20 Jahre DIABETES FORUM

Herr Professor Schernthaner, DIABETES FORUM feiert heuer sein 20-jähriges Bestehen. Ein Blick zurück zu den Anfängen … Vor welchem Hintergrund und mit welchem Ziel wurde DIABETES FORUM ins Leben gerufen?

Guntram Schernthaner: Als damaliger Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) hatte ich die Idee, eine breit aufgestellte Fortbildung auf hohem Niveau und gleichzeitig mit hoher Praxisrelevanz zu etablieren. Diese sollte allen Ärzten in Österreich zugänglich sein und dazu beitragen, die Versorgung und Behandlung von Patienten mit Diabetes für den Arzt zu erleichtern und für die Betroffenen zu verbessern; als Konsequenz sollte dies zu einer besseren Prognose für Diabetespatienten führen.

Der Name DIABETES FORUM entstand aus dem Gedanken, dass das Medium ein Praxisforum der Österreichischen Diabetes Gesellschaft darstellt.

Wie sah das inhaltliche Konzept aus, und inwiefern hat es sich entwickelt?

DIABETES FORUM war das erste diabetologische Fortbildungsmedium, das in Form von Themenheften auf dem jeweils aktuellsten Wissensstand eine Fragestellung komplett, auch interdisziplinär, beleuchtete. Indem in jeder Ausgabe ein Aspekt wissenschaftlich vollständig, aber auch immer mit Blick auf die Praxis aufgearbeitet wurde, konnte und kann dies als Hilfestellung für die Behandlung genützt werden. Zusätzliche Rubriken gaben stets kurze Einblicke in neue Ergebnisse und Entwicklungen und boten einen Überblick über die wichtigsten Themen auf nationalen und internationalen Kongressen, um auch abseits des Focus-Themas auf dem neuesten Stand der Forschung zu sein. Und natürlich hatte und hat die ÖDG selbst die Möglichkeit, ihre Ziele und Aktivitäten zu präsentieren.
Diesem Konzept sind wir bis heute treu geblieben, weil es sich bestens bewährt hat. Allerdings wurde das Printmedium – angelehnt an hochrangige internationale Journale – um das „E-pub ahead of print“-Konzept („DIABETES FORUM online first“) erweitert, um die wichtigsten neuen Informationen aus Publikationen und Kongressenohne Verzögerung zugänglich zu machen.
Als bislang letzte Neuerung wurde 2019 der „diabetes congress x-press“ eingeführt, bei dem heimische Experten News-Meldungen von den großen Diabeteskongressen zur Verfügung stellen, die während oder unmittelbar nach Ende des Kongresses per E-Mail an die Zielgruppe verschickt werden.
Auch der optische Auftritt von DIABETES FORUM wurde im Lauf der Jahre einer Modernisierung unterzogen, wobei auch hier das ursprüngliche Konzept in seinen Grundzügen beibehalten wurde.

Was macht den erfolgreichen Mix an Autoren aus?

Über alle 20 Jahre ist es uns gelungen, führende österreichische Experten aus den einzelnen Teil- und Spezialgebieten als Autoren zu gewinnen. Zusätzlich fungierten in DIABETES FORUM auch international höchst anerkannte Experten als Autoren; dazu zählen neben vielen anderen Silvio Inzucchi, Ralph DeFronzo, Michael Nauck, Hans de Vries, Anette-Gabriele Ziegler und John Wilding.
Bei der Recherche nach österreichischen Experten fällt auf, dass es eine „junge Generation“ sehr engagierter „Nachwuchs“-Diabetologen gibt, um deren Förderung und Vernetzung auch die ÖDG sehr bemüht ist.

Wie hat sich die Sicht auf die Krankheit Diabetes während dieser Zeit verändert?

