Die Nieren im Fokus der Diabetologie


Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege!

Mit der Prävention und Therapie der chronischen Nierenerkrankung (CKD) haben wir das heurige Jahr in DIABETES FORUM begonnen, und mit dem Management der Nephropathie bei Patienten mit Diabetes mellitus – konkret den Möglichkeiten und Grenzen der Pharmakotherapie, die sich aus einer reduzierten glomerulären Filtrationsleistung ergeben – wollen wir das Jahr beschließen. Die vielfältigen Aspekte dieser Problematik finden Sie in den Beiträgen dieses Hefts dargestellt. Wieder konnten wir auf die Mitarbeit ausgewiesener Experten zählen, wobei ich mich bei Dr. Anne Zanchi und ihren Mitautoren für die Zusammenfassung der aktuellen schweizerischen Empfehlungen zum Einsatz antidiabetischer Arzneimittel bei Patienten mit Nephropathie (Zanchi et al., Swiss Med Wkly 142:w13629, 2012) an dieser Stelle ganz besonders bedanken möchte.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, liegen auch schon die neuen Praxisleitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (Wien Klin Wochenschr 124[Suppl 2]:S1, 2012) vor, die – wie schon in den vergangenen Jahren – extensiv auf die Herausforderungen bei der Behandlung von Patienten mit CKD eingehen. Fast zeitgleich hat die US-amerikanische Kidney Disease Outcomes Quality Initiative (KDOQI) das „2012 Update“ ihrer Praxisleitlinien vorgelegt (Rocco & Berns, Am J Kidney Dis 60:850, 2012), und im Dezember folgt die Praxisleitlinie der internationalen Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Foundation für das Blutdruckmanagement bei Patienten mit CKD (KDIGO Blood Pressure Work Group, Kidney Int Suppl 2:337, 2012), an deren Erstellung ich beteiligt sein durfte.

An der Fülle neuer Leitlinien lässt sich ablesen, wie dynamisch sich die Behandlung der Nephropathie – gerade im Kontext des Diabetes mellitus – entwickelt. Dabei haben sich die Hoffnungen, durch immer engagiertere Therapieziele die Prognose der Patienten verbessern zu können, auch in diesem Bereich nicht immer erfüllt – selbst wenn man den Schlussfolgerungen von Slinin et al. (Am J Kidney Dis 60:747, 2012), intensivierte Diabetestherapie, Angiotensin-II-Kontrolle und Lipidintervention hätten im Hinblick auf harte klinische Endpunkte bei Diabetespatienten mit CKD wenig gebracht, pauschal nicht folgen will.

Vor allem in fortgeschrittenen Stadien der Nierenerkrankung sind die Benefits und Risiken der diversen Interventionen aber sorgfältig gegeneinander abzuwägen. So ist die Datenlage zur Statintherapie bei Dialysepatienten zweifellos nicht konklusiv. Ebenso hat sich gezeigt, dass eine weniger strikte Diabeteseinstellung mit einem HbA1c zwischen 7 % und 8 % in dieser Patientengruppe optimal sein dürfte (z. B. Ricks et al., Diabetes 61:708, 2012). Schließlich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass eine Blutdruckeinstellung im Bereich von < 125/75 mmHg zwar aus nephrologischer Sicht von Vorteil sein mag, aber insbesondere Patienten mit koronarer Herzerkrankung unverhältnismäßigen Risiken aussetzt (Cooper-DeHoff, JAMA 304:61, 2010).

Vor diesem Hintergrund empfiehlt die KDIGO-Expertengruppe für Diabetespatienten mit CKD ohne Albuminurie ein Blutdruckziel von ≤ 140/≤ 90 mmHg, während bei Diabetes, CKD und erhöhter Albuminausscheidung (> 30 mg/24 h) Zielwerte von ≤ 130/≤ 80 mmHg angestrebt werden sollten. Angiotensinrezeptorblocker (ARB) und ACE-Hemmer sind First-Line-Therapeutika, wenn eine Makroalbuminurie (> 300mg/24 Stunden) vorliegt und eine medikamentöse Blutdrucksenkung angezeigt ist. Unabhängig vom Blutdruck sollten ARB oder ACE-Hemmer bei Patienten mit Mikroalbuminurie (30–300 mg/24 h) verwendet werden. Wie so oft in der Diabetologie (Inzucchi et al., Diabetologia 5:1577, 2012) müssen auch diese Vorgaben an die individuelle Situation (Alter, kardiovaskulärer Status, Vorliegen einer diabetischen Retinopathie, Verträglichkeit etc.) angepasst werden.

Von der dualen Blockade des Renin-Angiotensin-Systems (ACE-Inhibitoren plus ARB oder Renininhibitor) wird in den KDIGO-Guidelines explizit abgeraten. Die ALTITUDE-Studie, neben ONTARGET (Redon et al., J Am Coll Cardiol 59:74, 2012) die Schlüsselreferenz für diese Empfehlung, wurde dieser Tage erst publiziert (Parving et al., N Engl J Med 2012 Nov 3 [Epub ahead of print]). Die Studie wurde abgebrochen, weil durch die duale Blockade zwar die Albuminurie stärker reduziert wurde, aber auch kardiovaskuläre und renale Ereignisse sowie schwere Nebenwirkungen (Hypotonie, Hyperkaliämie) häufiger auftraten – ein Ergebnis, das ältere Befürchtungen (Schernthaner, Nat Clin Pract Nephrol 4:656, 2008) leider bestätigt.