Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit: Im Duett erfolgreich

Die Lieferketten vieler Branchen standen in den vergangenen Jahren vor zahlreichen Herausforderungen – von der COVID-19-Pandemie über den Ukrainekrieg bis zum Fachkräftemangel. Dazu kommt der regulatorische Druck, Lieferketten gemäß den ESG-Standards (Environmental, Social and Governance) umzukrempeln. Medizinprodukte-Unternehmen sind zudem nach wie vor mit der Umsetzung der Europäischen Verordnung für Medizinprodukte (MDR) und der Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVDR) gleich mehrfach gefordert. Unter dem Titel „Building a Sustainable & Highly Productive Supply Chain“ haben sich Experten der Unternehmensberatung Arthur D. Little nun überlegt, wie unter diesen Rahmenbedingungen ein holistischer Ansatz für Unternehmen aussehen kann, der nicht bei Einzelaktionen oder dem grünen Strom endet. Sie plädieren für eine tiefgreifende Analyse der eigenen Wertschöpfung, um echte Potenziale zu heben und Lieferketten nachhaltig und resilient gleichermaßen zu gestalten.

Themen geschickt verbinden

„Ausgangspunkt der Veränderung waren die Konsumenten und ihre Ansprüche an Nachhaltigkeit. Das stellt Hersteller vor große Herausforderungen, da die Kosten für Rohwaren und die Arbeitskosten steigen, der Markt diese Preise aber nicht hergibt“, sagt Dr. Kai-Oliver Zander, Experte für Supply Chain Management bei Arthur D. Little, und ergänzt: „Wir haben daher nach Konzepten gesucht, diese Themen nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern Nachhaltigkeit mit Effizienz- und Produktivitätssteigerung zu verbinden. Nur so können Unternehmen sinnvoll davon profitieren.“ Wie das gelingen kann, beschreibt Zander an einem Beispiel: „Wenn aufgrund von Zulieferengpässen und hohen Rohstoffkosten bestimmte Warengruppenstrategien ohnehin neu überdacht werden müssen, dann kann man die Nachhaltigkeit gleich mit ins Boot nehmen.“

Dass bei Medizinprodukte-Unternehmen die Aufrechterhaltung der Versorgung oberste Priorität hat, steht dabei außer Frage. Viele Unsicherheiten lassen sich dennoch nur lösen, wenn Lieferketten verkürzt werden oder höheres Investment, etwa in Form von Beteiligungen, in Kauf genommen wird.

Veränderungen mit vielen Facetten

Wie eine von Klein- und Mittelbetrieben geprägte Unternehmerlandschaft, die noch mit den Folgen der letzten Jahre und dem aktuellen Fachkräftemangel zu kämpfen hat, das trotzdem leisten kann, beschreibt Zander so: „Niemand kann sich eine zusätzliche Kostenbelastung leisten. Bei jeder Veränderung, sei es im Prozess oder an einem Produkt, muss auch eine Produktivitätssteigerung dabei sein. Es braucht daher keine theoretischen Konzepte, sondern eine umsetzungsorientierte Logik.“

Daher plädiert Zander für einen holistischen Ansatz und kommt mit einem gut gefüllten Werkzeugkasten. Seine Empfehlung: „Investieren Sie weniger Zeit in öffentlichkeitswirksame Nachhaltigkeitsberichte oder die Suche nach ihrem CO2-Fußabdruck, sondern konzentrieren Sie sich auf Anwendungen, die konkreten Mehrwert in der Lieferkette bringen. Wer beispielsweise versucht, die CO2-Bilanz zu verbessern, der sollte das nicht nur mit einer Umstellung von Produkten oder der Kompensation über Zertifikate angehen, denn damit ist die Lieferkette weiterhin unbeeinflusst. Besser ist es, so Zander, gleich die Lieferkette mit ins Auge zu fassen und dort nach möglichen CO2-Verursachern zu suchen und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Dazu empfiehlt Zander fünf Schritte:

  1. Eine Basisanalyse der Lieferkette durchzuführen
  2. Die Entwicklung von Produktivitätszielen entlang der Lieferkette festzulegen
  3. Die Definition und Priorisierung von konkreten Anwendungsfällen
  4. Die Entwicklung eines Zielbildes für die Lieferkette
  5. Und schließlich die Definition der Lieferketten-Roadmap

Welches Pferd ist das richtige?

Nicht einfacher macht es derzeit die Tatsache, dass eine Reihe unterschiedlicher Nachhaltigkeitsstandards und -normen existiert, die sich nur teilweise überschneiden, wie zum Beispiel die EU-ESG-Richtlinie, die EU-Taxonomie-Verordnung, der Green Deal, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) oder das Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz. Letzteres verweist wiederum auf die Global Reporting Initiative (GRI), das Umweltmanagement- und Betriebsprüfungssystem EMAS, den Global Compact der Vereinten Nationen (UN) oder die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen. Nicht zu vergessen sind einschlägige ISO-Normen wie ISO 26000, ein Leitfaden mit Empfehlungen zur gesellschaftlichen Verantwortung, oder die ISO 20400 als Leitlinie zur nachhaltigen Beschaffung sowie die EMAS-Zertifizierung und das Umwelt-Audit nach ISO 14001. Auf welches Pferd ein Unternehmen setzen soll, lässt sich wohl schwer vorhersagen: „Aus meiner Sicht gibt es derzeit kein richtiges oder falsches Framework. Nehmen Sie eines, das anerkannt ist, und bleiben Sie diesem treu. Wichtig ist es, den Mehrwert der Produkte und Leistungen sowie das eigene Zielbild nicht aus den Augen zu verlieren“, betont Zander. Für ein gewisses Grundreporting ist man mit allen vorhandenen Möglichkeiten gut aufgestellt, alle anderen Aktivitäten müssen betriebswirtschaftlich getrieben sein.

Zanders wichtigster Tipp für die Zukunft: „Um Lieferketten nachhaltig und resilient zu gestalten, müssen wir bei den Lehren der letzten Jahre bleiben, das heißt: flexibel bleiben und auf Versorgungssicherheit fokussieren, die gleichzeitig auch gut mit der Reduktion von Emissionen entlang der Lieferkette zu kombinieren ist.“ Abschließend rät der Experte, auch Warengruppen ins Visier zu nehmen, die in den letzten Jahren vielleicht weniger Aufmerksamkeit bekommen haben, wie etwa Kunststoffvorerzeugnisse: „Da waren wir gut versorgt, aber hier finden wir sehr energieintensive Produkte.“