Schwangerschaftsdiabetes schonender erkennen

Die Schwangerschaft ist eine außergewöhnliche Stresssituation für den weiblichen Organismus. So kommt es auch bei gesunden Frauen ab der zweiten Schwangerschaftshälfte zu einer Abnahme der Insulinsensitivität. Bei präkonzeptionellen Störungen im Glukosestoffwechsel führt dieser Mechanismus zur Manifestation eines Gestationsdiabetes (GDM), von dem etwa 15 Prozent aller Schwangeren betroffen sind. Unbehandelt ist diese Erkrankung mit einer hohen Komplikationsrate für Frauen und Kinder behaftet: Neben neonatologischen Komplikationen wie abnormem Größenwachstum und postpartaler Hypoglykämie ist das Risiko für eine spätere Entwicklung von Typ-2-Diabetes bei betroffenen Frauen und Kindern deutlich erhöht. Durch eine rechtzeitige Diagnose können diese Komplikationen deutlich reduziert werden, Mutter und Kind können in Nachsorgeprogrammen betreut und überwacht werden.

Diagnostischer Screeningstandard OGTT

Im Jahr 2011 wurde der orale Glukosetoleranztest (OGTT) verpflichtend in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen und gilt seither als diagnostischer „Goldstandard“. Die Untersuchung erfolgt im frühen letzten Schwangerschaftsdrittel zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche, bei Schwangeren mit erhöhtem Risiko für das Auftreten eines GDM unter Umständen schon früher. Der Schwellenwert für den Nüchternblutzucker liegt in Österreich gemäß den internationalen Leitlinien der IADPSG (International Association of Diabetes in Pregnancy Study Groups) bei 92 mg/dl. Die weiteren Schwellenwerte sind bei 180 mg/dl nach einer Stunde sowie bei 153 mg/dl zwei Stunden nach Verabreichung von 75 g Glukose (postprandial) angesetzt, wobei die Werte auf venöses Plasma bezogen werden. Von vielen Frauen wird diese Screening-Untersuchung allerdings als belastend erlebt, zumal sie mit mehreren Blutabnahmen und der Einnahme von 75 mg Glukoselösung innerhalb weniger Minuten verbunden ist.

Alternative zu OGTT

„Ein neu entwickeltes Testverfahren bietet eine Alternative für Schwangere, die sich aus diversen Gründen keinem OGTT unterziehen können oder wollen“, berichtet Dr. Christian Göbl von der Universitätsfrauenklinik, AKH Wien. Das neue Analysemodell basiert auf einem zweistufigen GDM-Vorhersagealgorithmus, der im Rahmen einer österreichweiten Studie entwickelt wurde. In der ersten Teststufe wird bei der werdenden Mutter ein generelles Screening mittels Nüchternblutzucker zum Ausschluss einer manifesten Erkrankung durchgeführt. Zusätzlich werden bei Frauen mit unauffälligem Nüchternblutzucker die bekannten Risikofaktoren anamnestisch erhoben und ein Risikomodell zur Klassifizierung der Schwangeren in geringes bzw. mittleres/hohes Risiko für GDM errechnet. „Mit diesen Daten lässt sich eine relativ hohe Testgenauigkeit erzielen“, betont Göbl. „Nur wenn der Nüchternblutzucker unter 92 mg/dl liegt, das Risiko aber laut Anamnese erhöht ist, wird in einem zweiten Schritt ein allfälliger Zuckerbelastungstest durchgeführt werden.“ Bei Werten darüber kann auf den OGTT jedenfalls verzichtet werden. Insgesamt könnte so die Anzahl der Tests deutlich reduziert werden, was einer Kostenersparnis gleichkommt.

Die Durchführung des OGTT im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ist ein Meilenstein in der Schwangerenvorsorge. Göbl: „Solange sich unser Gesundheitssystem dieses Screening leisten kann, bleibt diese Untersuchung State-of-the-Art. Allerdings sollte es eine Alternative für Frauen geben, die eine 75 mg-Glukoselösung nicht gut vertragen, etwa wegen Magenirritationen, Erbrechen oder bestimmten Typen von Stoffwechselkrankheiten.“ Wichtig wäre laut Gynäkologen die Analyse des Nüchternblutzuckers bereits im ersten Trimenon, um einen präkonzeptionellen Diabetes mit Werten über 126 mg/dl rechtzeitig zu erkennen. Eine Kombination mit dem neu entwickelten Screeningalgorithmus erscheint sinnvoll.

