10 Jahre nach der WHI-Studie – Man merkt die Absicht und ist verstimmt!


Zu erklären ist dies möglicherweise mit einem Gewöhnungseffekt, der die nunmehr vorliegenden Langzeitdaten als nicht mehr so interessant erscheinen lässt. Allerdings ist das abschließende Statement der Autoren, dass nämlich hysterektomierte Frauen mit klimakterischen Beschwerden bei einer Östrogenbehandlung aufatmen können, durchaus bemerkenswert. Möglicherweise ist aber gerade diese so positive Aussage Grund für das mediale Desinteresse.

WHI: Follow-up zum „Estrogen only“-Arm

Wir erinnern uns: Zwischen 1993 und 1998 wurden 10.739 hysterektomierte postmenopausale Frauen für eine doppelt geblindete, placebokontrollierte Studie randomisiert. Die Probandinnen bekamen entweder orale Equinestrogene (CEE 0,625 mg/d; n = 5.310) oder ein Placebo (n = 5.429). Am 29. Februar 2004 wurde die Studie wegen einer erhöhten thromboembolischen Inzidenz in der Verumgruppe abgebrochen, allerdings bei 7.645 Teilnehmerinnen (beide Studienarme) die Beobachtung bis 14. August 2009 weitergeführt, um die langfristige Nachwirkung von CEE auf die Inzidenz von invasiven Mammakarzinomen (insbesonders auch bzgl. Tumor-Charakteristika) und Mortalität zu evaluieren. Zur Berechnung fanden Cox-Regressionsmodelle inklusive der Hazard Ratio (HR), um die Intention-to-Treat-Population abschätzen zu können, Verwendung.


Nun zu den Ergebnissen: Nach dem medianen Follow-up von 11,8 Jahren – die Anwendung von CEE erstreckte sich über einen medianen Zeitraum von 5,9 Jahren –, zeigte sich in der CEE-Gruppe eine niedrigere Inzidenz von invasiven Brustkrebsfällen (151 Fälle, 0,27 % pro Jahr) gegenüber Placebo (199 Fälle, 0,35 % pro Jahr), die HR betrug 0,77. Dieser bemerkenswerte Unterschied betraf Frauen ohne belastende Brustanamnese.

Besonders erwähnenswert sind auch die Daten bezüglich Brustkrebs-Mortalität: In der CEE-Gruppe verstarben weniger Frauen an Brustkrebs (6 Todesfälle, 0,009 % pro Jahr) als in der Placebo-Gruppe (16 Todesfälle, 0,024 % pro Jahr), die HR betrug 0,37.
Und nicht zuletzt war auch die Gesamt-Sterblichkeitsrate der Frauen, die CEE konsumiert hatten, niedriger als jene in der Placebo-Gruppe: Nach CEE-Einnahme wurden 30 Sterbefälle (0,046 % pro Jahr), hingegen in der Placebo-Gruppe 50 Sterbefälle (0,076 % pro Jahr) registriert; dies ergab eine HR von 0,62.

Kommentar

Wenn es den Verantwortlichen, den Verfassern und den Organisatoren der verschiedenen Leitlinien zur HRT tatsächlich um die Wahrheit geht, dann hätte längst ein Update der alten Fassungen in Aussicht genommen werden müssen, denn hier ist jene Studienqualität gegeben, an der sich die Leitlinien ausschließlich zu orientieren haben. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann wäre es Zeit – letztlich auch im Interesse der betroffenen und verunsicherten Frauen –, diese Nicht-Reaktion zu hinterfragen.

Dass die plakative Nachricht von einst: „Östrogene erzeugen Krebs“ intellektuell zu seicht war, sieht man auch an der weltweiten Inzidenzzunahme des Mammakarzinoms, vor allem in jenen Ländern, in denen nie eine HRT in größerem Maße verwendet wurde (siehe „Lancet“, Sept. 2011). Vor allem aber sank in den letzten 10 Jahren – und dafür gibt es in Deutschland gute regionale Daten – die Brustkrebshäufigkeit keineswegs in gleichem Maße ab, wie die HRT-Verschreibung zurückging, im Gegenteil, in manchen Gebieten zeigte sich sogar ein inverses Verhältnis zwischen Brustkrebsinzidenz und HRT-Verschreibungsrate (siehe BARMER GEK Arzneimittel-Report 2010, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 2: 1–224).


Nach der Lektüre der aktuellen Daten des „Estrogen only“-Arms der WHI können aber auch psychosoziale, gesundheitspolitische und medienethische Überlegungen angestellt werden. Man kann das Ganze nämlich auch als Lehrstück der Zeitgeschichte betrachten, als sorgfältig durch Politik und Medien vorbereitet, wurden doch die Daten der ersten WHI-Publikation als ultimativer Beweis für etwas angesehen, was man schon lange prognostiziert hatte, nämlich für die unheilvolle Verflechtung der Pharmaindustrie und der gynäkologischen Endokrinologie. Dieses profitträchtige System, das Industrie, Wissenschaftler und Kliniker über Jahrzehnte konstruiert hatten, wurde nun (endlich), aufgrund überzeugender wissenschaftlicher Daten, als interessengesteuertes Konstrukt kumulierter Fehlinformation entlarvt! 


Die Diskussion über die HRT ist ein fast historisches Beispiel, wie Meinungen zu Wahrheiten gemacht werden, wenn sich nur die richtigen Koalitionspartner (pharmazeutische Konkurrenz, Sozialversicherung, Kollegenschaft und entsprechend unterstützte Medien) finden. Dass Präventionsstudien nicht mit Therapiestudien verwechselt werden sollten, dass der „Estrogen only“-Arm völlig andere Erkenntnisse liefert als der Kombinationsarm, dass es ein „window of opportunity“ gibt und die Rezeptorentitäten nach einer HRT anders sind als ohne vorangegangene Hormontherapie – das alles wurde ausgeklammert. Im Gegenteil – nach Erscheinen der beeindruckenden Taten des „Estrogen only“-Armes titelte eine österreichische Qualitätszeitung, die ansonsten stolz darauf ist, für Intellektuelle zu schreiben, eine Ausgabe mit der Schlagzeile: „Östrogene schützen vor Brustkrebs – aber sie erzeugen Gebärmutterkrebs“. 

Dass die Frauen im „Estrogen only“-Arm allerdings bereits hysterektomiert waren und damit gar keinen Gebärmutterkrebs mehr bekommen konnten, das blieb der Redakteurin offensichtlich verborgen.