Dazu sind mehrere Aspekte zu nennen. Am wichtigsten ist, dass sich die Prognose für Diabetespatienten während dieser vergangenen 20 Jahre entscheidend verbessert hat. Als ein prominentes Beispiel dafür ist die Niereninsuffizienz zu nennen: Diese stellt nicht nur den härtesten und – im Unterschied zu anderen Komplikationen wie z. B. dem diabetischen Fußsyndrom – objektiv messbaren Parameter dar, sondern spiegelt auch sehr gut die Erfolgsgeschichte der Diabetologie wider, weil ihre Entstehung sehr eng mit der Blutzuckereinstellung assoziiert ist. Hier konnte laut dem Österreichischen Dialyse- und Transplantationsregister insbesondere in Österreich in den letzten Jahren eine drastische Reduktion der Inzidenz neu dialysepflichtiger Diabetiker verzeichnet werden; die Prävalenz hat sich aufgrund der Zunahme von Patienten mit Typ- 2-Diabetes bis dato kaum verändert. Insgesamt wurde aber auch die Häufigkeit anderer Ereignisse wie Gesamtsterblichkeit, kardiovaskuläre Erkrankungen bzw. Mortalität und Herzinsuffizienz dank neuer Therapien zum Teil signifikant reduziert.
Eine weitere Veränderung der Sichtweise könnte sich im Hinblick auf die Primärprävention abzeichnen: Stand aufgrund der Daten bisher die Sekundärprävention im Vordergrund, weisen die Ergebnisse der REWIND-Studie darauf hin, dass die kardiovaskuläre Ereignisrate – in diesem Fall bei Behandlung mit einem GLP-1-Agonisten – auch bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren, aber ohne vorangegangenes Ereignis, gesenkt werden kann (Gerstein HC et al., Lancet 2019; 394:121–30).
Nicht zuletzt hat sich die Sicht auf die Therapieziele verändert. Die ADA/EASD-Leitlinien 2015 (Inzucchi S et al., Diabetes Care 2015; 38:140–9) empfehlen erstmals eine Individualisierung des HbA1c-Zielwertes auf Basis mehrerer Faktoren wie Alter oder Lebenserwartung. Rezente Fortsetzung findet die Individualisierung in der aktuellen Auflage der ADA/EASD-Guidelines (Buse JB et al., Diabetologia 2020; 63:221–8), die im Vergleich zur Vorgängerversion (Davies MJ et al., Diabetologia 2018; 61:2461–98) auf Basis neuester Studien einige neue und sehr differenzierte Empfehlungen enthält. So sollen demnach kardiovaskuläre Hochrisikopatienten mit einem GLP-1-Agonisten oder SGLT-2-Hemmer behandelt werden, um schwere Ereignisse (MACE) sowie Todesfälle, Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz oder die Progression einer Niereninsuffizienz zu verhindern – und zwar unabhängig vom aktuellen HbA1c-Wert bzw. vom individuellen HbA1c-Ziel. GLP-1-Agonisten können auch bei Patienten ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung beim Vorliegen spezifischer Risiko-Indikatoren erwogen werden. SGLT-2-Hemmer werden insbesondere für Typ-2-Diabetiker mit Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz empfohlen.

Welchen Stellenwert hat DIABETES FORUM bei Österreichs Ärzten bzw. im deutschen Sprachraum?

In einer großen Anzahl an Zuschriften, die ich erhalte, bedanken sich Leser des DIABETES FORUM für diese Fortbildungsmöglichkeit auf hohem fachlichem Niveau mit Praxisbezug und -relevanz, die zudem gut verständlich und optisch ansprechend aufbereitet ist. Es gab auch Anfragen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft mit der Bitte, Artikel aus DIABETES FORUM übernehmen zu dürfen.

Was bleibt in den nächsten Jahren zu tun?

Das Ziel muss sein, die mit Diabetes assoziierten Komplikationsraten und Todesfälle noch weiter zu senken. Dies wird gelingen, indem die einzelnen Medikamentenklassen noch intensiver untersucht und entsprechend noch zielgerichteter bei jenen Patienten eingesetzt werden, die am meisten davon profitieren. Gleiches gilt für die Nutzung neuer Technologien. Eine weitere Abnahme der Komplikationen ist auch durch die derzeit noch wenig praktizierte Kombination moderner Antidiabetika wie etwa SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten zu erwarten. DIABETES FORUM wird weiterhin Unterstützung bei der Therapieplanung anhand neuer Erkenntnisse anbieten.