 

Anamnestische Risikofaktoren bei GDM

  • Übergewicht
  • Positive Familienanamnese eines Typ-2-Diabetes **
  • wiederholte Fehlgeburten
  • höheres Alter **
  • Glukosurie (Nachweis von Glukose im Harn) **
  • Hydramnion (vermehrte Fruchtwassermenge)
  • Ethnizität (Südamerika, Afrika und Asien) **
  • Hyperlipidämie vor der Schwangerschaft **

** Die gekennzeichneten Risikofaktoren fließen in die Berechnung des neu entwickelten Risikomodells ein.

 

Diagnostische Tests auf ­Gestationsdiabetes

Bestimmung der Glykosurie („Harnstreifentest“)
Durchführung:
semiquantitative, enzymatische Teststreifen
Vorteil:
einfache, schnelle Handhabung, keine Belastung für die Schwangere
Nachteil:
große Schwankungsbreite der Nachweisgrenzen bei unterschiedlichen Herstellern; „Physiologische Glykosurie“ in der Schwangerschaft
Referenzwerte: zwischen 23 mg/dl und 130 mg/dl je nach Hersteller

Selektives Screening nach Risikofaktoren
Durchführung:
Anamnesegespräch, Vorbefunde 

Vorteil:
einfache Handhabung, keine Belastung für die Schwangere

Nachteil:
relativ geringe Testgenauigkeit der einzelnen Faktoren; Schwierigkeit, aus der Praxis ein Vorhersagemodell zu entwickeln, da große Anzahl von Patienten erforderlich ist

OGGT: oraler Glukose-Toleranztest
Durchführung:
dreimalige Blutabnahme venös (vor, dann in Abständen von 1 und 2 Stunden nach Einnahme der Glukoselösung von 75 mg)

Vorteil:
zuverlässiges Testergebnis

Nachteil:
zeitaufwendig, belastend für die Schwangere, Kostenaufwand, da als Screening eingesetzt
Referenzwerte: venöses Vollblut: Nüchternwert von unter 92 mg/dl, 1-Stundenwert unter 180 mg/dl, 2-Stundenwert unter 153 mg/dl

Nüchternblutzuckertest
Durchführung:
Blutabnahme

Vorteil:
zuverlässiges Testergebnis; ab einem Nüchternblutzuckerwert ≥ 92 mg/dl wird diagnostisch das Vorliegen von GDM angenommen; weitere Diagnostik ist in diesem Fall nicht mehr notwendig; Werte in der Frühschwangerschaft ≥ 126 mg/dl sprechen für das Vorliegen eines Typ-2-Diabetes vor der Schwangerschaft

Nachteil:
Messung im Nüchternzustand ist notwendig
Referenzwerte: Nach Daten der HAPO-Studie (Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome) können ca. 50 % der erkrankten Frauen allein durch pathologischen Nüchternblutzucker erkannt werden; besonders niedrige Werte sprechen a priori gegen das Vorliegen von GDM.

Zweistufentest/Vorhersagealgorithmus
(Gestational Diabetes Prediction Score – GPS)

Durchführung:
Blutabnahme, Risikoanamnese, Risikoerrechnung
Vorteil: kosteneffektiver, weniger belastend

Nachteil:
Ein kleiner Prozentsatz (1,7 – 3,5 %) der Betroffenen könnte übersehen werden.
Referenzwerte: Scorewert unter 0,20 bzw. Nüchternblutzucker < 92 mg/dl schließt das Vorhandensein von GDM weitgehend aus

50 g-Glucose-Challenge-Test (GCT): wird in Deutschland, aber nicht in Österreich durchgeführt
Durchführung:
eine Stunde nach oraler Gabe von 50 g Oligosaccharid wird die Glukosekonzentration im venösen Blut bestimmt
Vorteil:
auch im Nicht-nüchtern-Zustand (ab 24. SSW) möglich
Nachteil: deutlich höherer Zeitaufwand im Vergleich zur Nüchternblutzuckerbestimmung, geringe Reproduzierbarkeit der Ergebnisse
Referenzwerte: Ab Werten über 135 mg/dl eine Stunde nach Einnahme der Zuckerlösung gilt der Test als positiv und es wird ein OGTT zur definitiven Diagnose empfohlen.

HbA1c-Bestimmung:
Durchführung:
Blutabnahme
Vorteil:
eindeutiges Diagnosekriterium für präkonzeptionellen Diabetes zu Beginn der Schwangerschaft

Nachteil:
Für die Untersuchung in der 24. bis 28. Woche ist das HbA1c ungeeignet, weil der Hämoglobinstoffwechsel verändert sein kann.
Referenzwert: 6,5 HbA1c