Rückenschmerz – Diagnostische Herausforderung mit großer therapeutischer Relevanz

Definition und Prävalenz

Der Versuch einer konsensusbasierten medizinischen Definition von “tief sitzendem Rückenschmerz” (Kreuzschmerz) würde lauten: Der Rückenschmerz ist ein Schmerz, der zwischen der dorsalen oberen Thoraxapertur und der Gesäßfalte auftritt, mehr als einen Tag anhält und zu einer Beeinträchtigung der Tätigkeiten im Alltag führt1.
In Europa können wir von einer enorm hohen Punktprävalenz für den Rückenschmerz von 29-34% und von einer Lebenszeit – prävalenz von 86% ausgehen2,3. Rückenschmerzen treten überwiegend an der Lendenwirbelsäule und seltener an der Halswirbelsäule auf4. Fundierte Informationen über den Anteil an anatomisch lokalisierten Dorsalgien im Spektrum der Rückenschmerzen finden sich in der Literatur nicht.
Rückenschmerzen können je nach Dauer in akute, subakute und chronische Rückenschmerzen eingeteilt werden5. Bis zu einer Dauer von 6 Wochen spricht man von akuten und ab einer Dauer von 12 Wochen von chronischen Rückenschmerzen.

Chronische Rückenschmerzen: Die Punktprävalenz für chronische Rückenschmerzen beträgt in der Bevölkerung in Deutschland etwa 20% und die Lebenszeitprävalenz etwa 25%6. Chronische Rückenschmerzen werden vorwiegend durch nichtentzündliche Erkrankungen der Wirbelsäule ausgelöst7,8, wobei überwiegend Diskopathien für chronische Rückenschmerzen verantwortlich sind. Nur in etwa 5% der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen liegt eine entzündliche Ursache in Form einer Spondyloarthritis (SpA) vor9.

Spondyloarthritis – entzündlicher Rückenschmerz

Eine Aufgabe der klinisch tätigen Rheumatologen ist es, aus der großen Gruppe der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen diejenigen zu erkennen, die an einer Spondyloarthritis (SpA) als Ursache der chronischen Rückenschmerzen erkrankt sind. Da das Kardinalsymptom der SpA der entzündliche Rückenschmerz ist, gibt es seit etwa vier Jahrzehnten Bemühungen, Parameter für einen entzündlichen Rückenschmerz zu etablieren.
Diese führten zur Entwicklung der Calin-, Berlin- und ASAS-Kriterien des entzündlichen Rückenschmerzes10-12. Allen Kriterien gemeinsam ist, dass ein entzündlicher Rückenschmerz mit hoher Wahrscheinlichkeit dann vorliegt, wenn ein chronischer Rückenschmerz bei jungen Menschen unter 50 Jahren auftritt, die Patienten sich nicht an einen plötzlichen Schmerzbeginn erinnern können, der Schmerz sich bei Bewegung aber nicht in Ruhe bessert und zum nächtlichen Erwachen führt (Tabellen 1, 2 und 3).
Aus Ergebnissen einer eigenen Untersuchung und aus eigener Erfahrung scheint die Angabe “Besserung der Rückenschmerzen auf Bewegung” nicht geeignet zu sein, zwischen entzündlichem und nichtentzündlichen Rückenschmerz zu unterscheiden. So gaben 73% einer Kohorte mit SpA und 72% einer Kohorte mit nichtentzündlichen chronischen Rückenschmerzen eine Besserung des Schmerzes auf Bewegung an8. Welche Kriterien im klinischen Alltag verwendet werden sollten, lässt sich auf Grund der vorliegenden Daten nicht sagen, da nur im Rahmen der Entwicklung der ASAS-Kriterien des entzündlichen Rückenschmerzes dieser Frage nachgegangen wurde. Bei diesem Prozess wurden neben den ASAS-Kriterien auch die Calin- und Berlin-Kriterien des entzündlichen Rückenschmerzes evaluiert. Dabei zeigte sich, dass die Calin-Kriterien mit 90% die höchste Sensitivität und die Berlin-Kriterien mit 81% die höchste Spezifität für das Vorliegen einer SpA aufwiesen.

