Digitales Vorhofflimmer-Screening mittels App/Smartwatch

Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung mit einem Lebenszeitrisiko von etwa 1 zu 3. Es wird geschätzt, dass sich die Zahl der Erwachsenen, die an VHF leiden, bis 2060 mehr als verdoppeln wird. VHF ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für Schlaganfall und wird mit einem deutlich erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz, Krankenhauseinweisung, kognitive Beeinträchtigung und Tod im Allgemeinen in Verbindung gebracht. VHF ist somit ein wesentlicher Faktor, der zur Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt und die Gesundheitssysteme daher weltweit erheblich belastet. Diese Tatsachen unterstreichen die Notwendigkeit neuer Forschungsanstrengungen für ein verbessertes VHF-Management.

VHF rechtzeitig erkennen

Eine wesentliche Herausforderung bei der Behandlung von VHF ist die rechtzeitige Erkennung, da VHF häufig asymptomatisch ist und nur intermittierend auftritt. Es betrifft vor allem ältere Menschen, die häufig atypische Symptome aufweisen, aber ein hohes Risiko für VHF-bedingte Komplikationen haben. Die Dunkelziffer des okkulten VHF ist hoch: Bei fast einem Viertel der Patient:innen wird VHF erst nach einer dadurch ausgelösten Komplikation wie dem Schlaganfall diagnostiziert.
Die ESC-Leitlinien empfehlen ein opportunistisches VHF-Screening durch Pulsmessung oder EKG-Rhythmusstreifen bei Patient:innen ≥65 Jahre (Klasse I, Stufe B), während ein systematisches EKG-Screening bei Personen im Alter von ≥75 Jahren oder bei Personen mit hohem Schlaganfallrisiko erwogen werden sollte (Klasse IIa, Stufe B). Einmalige Screening-Strategien führen jedoch in erster Linie zur Entdeckung von persistierendem oder permanentem VHF, während kürzere Episoden von intermittierendem VHF oftmals unentdeckt bleiben.
Intermittierende oder kontinuierliche Screening-Strategien mit Hilfe von Hand-EKGs, EKG-Pflastern oder implantierbaren kardialen Monitoren können die Entdeckungsraten von zuvor unbekanntem VHF erheblich erhöhen (Hazard Ratio zwischen 3 und 4). Allerdings sind solche Strategien – sollten sie für ein Massen-Screening auf Bevölkerungsebene eingesetzt werden – mit erheblichem logistischem Aufwand und enormen Kosten verbunden.
Ein Durchbruch beim bevölkerungsbasierten VHF-Screening könnte durch den Einsatz digitaler Technologien erzielt werden, da Smartphones bereits eine hohe Penetrationsrate von bis zu 90% in der Bevölkerung aufweisen. Die meisten digitalen Smartphones sind bereits mit Hardwarekomponenten ausgestattet (d. h. hochauflösende Kamera, Lichtquelle), die es ermöglichen, Pulswellen mittels Fotoplethysmografie (PPG) aufzuzeichnen. Unregelmäßigkeiten in der Pulswellenfolge und -morphologie können auf VHF hindeuten, obwohl die endgültige Diagnose ein anschließendes EKG erfordert.

Digitale Screening-Strategien

Digitale Screening-Strategien bieten eine effektive Möglichkeit, unbekanntes VHF zu erkennen. Drei große, verbraucherorientierte Studien haben das enorme Potenzial von Smart Devices zur Erkennung von unbekanntem VHF eindrucksvoll demonstriert. Allerdings waren diese Studien nicht randomisiert, und es gab keine Kontrollgruppe. Der mögliche Zusatznutzen einer solchen digitalen Screening-Strategie blieb daher unklar. Zudem wurden die Studienteilnehmer:innen primär nach dem Besitz markenspezifischer Geräte und nicht nach Risikokriterien ausgewählt, was die Aussagekraft weiter schmälerte. Diese Vorgehensweise führte zu einer sehr jungen und gesunden Studienpopulation, die insgesamt nicht repräsentativ für eine Risikopopulation war. In der Summe konnte zwar eine beeindruckende Gesamtzahl von mehr als einer Million Proband:innen rekrutiert werden. Allerdings wurde nur bei 0,07% aller Teilnehmer:innen letztendlich VHF diagnostiziert. Noch geringer war die Rate an behandlungsrelevantem VHF.

