Sorgenkind: Fingerpolyarthrose

Die Fingerpolyarthrose, die häufigste Arthroseform und gleichzeitig die häufigste rheumatologische Krankheitsentität, bereitet vielen Patienten Gelenk- und vielen Ärzten Kopfschmerzen ob der äußerst limitierten Therapieoptionen.

Immer noch existiert keine Behandlungsstrategie, welche die Progression der Arthrose bremsen, geschweige denn die arthrotisch veränderten Gelenkstrukturen wiederaufbauen könnte. Die therapeutischen Ansätze reichen von konservativen, wie beispielsweise Ergotherapie oder nichtsteroidalen Antirheumatika, über immunsuppressive (z. B. Biologica), bis hin zu teils originell anmutenden Modalitäten, wobei hier stellvertretend die Blutegeltherapie genannt werden soll.

Dass uns das relative Unwissen hinsichtlich der Pathogenese weiterhin verzweifeln lässt, ist für die Definition von molekularen therapeutischen Zielen und die Synthese von zielgerichteten Molekülen auch nicht sehr hilfreich. Doch so negativ dürfen wir die Sache nicht betrachten. Natürlich trifft das oben Gesagte zu, jedoch tritt die Wissenschaft nicht auf der Stelle, und nach und nach finden sich – wenn auch recht kleine – Puzzleteilchen, die sich zu einem immer klareren Bild zusammensetzen lassen und in Zukunft auch eine erfolgreiche Therapie der Fingerpolyarthrose ermöglichen werden.

Welche fünf erwähnenswerten Publikationen das Jahr 2020 hervorgebracht hat, soll nun im Folgenden beleuchtet werden. Der Fairness halber muss festgehalten werden, dass viele Artikel erwähnenswert wären, die Zusammenstellung trotz maximaler Objektivität des Autors letztlich aber doch etwas subjektiv gefärbt ist. Es wurden nun fünf Artikel aus unterschiedlichen Themenbereichen ausgewählt, und wir wollen mit der Ernährung bei Fingerpolyarthrose beginnen.

Ernährung bei Fingerpolyarthrose

Die Frage, ob wir durch Umstellung der Ernährung oder Einhalten einer speziellen Diät die Arthrose beeinflussen können, beschäftigt nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch den Großteil der Arthrosepatienten. Bis dato gibt es keinen Beweis, dass diätetische Maßnahmen den Verlauf der Fingerpolyarthrose verändern könnten. Der Review-Artikel „Cross-Talk between Diet-associated Dysbiosis and Hand Osteoarthritis” beschäftigt sich eingehend mit dieser Fragestellung. Eindeutige Antworten auf die brennenden Fragen zur Ernährung bei Fingerpolyarthrose kann auch diese Arbeit nicht geben, es werden aber die möglichen Zusammenhänge zwischen Adipositas, langjähriger übermäßiger Nahrungszufuhr und Fingerpolyarthrose aufgezeigt. Ein möglicher Mechanismus hierbei könnte eine chronische „Sparflammen“-Entzündungsreaktion sein, oftmals auch als „immunometabolism“ bezeichnet. Eine adipositasabhängige Darm-Dysbiose könnte zur Anflutung von mikrobiom-stämmigen, proinflammatorischen Metaboliten, wie Lipopolysaccharid oder Trimethylamin-N-Oxid, in der Zirkulation und zur Ausbildung der Fingerpolyarthrose führen. Als alternativer Pathomechanismus steht eine Vitamin-D-Defizienz im Raum. Eine mediterrane Diät hingegen, reich an sekundären Pflanzeninhaltsstoffen, ungesättigten Fettsäuren und Vitamin D, könnte einen positiven Effekt auf die Darm-Integrität und die Dysbiose haben. Der letzte Beweis hierzu lässt allerdings auf sich warten.

