS (Critical Incident Reporting System)
  • Morbiditäts- & Mortalitätskonferenzen
  • Risikoaudits
  • Analyse von unerwarteten Ereignissen
  • Checklisten
  • Befragungen
  • Beschwerden
  • Arbeitsgruppe zum Thema „Medikamentensicherheit“
  • Ausbildung von Mitarbeitern zu zertifizierten Risikomanagern
  • Vernetzungstreffen mit anderen Spitälern
  • Konzept „aktiver Patient“

 

Nachgefragt bei …

… Univ.-Doz. Dr. Doris Mack, Leiterin der Stabsstelle für ­Qualitäts- und Riskmanagement

Patientensicherheit und Risikomanagement haben in den letzten Jahren einen großen Stellenwert im Gesundheitssystem und in den einzelnen Krankenanstalten erhalten. Was zeichnet den „Arbeitsplatz Spital“ besonders aus?

Wir sind durchaus vergleichbar mit Hochrisiko- und Hochzuverlässigkeitsbranchen. Auch wir haben einen hohen Technisierungsgrad, Teams mit sehr hohem Spezialisierungsgrad, die psychischen und physischen Belastungen der Mitarbeiter sind enorm, die Arbeitsintensität ist häufig schnell wechselnd. Zudem müssen wir in kurzer Zeit hohe Datenmengen verarbeiten und sind dabei mit zwingenden und meist dringlichen Entscheidungssituationen konfrontiert.

Wo genau sehen Sie die Chance im Risiko?

Risiko wird ein Thema und verändert so die Unternehmenskultur. Risiko wird nicht als „gefährlich“, sondern als etwas Positives wahrgenommen.

 Sie haben kürzlich den 2. Patientensicherheitstag der SALK veranstaltet, wie waren Ihre Erfahrungen damit? Entwickelt sich das Thema?

Ja, es entwickelt sich. Leider ist diesmal das Ärztearbeitszeit-Thema zur selben Zeit virulent geworden, daher war das natürlich Priorität. Die Patienten sind grundsätzlich schwer zu erreichen, aber auch die Medien scheinen das Thema nur dann aufzunehmen, wenn es Skandale gibt. Positive Entwicklungen sind offensichtlich nicht „sexy“ genug.

 Hat Patientensicherheit vielleicht ein ähnliches Schicksal wie der Umweltschutz – wenn es passiert, ist es selbstverständlich, und aufregen können nur Skandale?

Ja, das kann gut sein. Vielleicht ist das Spital auch der falsche Ort für einen Informationstag, denn wer geht schon – als Patient – gerne in ein Spital und informiert sich hier freiwillig? Vielleicht ist ein Einkaufszentrum der bessere Ort, wie wir es ja mit der „Pflegestraße“ oder dem „Tag der seltenen Erkrankungen“ immer wieder erleben. Für mich sind viele Dinge noch nicht selbstverständlich. Als ich noch junge Ärztin war, gab es keine OP-Checklisten, kein Identifikationsband – das waren revolutionäre Entwicklungen! Mich erinnert es eher an den Kampf der Emanzipation, der ja in vielen Dingen bis heute in den Kinderschuhen stecken geblieben ist. Das Thema braucht sicher mehr positive Öffentlichkeit!

Wenn Sie heute noch einmal bei der „Stunde null“ beginnen könnten – was würden Sie machen?

Ich würde nichts anders machen! Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich das Thema nur entwickeln kann, wenn es Top-down-Rückhalt gibt. Jetzt haben wir einen Geschäftsführer, dem Patientensicherheit ein Anliegen ist, und das schätze ich sehr. Wichtig sind immer gute interne Netzwerke, die helfen, mit einzelnen Vorreitern Pilotprojekte zu starten. Klappt es dort, kann man den Rollout starten.