„Nicht alles, was machbar ist, ist auch sinnvoll.“

Dr. Karl Forstner, Leiter des ÖÄK-Referates für Telemedizin und medizinische Informatik und Präsident der Salzburger Ärztekammer, erwartet, dass die Akzeptanz digitaler Lösungen erheblich steigen wird und damit weitere und breitere Anwendungsmöglichkeiten realisierbar werden. Er gibt Einblick, wo aus Sicht der Ärzte noch Nachholbedarf besteht.

Aktuell wird im Gesundheitswesen an allen Ecken und Enden digitalisiert – wo sind Vorteile, wo Nachteile für Ärzte?

Dass die Bereitschaft zur Integration der Telemedizin in den Praxisalltag aufseiten der Ärzte auf jeden Fall vorhanden ist, zeigt etwa der Telemed-Monitor, der von der Donau-Universität Krems in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer durchgeführt wurde. Hier wurden Ärzte per Online-Umfrage zu den Themen Akzeptanz, Vorteile und Hindernisse der telemedizinischen Betreuung im niedergelassenen Bereich befragt. Der Tenor der über 600 Rückmeldungen: Telemedizin kann die medizinische Versorgung allgemein und insbesondere in schwierigen Zeiten wie der COVID-19-Pandemie wirksam unterstützen. 61 % der Ärzte sehen sehr großes oder großes Potenzial für die telemedizinische Versorgung von Patienten in fordernden Zeiten. 57 % befürworten Telemedizin auch außerhalb von Krisen im medizinischen Alltag aktiv bzw. befürworten Telemedizin grundsätzlich, wollen jedoch erste Erfahrungen abwarten. Diese Bereitschaft wird mit dem Nachrücken junger Ärztegenerationen zweifellos weiter zunehmen.

Bleiben Patienten, denen die digitale Gesundheitskompetenz fehlt, auf der ­Strecke? Müssen Ärzte dieses Manko ­ausgleichen?

In der Tat ist das ein Thema in der Ärzteschaft. In dem bereits angesprochenen Telemed-Monitor sehen acht von zehn Ärzten Barrieren hinsichtlich der Technikaffinität von Patienten, vor allem bei älteren Personen. Auf der anderen Seite zeigen uns aber die Befragungsergebnisse bei telemedizinischen Pilotprojekten, etwa im Bereich der Dermatologie, dass die Zufriedenheit bezüglich Handhabung sowohl aufseiten der Ärzteschaft als auch bei Patienten durch die Bank äußerst hoch sein kann. Allgemein ist aber eindeutig festzuhalten, dass sich digitale Anwendungen nur dann durchsetzen werden, wenn sie sowohl von Patienten als auch von Ärzten angenommen werden und wenn beide Seiten Vertrauen in die neuen Systeme haben. Künftig werden von der öffentlichen Hand sichere und qualitätsvolle Telemedizin-Tools zu fordern sein. Das umfasst sichere Daten und Leitungen, aber auch niedrigschwellige Angebote für ältere Menschen, für Nicht-Deutschsprachige oder sogenannte Digital Immigrants, die nicht in dieser digitalen Welt aufgewachsen sind und sich in ihr unsicher fühlen.

Verbessern digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) tatsächlich Diagnose, Therapie und damit Gesundheit der Patienten?

Der Nutzen von DiGA steht und fällt wie erwähnt mit seiner Akzeptanz. Telemedizin kann und muss den Arzt in seiner Arbeit unterstützen und sie muss den Patienten einen Mehrwert bringen. Im Hinblick auf die Betreuung von chronisch Kranken, die aufgrund der demografischen Entwicklung auch in Zukunft einen erheblichen Teil der Patienten ausmachen werden, Tendenz klar steigend, ist eine zusätzliche Betreuung durch digitale Lösungen eine wertvolle Ergänzung. Man muss dazu aber ergänzen, dass es nie ohne den direkten, persönlichen Kontakt gehen wird. Ebenfalls ist klar: Bei allen digitalen Anwendungen müssen zunächst wesentliche Punkte wie Datensicherheit und Usability geprüft werden. Weder dürfen die wertvollen Daten unserer Patienten in Gefahr geraten, noch darf eine Ordination mit unausgegorenen Lösungen über Gebühr belastet werden. Nicht alles, was machbar ist, ist daher auch sofort sinnvoll.

Was wünschen sich Ärzte im Hinblick auf die weitere Digitalisierung?

Ein Punkt ist zentral: Ärzte brauchen jederzeit klare rechtliche Grundlagen, auf denen sie sich bewegen können. Zudem müssen sie sich auf ihre telemedizinischen Werkzeuge jederzeit verlassen können, das betrifft die Themenfelder Zuverlässigkeit, Anwenderfreundlichkeit, aber auch die Datensicherheit. Wir dürfen bei diesem Themenkomplex nie vergessen, dass es sich hier um Daten handelt, die höchst sensibel sind und auch immer wieder zum Ziel krimineller Aktivitäten werden. Für uns gehört dazu beispielsweise eine stringente Zertifizierung und Interoperabilität. Die Österreichische Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed) wurde daher ins Leben gerufen, auch, um sich an der Schnittstelle zwischen Herstellern, Systemverantwortlichen und Ärzten zur Gewährleistung der Interoperabilität von Systemen einzubringen. So sollen Entwicklungen auf Basis der in Österreich verfügbaren Standards gefördert und Insellösungen vermieden werden. Dazu brauchen Ärzte einen berufsethischen Kompass, den niemand anderer kompetenter erstellen und bewahren kann als die Ärzteschaft selbst. Das sind ebenso Themen der Ärztekammer wie die Fragen der Abrechenbarkeit und andere Fragestellungen im Zusammenhang mit Sozialversicherungen.

Soll es DiGA auf Rezept geben?

Wenn alle diese oben genannten Fragen beantwortet und unsere Voraussetzungen erfüllt sind, wird sich fast zwangsläufig die Frage nach der Integration in den kassenärztlichen Leistungsbereich stellen. Schon jetzt hat die niedergelassene Ärzteschaft in ihrem einheitlichen Leistungskatalog großes Augenmerk auf die Abbildung telemedizinischer Leistungen gelegt. Natürlich wollen Ärzte allen ihren Patienten Medizin anbieten, die dem State of the Art entspricht. Stetiger Wandel, Fortschritt und konstante Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten sind ja Eckpfeiler der Medizin, seit es diese gibt.