Therapeutische Hypothermie

Jährlich erleiden ungefähr 20.000 Menschen in Österreich einen Schlaganfall, der nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache und die Hauptursache für bleibende Behinderungen ist. Neben der raschen medikamentösen Behandlung mit Thrombolytika und der Frührehabilitation gibt es zurzeit in der klinischen Routine keine andere wirksame Therapie zur Vermeidung von Langzeitfolgen. Die therapeutische Hypothermie gibt als relativ neues experimentelles Behandlungskonzept Hoffnung, in Zukunft Behinderungen nach Schlaganfall wirkungsvoll zu vermeiden oder zu mildern.

Protektiver Effekt

Die Wirkung von Hypothermie zur Vermeidung von neurologischen Beeinträchtigungen nach Hirnischämie ist schon lange bekannt. So überleben Lawinen- oder Ertrinkungsopfer oft nach langen Herzstillstandszeiten, vorausgesetzt das Gehirn ist bereits vor dem Herzstillstand und der dadurch bedingten Hirnischämie kalt. Hier ist der protektive Effekt der Hypothermie primär durch Herabsetzung des Sauerstoffbedarfs der Hirnnervenzellen bedingt. Beim plötzlichen Herztod kommt es zu einer normothermen Hirn­ischämie und bei erfolgreicher Wiederbelebung durch die wiedereinsetzende Zirkulation zu einem Reperfusionsschaden der ­Hirnnervenzellen. In diesem Fall wirkt die therapeutische milde (32-35 °C) Hypothermie durch Verhinderung oder Verminderung zahlreicher pathophysiologischer Prozesse, die zum Reperfusionsschaden führen. Die Wirksamkeit der therapeutischen milden ­Hypothermie nach Herzstillstand konnte in klinischen randomisierten Studien nachgewiesen werden und wird von den internationalen Fachgesellschaften in Leitlinien empfohlen.

Einsatz beim Schlaganfall

Analog zum Kreislaufstillstand kommt es auch beim Schlaganfall zu einem Sauerstoffmangel im Gehirn, allerdings abhängig vom blockierten Gefäß nur in einem lokalisierten Hirnareal und meist permanent, außer das blockierte Gefäß wird mittels Autolyse oder einer Thrombolysebehandlung wiedereröffnet. Aufgrund dieser pathophysiologisch relevanten Unterschiede können die Studienergebnisse zur Hypothermie beim Kreislaufstillstand nicht einfach auf den Schlaganfall übertragen werden.
Tierexperimente haben gezeigt, dass es nach einer temporären Ischämie von ein bis zwei Stunden möglich ist, das Infarktareal durch therapeutische Hypothermie um bis zu 50 Prozent zu vermindern. Dagegen konnte bei den Tiermodellen mit permanenter Ischämie – analog zu einem Schlaganfall ohne Autolyse oder Thrombolysetherapie – die Wirkung der therapeutischen Hypothermie nicht immer nachgewiesen werden. An diese tierexperimentellen Ergebnisse bei temporärer fokaler Ischämie wurden eine Reihe von klinischen Pilotstudien zur Machbarkeit und Sicherheit der milden Hypothermie bei Patienten mit Schlaganfall angeschlossen.