Marta P. Silvestre, Ana M. Rodrigues, Helena Canhão, Cláudia Marques, Diana Teixeira, Conceição Calhau and Jaime Branco: Cross-Talk between Diet-Associated Dysbiosis and Hand Osteoarthritis. Nutrients 2020; 12: 3469; doi: 10.3390/nu12113469

 

bDMARDs sind keine Option

Die Palette der unwirksamen pharmakologischen Therapien bei Fingerpolyarthrose wird durch die Studie „Efficacy of tocilizumab in patients with hand osteoarthritis“ um den Interleukin-6-Rezeptorblocker Tocilizumab erweitert. Die Arbeitsgruppe untersuchte in dieser multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie die Wirkung von Tocilizumab an 104 Patienten mit symptomatischer Fingerpolyarthrose. Kurz zusammengefasst ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Verum- und der Placebogruppe, weder für den primären Endpunkt (VAS Schmerz), noch für die sekundären Endpunkte nach 12-wöchiger Therapiedauer. Damit zeigt sich einmal mehr, dass aktuelle biologische Disease-modifying anti-rheumatic drugs keinen Stellenwert in der Therapie der Fingerpolyarthrose haben dürften.

Pascal Richette, Augustin Latourte , Jérémie Sellam, Daniel Wendling, Muriel Piperno, Philippe Goupille, Yves-Marie Pers, Florent Eymard, Sébastien Ottaviani, Paul Ornetti, René-Marc Flipo, Bruno Fautrel, Olivier Peyr, Jean Pierre Bertola, Eric Vicaut, Xavier Chevalier: Efficacy of tocilizumab in patients with hand osteoarthritis: double blind, randomised, placebo-controlled, multicentre trial. Ann Rheum Dis 2021; 80: 349–355; doi: 10.1136/annrheumdis-2020-218547

 

Auch Colchicin ist nicht wirksam

Aber auch ein altbekanntes Präparat, das gerne in der Rheumatologie eingesetzt wird, Colchicin, ist in der Therapie der Fingerpolyarthrose gleichsam durchgefallen. Die Studie „Colchicine is not effective for reducing osteoarthritic hand pain compared to placebo” ist die erste und wahrscheinlich gleichzeitig die letzte Studie, die die Wirksamkeit von Colchicin in der Fingerpolyarthrose untersuchte.
1 mg Colchicin wurde täglich über 12 Wochen parallel zu Placebo verabreicht. Letztlich fand sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich Schmerzen, Druckschmerzhaftigkeit, Gelenkschwellung oder Griffstärke. Der grundsätzlich plausible Therapieansatz – der Arthrose werden von manchen Autoren autoinflammatorische Eigenschaften zugeschrieben – stellte sich am Ende leider nur als guter, aber wirkungsloser Versuch heraus.

CR Davis, CD Ruediger, KA Dyer, S Lester, SW Graf, FPB Kroon, SL Whittle, CL Hill: Colchicine is not effective for reducing osteoarthritic hand pain compared to placebo: a randomised, placebo-controlled trial (COLAH). Osteoarthritis and Cartilage 2021; 29: 208–214; doi.org/10.1016/j.joca.2020.11.002

 

Erstellung von Klassifikationskriterien der Fingerpolyarthrose

Die vierte Studie, die hier vorgestellt werden soll, beschäftigt sich mit der Erstellung von Klassifikationskriterien der Fingerpolyarthrose. Bis heute sind die ACR-Kriterien von Altman und Mitarbeitern in Gebrauch, die allerdings in wichtigen Punkten teils heftig kritisiert werden (v. a. was die Definition der Symptome und deren Dauer betrifft). Der Artikel „Development of classification criteria for hand osteoarthritis: comparative analyses of persons with and without hand osteoarthritis” versucht neue Erkenntnisse bezüglich Krankheitscharakteristika der Fingerpolyarthrose zu gewinnen mit dem Ziel, zukünftige neue Klassifikationskriterien zu generieren. Eine Vielzahl an biometrischen, klinischen und radiologischen Parametern wurde bei Fingerpolyarthrose-Patienten untersucht und mit einer Gruppe von Gelenkgesunden verglichen. Es stelle sich heraus, dass zunehmendes Alter und positive Familienanamnese mit Fingerpolyarthrose vergesellschaftet waren (vorbekannt). Am allerdeutlichsten aber konnten radiografische Veränderungen der distalen Interphalangealgelenke die Arthrosepatienten von der Kontrollgruppe diskriminieren. Andere Variablen, wie Schmerz, Gelenksteifigkeit oder Biomarker, hatten weitaus weniger Bedeutung. Inwieweit die erhobenen Daten in einen neuen Kriteriensatz einfließen werden, wird sich in den Folgearbeiten zeigen.