Erste randomisierte Studie: eBRAVE-AF

Der Bavarian Alternative Detection of Atrial Fibrillation (eBRAVE-AF) Trial ist die erste randomisierte Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit einer digitalen VHF-Screening-Strategie in einer älteren Risikopopulation. Das Studiendesign war prospektiv, pragmatisch, standortunabhängig, digital und randomisiert. In der Studie wurden 5.551 Versicherte einer großen deutschen Krankenkasse (median 65 Jahre; 31% Frauen; median CHA2DS2-VASc 3) ohne bekanntes VHF und ohne orale Antikoagulation (OAK) entweder einer digitalen Screeningstrategie (n = 2.860) oder der Routineversorgung (n = 2.691) zugeteilt. Für das digitale Screening wurde auf dem eigenen Smartphone eine zertifizierte App genutzt. Damit konnte der Herzrhythmus mittels einminütiger fotoplethysmografischer (PPG) Selbstmessungen analysiert werden. Auffällige PPG-Befunde wurden durch ein 14-tägiges Langzeit-EKG abgeklärt, um die Diagnose „Vorhofflimmern“ leitliniengerecht zu stellen. Im Gegensatz zu den oben genannten Studien war der primäre Endpunkt die Verordnung einer OAK aufgrund von neu diagnostiziertem VHF durch studienunabhängige Ärzt:innen (in der Regel der/die behandelnde Ärzt:in). Innerhalb der sechsmonatigen Nachbeobachtungszeit konnte gezeigt werden, dass eine digitale Screeningstrategie die Detektionsrate von therapierelevantem VHF im Vergleich zur Standardversorgung mit einer Odds Ratio von 2,12 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,19–3,76; p = 0,010) mehr als verdoppelte. In der zweiten Studienphase wurde ein Cross-over mit umgekehrter Zuordnung zu den Screeningstrategien durchgeführt. Auch hier war das digitale Screening mit einer 2,75-fach (95%-KI: 1,42–5,34; p = 0,003) höheren Detektionsrate von therapierelevantem VHF verbunden. Zusammenfassend ist eBRAVE-AF die erste Studie, welche die Effektivität einer rein digitalen Screeningstrategie zur Detektion von therapierelevantem VHF im direkten Vergleich zur Standardversorgung nachweisen konnte.

Kein klarer klinischer Nutzen

Bisher ist es jedoch noch keiner Studie gelungen, einen überzeugenden klinischen Nutzen des VHF-Screenings, ob konventionell oder digital, nachzuweisen. Die STROKESTOP-Studie (Clinical Outcomes in Systematic Screening for Atrial Fibrillation) randomisierte 75- bis 76-jährige Bewohner:innen zweier schwedischer Regionen auf ein intermittierendes EKG-Screening für 14 Tage oder die übliche Versorgung. Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 6,9 Jahren konnte bei 28.768 Personen ein geringer Nettonutzen im Vergleich zur Standardversorgung beobachtet werden. In der LOOP-Studie (Implantable Loop Recorder Detection of Atrial Fibrillation to Prevent Stroke) wurden 70- bis 90-jährige Personen mit mindestens einem Schlaganfall-Risikofaktor im Verhältnis 1:3 zu einer kontinuierlichen Überwachung mit einem implantierbaren Loop-Recorder oder zu üblicher Versorgung randomisiert. Es wurde keine signifikante Verringerung von Schlaganfällen oder systemischen Embolien beobachtet. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser und anderer Studien kamen die U.S. Preventive Services Task Force und andere Fachgesellschaften zu dem Schluss, dass die derzeitige Datenlage nicht ausreicht, um festzustellen, ob ein systematisches EKG-Screening von VHF mehr Nutzen als Schaden bringt. Vielmehr seien entsprechend konzipierte randomisierte Studien erforderlich.
Sollte das digitale VHF-Screening nun zu einer allgemeinen Empfehlung werden? Unserer Meinung nach nicht, da die wichtigste Frage noch nicht beantwortet ist: eBRAVE-AF war als diagnostische Studie konzipiert. Daher kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob ein digitales VHF-Screening mit nachfolgender Intervention klinische Ereignisse reduzieren kann.

Austrian Digital Heart Program

Aufgrund dieser zentralen Frage haben wir das „Austrian Digital Heart Program“ ins Leben gerufen, das von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft gefördert wird. Die Hauptziele bestehen darin, eine smartphonebasierte digitale VHF-Screening- und Interventionsstrategie zu entwickeln und in einer bevölkerungsweiten digitalen und randomisierten Studie zu zeigen, dass hiermit die VHF-assoziierte Morbidität und Mortalität reduziert werden kann. Hierfür werden in enger Kooperation mit dem Austrian Institute of Technology und der Abteilung für Kardiologie der Medizinischen Universität Graz zunächst maßgeschneiderte Software- und Hardwarelösungen zur verbesserten VHF-Erkennung und Behandlung entwickelt und diese in Pilotstudien getestet. Die entwickelten Tools werden schließlich in einer großen randomisierten klinischen Studie auf harte klinische Endpunkte untersucht.
Auch wenn noch große Herausforderungen zu bewältigen sind, würde die Befähigung breiter Bevölkerungsschichten zur Selbstdiagnose des eigenen Herzrhythmus einen Paradigmenwechsel in der Diagnose und Behandlung von VHF bedeuten, der enorme Chancen und Potenzial bietet.