Der ENTOG-Exchange 2022 in Norwegen

Seit rund 30 Jahren gibt es die Möglichkeit, an einem jährlich von der ENTOG (European Network of Trainees in Obstetrics and Gynaecology) organisierten Austauschprogramm teilzunehmen.
Im September 2022 fand dieser „ENTOG-Exchange“ in Norwegen statt. Jeweils zwei Assistenzärzt:innen aus allen europäischen Mitgliedsländern hatten die Möglichkeit, drei Tage in einem norwegischen Krankenhaus zu hospitieren und sich anschließend zu einem gemeinsamen wissenschaftlichen Treffen in Oslo einzufinden.
Zusammen mit vier anderen Gastärzt:innen habe ich meine Hospitationstage am Ullevål-Universitätsklinikum in Oslo verbracht. Dieses Krankenhaus ist das größte in Norwegen und zusammen mit den anderen Standorten der Universitätsklinik sogar das größte in Europa. Die Frauenklinik befindet sich im Gebäude 8 (Abb. 1), dort finden jährlich ca. 6.500 Geburten statt und es wird in 5 OPs parallel operiert.
Trotz des kurzen Aufenthalts konnte ich einen guten Einblick in die Arbeitsweise und Strukturen vor Ort bekommen. Im Folgenden möchte ich meine persönlichen Eindrücke schildern und hoffe, dass auch ihr euch dadurch ein Bild vom Arbeitsalltag machen könnt.

Abb. 1: Ullevål-Frauenklinik

Tag 1: Die gemeinsame Morgenbesprechung beginnt um 8:00 Uhr. Im Besprechungsraum gibt es Kaffee, COVID-Beschränkungen gibt es schon lange keine mehr. Es sind nicht viel mehr Ärzt:innen als an meiner „kleinen“ Abteilung anwesend. Von den 12 Assistenzärzt:innen ist nur die Hälfte da. Natürlich, die Arbeitszeit beträgt tatsächlich 38 h/Woche, es gibt Zusatzurlaub und fixe Lerntage.
Pünktlich startet die übliche Dienstübergabe und am Ende wird die Arbeitseinteilung vorgelesen. Ich bin im Kreißsaal dabei bzw. in einem der drei Kreißsäle. Zwei werden von Ärzt:innen mitbetreut, der dritte nennt sich „ABC-enheten“, hier wird die natürliche Geburt für ein Niedrigrisikokollektiv propagiert – ohne CTG, dafür mit Hotelbetten. Bei Problemen erfolgt die Verlegung in einen der anderen Kreißsäle, die sich gleich eine Tür weiter befinden.
Zusammen mit meiner norwegischen Kollegin gehe ich zum Stützpunkt von Foede B, dort begrüßt uns die erfahrene StützpunktHebamme. Wir verschaffen uns ein Bild über die laufenden Geburten – alles unkomplizierte Verläufe, diese werden ausschließlich von den Hebammen betreut. Für die jungen Mütter geht es nach der Geburt direkt in das angrenzende Hotel, die Wochenbettstation existiert nur für vaginaloperative Entbindungen (VE und Zange) und nach Kaiserschnitt. Heute sind zwei Sectiones geplant, für eine davon ist meine Kollegin eingeteilt, Indikation: Geburtsangst; Sectio auf Patientinnenwunsch gibt es nicht. Die Sectiorate in Norwegen beträgt 16%, im Vergleich dazu liegt Österreich bei 31%.
Ich merke schnell, dass sich viele Details in der Geburtshilfe unterscheiden, hier ein kleiner Auszug: Geburtstermin ist SSW 40+3, eine Überschreitung von 2 Wochen erlaubt, die Einleitung erfolgt dann primär mit dem Cook-Ballon ambulant.
Der Tag vergeht schnell und um 15:30 Uhr ist Übergabe, die Dienstmannschaft kommt und wird zu fünft die 16-h-Nachtschicht betreuen.
Am Abend treffen wir uns zu einem Stadtrundgang und gemeinsamem Abendessen mit allen Gastärzt:innen in Oslo. Das Wetter lässt uns im Stich, es regnet bei 10 °C.