Ida K Haugen, David T Felson, Abhishek Abhishek, Francis Berenbaum, Sita Bierma-Zeinstra, Tove Borgen, Gabriel Herrero Beaumont, Mariko Ishimori, Helgi Jonsson, Féline PB Kroon, Emmanuel Maheu, Roberta Ramonda, Valentin Ritschl, Tanja A Stamm, Desirée van der Heijde, Ruth Wittoek, Elsie Greibrokk, Wilma Smeets, Margreet Kloppenburg: Development of classification criteria for hand osteoarthritis: comparative analyses of persons with and without hand osteoarthritis. RMD Open 2020; 6:e001265; doi: 10.1136/ rmdopen-2020-001265

 

Handröntgen in nur einer Ebene

Die fünfte und letzte Publikation warf die ewige Frage auf, ob Handröntgen in zwei Ebenen (dorsopalmar + lateral/ schräg) für die Diagnose der Fingerpolyarthrose sinnvoll und/oder nötig wären. Die Empfehlungen der internationalen Gesellschaften sprechen sich für nur eine Röntgenebene (dorsopalmar) aus, wenngleich dieses Statement auf Expertenmeinungen und nicht auf harten Fakten beruht. In der Arbeit „Hand X-ray examination in two planes is not required for radiographic assessment of hand osteoarthritis” konnten nun alle Unklarheiten beseitigt werden, als sich zeigte, dass für die Diagnosestellung der Fingerpolyarthrose die Anfertigung von dorsopalmaren Aufnahmen alleine tatsächlich ausreichend war. Gleichzeitig fanden die Autoren jedoch heraus, dass gewisse osteoarthrotische Veränderungen, die ausschließlich im Seit- oder Schrägbild auszumachen sind (dorsoventrale Osteophyten), mit dem Grad der Gelenkschädigung korrelierten und eine Progression v. a. der Heberden-Arthrosen voraussagen konnten. Multiplanare Aufnahmen sind demnach zu diagnostischen Zwecken bei Fingerpolyarthrose nicht erforderlich, eine genauere Einschätzung des Gelenkschadens und Hinweise auf einen doch wahrscheinlichen Krankheitsfortschritt bieten sie aber am Ende.

Kevin Staats, Ilse-Gerlinde Sunk, Claudia Weidekamm, Andreas Kerschbaumer, Manuel Bécède, Gabriela Supp, Tanja Stamm, Reinhard Windhager, Josef S. Smolen and Klaus Bobacz: Hand X-ray examination in two planes is not required for radiographic assessment of hand osteoarthritis. Ther Adv Musculoskel Dis 2020; Vol. 12: 1–9; doi: 10.1177/1759720X20934934

 

Resümee

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ernährung in die Pathogenese der Fingerpolyarthrose hineinspielen dürfte; letzte Beweise und tiefere Einblicke dorthin konnte auch das Jahr 2020 nicht bieten. An der Therapiefront wurde biologisch (Tocilizumab) und synthetisch (Colchicin) behandelt, wobei keine der beiden Formulierungen therapeutische Effekte zeigte. Beinahe 30 Jahre nach der Veröffentlichung der ACR-Kriterien der Fingerpolyarthrose wird dieses Thema neu aufgerollt, und möglicherweise können wir bald weniger kontroverse Kriterien in der Praxis anwenden. Zu guter Letzt wurde bestätigt, dass zur Diagnostik in der Fingerpolyarthrose eine Röntgenaufnahme in nur einer Ebene ausreicht, womit die Empfehlungen der internationalen Gesellschaften bestätigt wurden.