 

Tab. 1: Calin-Kriterien des entzündlichen Rückenschmerzes
  • Schmerzbeginn vor dem 40. Lebensjahr
  • Schleichender Schmerzbeginn
  • Dauer mehr als 3 Monate
  • Schmerz verbunden mit Morgensteifigkeit
  • Besserung des Schmerzes durch Bewegung
Die Kriterien sind erfüllt, wenn mindestens 4 der 5 Parameter vorhanden sind.
Tab. 2: Berlin-Kriterien des entzündlichen Rückenschmerzes
  • Morgensteifigkeit > 30 Minuten
  • Besserung der Schmerzen durch Bewegung, aber nicht in Ruhe
  • Schmerzbedingtes Erwachen nur in der zweiten Nachthälfte
  • Wechselnder Gesäßschmerz
Die Kriterien sind erfüllt, wenn bei Patienten chronische Rückenschmerzen vor dem 50. Lebensjahr auftreten und mindestens 2 der 4 Parameter vorhanden sind.
Tab. 3: ASAS-Kriterien des entzündlichen Rückenschmerzes
  • Schmerzbeginn vor dem 40. Lebensjahr
  • Schleichender Schmerzbeginn
  • Besserung des Schmerzes durch Bewegung
  • Keine Besserung des Schmerzes in Ruhe
  • Nachtschmerz (mit Besserung beim Aufstehen)
Die Kriterien sind erfüllt, wenn bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen mindestens 4 der 5 Parameter vorhanden sind.

Diagnostische Abklärung

Bei der diagnostischen Abklärung von Patienten mit chronischem Rückenschmerz wird die Bedeutung der klinischen Untersuchung – insbesondere die Untersuchung der Sakroiliakalgelenke (SIG) – oft unterbewertet. Wir konnten zeigen, dass die Schmerzprovokation durch Kompression der SIG in Rücken- und Seitenlage sowie durch die Palpation der SIG in Bauchlage einen unabhängigen Parameter mit hohem prädiktivem Wert für das Vorliegen einer axialen SpA darstellen kann (Sensitivität 63%, Spezifität 82%). Eine kürzlich publizierte Arbeit untermauert unsere Ergebnisse, indem gezeigt wurde, dass eine Kombination von klinischen Untersuchungen der SIG dieselbe Wertigkeit für die Diagnose einer Sakroiliitis aufweist wie die sonographische Untersuchung der SIG13.
Für den Rheumatologen ist die seit 1994 zur Verfügung stehende MRT ein sehr hilfreiches Instrument zur Detektion einer aktiven axialen SpA mit entzündlichen Veränderungen geworden14.
Dabei deuten ein hyperintenses Signal in der STIR-Aufnahme und ein hypotenses Signal in der T1-gewichteten Aufnahme der Sakroiliakalgelenke auf ein für die SpA spezifisches Knochenmarksödem hin15. Die Sensitivität dieser Methode liegt bei Patienten mit einer SpA an den Sakroiliakalgelenken bei bis zu 90%. An der Wirbelsäule liegt die Sensitivität für das Vorliegen einer SpA bei Patienten mit entzündlichem Rückenschmerz jedoch nur bei 32%, wenn als Schwellenwert mindestens zwei Wirbelkörperkanten mit Knochenmarksödem gefordert werden16.

Resümee

Eine möglichst exakte Differenzialdiagnose von Rückenschmerzen ist von größter prognostischer und vor allem therapeutischen Relevanz (Tabelle 4)8,17, da das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von der Aufforderung zur unveränderten Beibehaltung der Alltagsaktivitäten bei unspezifischem Rückenschmerz bis zur jahrelangen Therapie mit Biologika bei SpA (http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/kreuzschmerz) reicht.