Tag 2: Heute gehe ich nach der Morgenbesprechung mit in den OP, es sind 3 Punkte in meinem Saal geplant. Der erste ist eine laparoskopische Zervixexstirpation, gerne übernehme ich die 2. Assistenz, dafür ist normal niemand eingeplant – auch nicht bei Hysterektomien. Zwischen den OP-Punkten gibt es eine längere Pause. Währenddessen habe ich die Möglichkeit, einen Blick in die anderen 4 OP-Säle zu werfen. Besonders spannend finde ich die Hysteroskopien: Hier werden nur die operativen HSK in Narkose durchgeführt, der Rest passiert ambulant, ggf. in Lokalanästhesie. Es gibt keine strengen Wasch- und Abdeckrituale, sondern nur vaginale Desinfektion und sterile Handschuhe. Konisationen werden unsteril in der Ambulanz durchgeführt, vergleichbar mit dem Aufwand einer Kolposkopie. Die Infektionsraten sind gering und die Surveillance durch die Registerdaten wirkt vertrauenswürdig.
Ich darf noch bei zwei Endometriose-OPs assistieren, dann ist der Tag auch schon wieder vorbei.
Am heutigen Rahmenprogramm steht ein Ausflug auf den Holmenkollen, hier kann man direkt mit der U-Bahn aus der Stadt zur Loipe, Skisprungschanze und zum Wald fahren. Nach einer kleinen Wanderung genießen wir die Aussicht und das Essen in der Berghütte.

Tag 3: An meinem letzten Tag im Krankenhaus habe ich noch die Möglichkeit, verschiedene Ambulanzbereiche kennenzulernen. In der Akutambulanz ist der Patientenzulauf sehr überschaubar. Ohne Überweisung kommt hier niemand hinein, der primäre Ansprechpartner ist immer der Hausarzt oder die Hausärztin bzw. das Primärversorgungszentrum. Zudem gibt es eine Ambulanzgebühr, die bei gerechtfertigtem Besuch rückerstattet wird. Die Vorsorge in der Schwangerschaft teilen sich Hebammen und Allgemeinmediziner:innen. Lediglich ein sonografisches Screening um die 18. SSW wird von den Fachambulanzen durchgeführt.
Durch diese Arbeitsaufteilung entsteht ein deutlich geringerer Bedarf an Fachärzt:innen und Krankenhauskapazitäten. Pflegekräfte und Hebammen haben mehr Kompetenzen, diese Berufsgruppen werden überall dringend gesucht.
Am Ende des 3. Tages hätte ich noch fast die Gelegenheit gehabt, eine vaginale Beckenendlagengeburt mitzuerleben – nichts Außergewöhnliches, ca. 45% der BEL entbinden vaginal in Norwegen –, aber leider haben die Wehen wieder aufgehört.
Nach der Mittagsbesprechung findet die wöchentliche Ausbildungsveranstaltung für Assistenzärzt:innen statt. Leider war damit mein klinischer Austausch schon zu Ende.

Tag 4: Nach dem Anreisetag für die Teilnehmer:innen aus den anderen Landesteilen gab es am Abend des 4. Tages ein Kennenlerntreffen an einem nahe gelegenen See. Es war sehr spannend, mit Kolleg:innen aus ganz Europa über die Ausbildung, medizinischen Standards, Arbeitsbedingungen und Erfahrungen der letzten Tage zu diskutieren.

Am letzten Tag fand das wissenschaftliche Treffen statt, Thema Beckenendlagengeburt. Es gab hochkarätige Vorträge und Phantomübungen (Abb. 2). Neben den norwegischen Oberärzten kam auch Prof. Dr. Frank Louwen aus Frankfurt, um uns von der vaginalen BEL-Geburt zu überzeugen. Am Ende war es sehr schwer zu verstehen, warum in Österreich nahezu alle BEL mittels Kaiserschnitt entbunden werden.
Nach der Mittagspause tagte die ENTOG, um neue Vorstandsmitglieder zu wählen, Projekte vorzustellen und das Land für den übernächsten Exchange zu wählen; dieser wird in der Schweiz stattfinden.
Die Abschlussveranstaltung am Abend fand bei einer Schifffahrt in den wunderschönen Sonnenuntergang durch den Oslofjord statt – besser hätte es nicht sein können.

Abb. 2: Piper Forceps

Alles in allem war der Aufenthalt in Norwegen für mich eine sehr bereichernde Erfahrung und ich habe feststellen können, dass unter den passenden Bedingungen vieles möglich ist, was in Österreich undenkbar scheint. Ich bin gespannt, wohin die Zukunft führen und wie wir die kommenden Herausforderungen meistern werden. Vielleicht hilft ein Blick in den Norden, um passende Lösungsansätze zu finden.
Zum Schluss möchte ich mich noch für diese einmalige Möglichkeit bedanken: bei der ENTOG für die Organisation, meinem Chef Prim. Hefler für die unkomplizierte Freistellung und meinem Kollegen Dr. Jan, der mich auf diese Austauschmöglichkeit aufmerksam gemacht hat.
Nächstes Jahr wird der Exchange in England stattfinden, die Ausschreibung zur Bewerbung bekommt ihr als Assistenzärzt:innen und Mitglieder der OEGGG über den Newsletter der Jungen Gyn im Frühling.

Fotos: privat, beigestellt (2)