Der Focus dieser Ausgabe von DIABETES FORUM lautet, entsprechend dem Motto der 47. ÖDG-Jahrestagung, „Diabetes vernetzt“. Was darf man sich unter diesem Leitmotiv vorstellen, und welche Bedeutung messen Sie der Vernetzung bei?

Auch die Vernetzung betrifft mehrere Ebenen. Einerseits geht es um die Vernetzung aller medizinischen Disziplinen, die auf unterschiedliche Weise Bedeutung für die Betreuung von Patienten mit Diabetes haben – naheliegenderweise etwa Kardiologie, Angiologie, Nephrologie und Hepatologie, aber auch Chirurgie, Onkologie, Psychiatrie und viele weitere.
Der interdisziplinären Zusammenarbeit widmen sich drei Artikel des vorliegenden Schwerpunkts. O. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h. c. Heinz Drexel, Feldkirch, berichtet über die Ende 2019/Anfang 2020 publizierten ESC-Leitlinien zur lipidsenkenden Therapie. Aus neuer Evidenz geht nunmehr eindeutig das Leitprinzip „the lower, the better“ hervor, was vor allem in Hochrisikopopulationen wie dem Patientenkollektiv mit Diabetes mellitus von hoher Wichtigkeit ist. Prof. Drexel nennt abschließend auch Maßnahmenvorschläge, mit denen die Guidelines künftig auch in der Praxis besser umgesetzt werden können.
Die Schnittstelle Diabetologie/Gastroenterologie wird in dem Artikel von Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Yvonne Winhofer-Stöckl zum Thema „Duale und Triagonisten“ beleuchtet. Neben dem GLP-1-Rezeptor stellen derzeit auch der Glukagon-Rezeptor sowie der GIP-Rezeptor mögliche Targets dar; die Zweifach- und Dreifachkombination dürfte nicht nur antihyperglykämische Wirksamkeit aufweisen, sondern künftig auch die Optionen der konservativen Adipositastherapie erweitern.
Derzeit stellt die signifikante Gewichtsabnahme die effektivste Therapie der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung dar; spezifische medikamentöse Therapien fehlen bislang. Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Susanne Kaser, Innsbruck, stellt in ihrem Beitrag neue, in Entwicklung befindliche Substanzklassen vor, die diese therapeutische Lücke schließen und langfristig das Risiko für die Entstehung von Zirrhosen und hepatozellulären Karzinomen reduzieren könnten.
Ein weiterer Aspekt der Vernetzung betrifft die vielfältigen neuen Technologien, die Patienten und Betreuer miteinander vernetzen, um die Behandlung zu verbessern und gleichzeitig zu vereinfachen. Einen Teilaspekt der zunehmenden Technologisierung beleuchtet Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Sabine Hofer, Innsbruck, in ihrem Beitrag „Time in range – the new target?“. Der metrische Parameter TIR gewinnt aufgrund des vermehrten Einsatzes von kontinuierlichem Glukosemonitoring immer mehr an Bedeutung und weist eine gute Korrelation mit dem Risiko für diabetische Komplikationen auf.
Zu guter Letzt gewährt der Beitrag „Chronobiologie und Energiestoffwechsel“ von Dr. med. Svenja Meyhöfer und Prof. Dr. med. Sebastian M. Schmid, Lübeck, einen Blick über den Tellerrand: Der Artikel gibt nicht nur einen Überblick über die Schlafarchitektur und die vielfältigen Auswirkungen von gestörtem Schlaf auf den Metabolismus, sondern auch praktische Tipps für die Verbesserung der Schlafqualität.

 

Herzliche Gratulation zu 20 Jahren DIABETES FORUM und vielen Dank für das Gespräch!