Tab. 4: Ursachen für nichtentzündliche chronische Rückenschmerzen
  • Discusprolaps
  • Diskusprotrusion
  • Osteochondrose
  • Erosive Osteochondrose
  • Chondrose
  • Spondylose
  • Intervertebralarthrose
  • Osteoporose
  • Morbus Forestier
  • Hypermobilitätssyndrom
  • Weichteilüberlastung
  • Skoliose

 

1 Dionne CE, Dunn KM, Croft PR et al. (2008), A consensus approach toward the standardization of back pain definitions for use in prevalence studies. Spine (Phila Pa 1976) 33:95-103
2 Schmidt CO, Raspe H, Pfingsten M et al (2007), Back pain in the German adult population: prevalence, severity, and sociodemographic correlates in a multiregional survey. Spine (Phila Pa 1976) 32:2005-2011
3 Webb R, Brammah T, Lunt M et al. (2003), Prevalence and predictors of intense, chronic, and disabling neck and back pain in the UK general population. Spine (Phila Pa 1976) 28:1195-1202
4 Deyo RA, Mirza SK, Martin BI (2006), Back pain prevalence and visit rates: estimates from U.S. national surveys, 2002. Spine (Phila Pa 1976) 31:2724-2727
5 (2007) [Evidence and consensus based Austrian guidelines for management of acute and chronic nonspecific backache]. Wien Klin Wochenschr 119:189-197
6 Neuhauser H, Ellert U, Ziese T (2005), [Chronic back pain in the general population in Germany 2002/2003: prevalence and highly affected population groups]. Gesundheitswesen 67:685-693
7 Brandt HC, Spiller I, Song IH, et al. (2007), Performance of referral recommendations in patients with chronic back pain and suspected axial spondyloarthritis. Ann Rheum Dis 66:1479-1484
8 Hermann J, Giessauf H, Schaffler G et al. (2009), Early spondyloarthritis: usefulness of clinical screening. Rheumatology (Oxford) 48:812-816
9 Underwood MR, Dawes P (1995), Inflammatory back pain in primary care. Br J Rheumatol 34:1074-1077
10 Calin A, Porta J, Fries JF et al. (1977), Clinical history as a screening test for ankylosing spondylitis. JAMA 237:2613-2614
11 Rudwaleit M, Metter A, Listing J et al. (2006), Inflammatory back pain in ankylosing spondylitis: a reassessment of the clinical history for application as classification and diagnostic criteria. Arthritis Rheum 54:569-578
12 Sieper J, van der Heijde D, Landewe R et al. (2009), New criteria for inflammatory back pain in patients with chronic back pain: a real patient exercise by experts from the Assessment of SpondyloArthritis international Society (ASAS). Ann Rheum Dis 68:784-788
13 Spadaro A, Iagnocco A, Baccano G et al. (2009), Sonographic-detected joint effusion compared with physical examination in the assessment of sacroiliac joints in spondyloarthritis. Ann Rheum Dis 68:1559-1563
14 Braun J, Bollow M, Eggens U et al. (1994), Use of dynamic magnetic resonance imaging with fast imaging in the detection of early and advanced sacroiliitis in spondylarthropathy patients. Arthritis Rheum 37:1039-1045
15 Rudwaleit M, Jurik AG, Hermann KG et al. (2009), Defining active sacroiliitis on magnetic resonance imaging (MRI) for classification of axial spondyloarthritis: a consensual approach by the ASAS/OMERACT MRI group. Ann Rheum Dis 68:1520-1527
16 Weber U, Hodler J, Kubik RA et al. (2009), Sensitivity and specificity of spinal inflammatory lesions assessed by whole-body magnetic resonance imaging in patients with ankylosing spondylitis or recent-onset inflammatory back pain. Arthritis Rheum 61:900-908
17 Reith W, Nabhan A, Kelm J et al., (2006), [Differential diagnosis of back pain]. Radiologe 46:443-453