Wie wird beim Schlaganfall gekühlt

Die Kühlprotokolle der Pilotstudien stützten sich auf die Erfahrungen mit milder Hypothermie bei Patienten nach Herzstillstand und auf experimentelle Daten. Die Patienten wurden nach Eintreffen in den Kliniken innerhalb von sechs bis zwölf Stunden nach Symptombeginn entweder mit externen Kühlmethoden oder einem endovaskulären Kühlkatheter gekühlt. Beide Methoden waren effektiv, die externen Kühlmethoden mit einer Verzögerung von über drei Stunden von Start der Behandlung bis zum Erreichen der Zieltemperatur jedoch deutlich langsamer. Die Zieltemperaturen lagen zwischen 32 °C und 35 °C, die angestrebte Kühldauer betrug ­zwischen zwölf und 72 Stunden. Da die Patienten in den meisten Studien wach waren, wurden sie während der Kühlperiode zur Verhinderung des Kältezitterns und zur Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens mit Pethidin und Buspiron analgosediert. Neben der Machbarkeit war die Sicherheit der Behandlung ein wichtiger Aspekt der Pilotstudien. Als gefürchtete Nebenwirkung kann es durch die Thrombolyse und die starke Blutverdünnung zu einer sekundären Einblutung in das bereits vorgeschädigte Gebiet des Schlaganfalls und damit zu einer dramatischen Verschlechterung des Zustands des Patienten kommen.
Ob es unter therapeutischer Hypothermie zu einer Veränderung der Thrombolysewirkung kommt, war bis dato von klinischen Studien hier nicht bekannt. In den Pilotstudien gab es keinen Hinweis, dass Hypothermie zu einer höheren Blutungsrate oder zu einer weniger effektiven Thrombolyse führt. Als Nebenwirkung konnte jedoch unter anderem eine höhere Rate an Pneumonien festgestellt werden. Bemerkenswert war auch der Einfluss von Hypothermie auf den Hirndruck. Während ein erhöhter Hirndruck durch die Kühlphase meist gesenkt werden konnte, kam es bei einem Teil der Patienten in der Erwärmungsphase zu einem fast überproportionalen Anstieg.

Laufende Studien

Um die Wirksamkeit und weitere Fragen der Sicherheit der milden Hypothermie bei Schlaganfall zu untersuchen, wurden 2010 und 2013 zwei große randomisierte Studien initiiert. ICTUS 2/3 wurde 2010 mit über 14 Zentren größtenteils in den USA begonnen und hat als Fokus Schlaganfallpatienten, die innerhalb von drei Stunden nach Symptombeginn Thrombolyse erhalten. Wenn Patienten zu therapeutischer Hypothermie randomisiert werden, erhalten sie noch während der Thrombolyse 30 ml/kg Körpergewicht eiskalte Flüssigkeit, danach wird die Behandlung mit einem endovaskulären Kühlkatheter fortgesetzt. Die Zieltemperatur von 33 °C wird für 24 Stunden aufrechterhalten. Im Rahmen der EuroHYP-1 Studie wurde seit 2013 begonnen, an rund 80 europäischen Zentren Schlaganfallpatienten einzuschließen. Die Patienten werden innerhalb von sechs Stunden nach Symptombeginn randomisiert, erhalten zu Beginn ebenfalls kalte Flüssigkeiten und werden danach mit einer Oberflächenkühlung oder einem endovaskulären Kühlkatheter weitergekühlt. Die Zieltemperatur beträgt 34 bis 35 °C, die Kühldauer ebenfalls 24 Stunden. In beiden Studien werden nach drei Monaten der neurologische Zustand und die Rate an beo­bachteten Nebenwirkungen zwischen gekühlten und nicht gekühlten Patienten verglichen, die Ergebnisse werden für das Jahr 2017 erwartet. Bei der EuroHYP-1 Studie sind zwei Aspekte kritisch anzumerken: Tierstudien bei fokaler Ischämie haben einerseits gezeigt, dass eine Temperatur von weniger als 35 °C zur Wirksamkeit notwendig ist und anderseits, dass die Wirkung der milden Hypothermie bei permanenter Ischämie fraglich ist. Bei der EuroHYP-1 Studie ist die Zieltemperatur 34 bis 35 °C und es werden auch ­Patienten ohne Thrombolyse (also permanenter Ischämie) eingeschlossen.

Ausblick

Die Fortschritte in der Entwicklung von Kühlmethoden und der Intensivmedizin haben die Kühlung von wachen Schlaganfallpatienten und damit die Erforschung der potenziell positiven Effekte der therapeutischen Hypothermie ermöglicht. Speziell beim Schlaganfall ist die Anwendung der Hypothermie diffizil und es ist besonders wichtig, große Anwendungsstudien zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit vor der Implementierung in die tägliche klinische Routine durchzuführen.

 

Quellen:
Tzu-Ching Wu, James C Grotta. Hypothermia for acute ischaemic stroke. Lancet Neurol 2013; 12: 275–84.
ÖGSF | Österreichische Gesellschaft für Schlaganfall-Forschung.