COVID-19/HPV – Konzept der Herdenimmunität

Dazu eine Publikation aus „Nature“1: Im völlig überfülltem San Quentin State Prison kam es im letzten Frühjahr zum Ausbruch einer COVID-19-Epidemie. Es „mussten“ über 60 % der Gefängnisinsassen infiziert sein, bevor dieser Ausbruch weitgehend zu Erliegen kam; bei exorbitant hohen Todesfallraten. Die Gefängnisleitung sah sich zur vorzeitigen Entlassung von Häftlingen gezwungen, um die Epidemie (halbwegs) in den Griff zu bekommen.

Auch ist die Frage offen, wie gut und wie lange das Immunsystem vor einer Re-Infektion mit COVID-19 schützt; bei einigen Viren führt die Erstinfektion zu einem lebenslangen Schutz, bei anderen, wie z. B. den saisonalen Erkältungs-Coronaviren, aber auch nach HPV-Infektion, besteht wenn überhaupt nur eine kurzfristige protektive Immunität. Zu COVID-19 gibt es bereits Erfahrungswerte: Im letzten Mai kam es zu einem großen COVID-19-Ausbruch in Manaus/Brasilien2; eine Exzessmortalität von über 120 Todesfällen pro Tag wurde berichtet. Im August sank dann die Übersterblichkeit auf beinahe null. Dies führte man darauf zurück, dass bei über 2/3 der Bevölkerung die Antikörperteste positive Ergebnisse erbrachten. Im Herbst nahm allerdings die Infektionsrate in Manaus wieder drastisch zu, was nicht zuletzt auf Mutationen des Virus zurückzuführen war. Denn je mehr Viren bei bestehender, relativ hoher Immunität in der Bevölkerung zirkulieren, desto rascher entstehen Varianten, die dem Immunsystem entkommen. Die bisherigen Berichte über Fälle von Re-Infektion zeigen jedenfalls, dass wir uns nicht auf eine Immunität durch die natürliche Infektion verlassen können, dafür sind vielmehr effektive Impfstoffe und die Implementation gut durchdachter Impfprogramme notwendig. Eine Impfung induziert ja im Schnitt deutlich höhere Antikörperspiegel als eine natürliche Virusinfektion und ist auch gegen Mutationen weitgehend effektiv.

Unter Herdenimmunität bezeichnet die Epidemiologie eine indirekte Form des Schutzes vor einer ansteckenden Krankheit, die erst dann gegeben ist, wenn ein hoher Prozentsatz der Population bereits immun geworden ist – sei es durch Infektion oder durch Impfung –, ­sodass sich die Ausbreitungsmöglichkeiten des Erregers innerhalb der Population insgesamt vermindert. Sie definiert sich aus

  • dem Anteil einer Population (der „Herde“), der ­gegenüber einer bestimmten übertragbaren ­Infektionskrankheit immun ist,
  • und einer Kenngröße für den Anteil Immunisierter in einer Population, deren Überschreiten zu einer Abnahme neuer Infektionen in dieser Population führt.

Der Schwellenwert für eine Herdenimmunität ist allerdings ein rein theoretisches Konstrukt, der sich u. a. daraus errechnet, wie rasch ein Virus übertragen wird; je infektiöser Virusträger sind, desto höher kann der Schwellenwert liegen, und je weniger Kontakte die Menschen untereinander haben („social distancing“), desto niedriger ist er.
Die Schätzung für den Schwellenwert basiert auf der Basisreproduktionszahl R0, welche die Anzahl der Menschen beschreibt, die ein Infizierter im Schnitt ansteckt, sie ist also ein Maß für die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines Krankheitserregers. Für die COVID-19-Herdenimmunität liegt der Schwellenwert bei etwa 67 %. Tatsächlich müssten also theoretisch 2/3 der Bevölkerung immun sein, damit eine Herdenimmunität erreicht wird und sich das Coronavirus nicht mehr weiter ausbreitet, womit die Infektionszahlen langsam sinken würden. Virusmutationen, die eine Veränderung von R0 bewirken, haben naturgemäß Einfluss auf den Schwellenwert. Unterschiede in den verschiedenen Einflussgrößen sind auch dafür verantwortlich, dass die Schwellenwerte für verschiedene Infektionskrankheiten unterschiedlich sind (Tab.). Eine Voraussetzung für Herdenimmunität ist weiters, dass der Erreger nur von Mensch zu Mensch übertragen wird und nicht auch von Tieren, da in diesem Fall nur ein individueller Schutz für Geimpfte zu erzielen ist.

 

 

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,
in diesem Kontext scheint ein Vergleich mit HPV-Infektion nicht uninteressant; dazu einige Daten: Nur bei 50–70 % der Population kommt es nach natürlicher Infektion zu messbaren, allerdings relativ niedrigen Antikörper-Spiegeln. Nach HPV-Infektion besteht also, wenn überhaupt, nur ein kurzfristiger Schutz gegen eine Re-Infektion mit demselben Virusstamm.Entsprechend Daten aus Australien wurde nach Immunisierung von etwa 80 % der bezogenen Population ein Herdeneffekt nachgewiesen; die Anzahl an HPV-Infektionen und CIN ging hochsignifikant zurück. Ähnliche Effekte konnten auch in anderen Ländern mit vergleichbaren Durchimpfungsraten (z. B. Dänemark) beobachtet werden.Die WHO hat 2018 zur Elimination des Zervixkarzinoms ausgerufen. Dieses Ziel der WHO ist erreichbar, wenn 90 % der Mädchen unter 15 Jahren gegen HPV geimpft sind; das müsste auch für Österreich zu schaffen sein. Die Durchimpfungsrate hierzulande ist allerdings schlecht dokumentiert, anzunehmen ist jedenfalls, dass sie derzeit noch unter 50 % liegt.


1 Nature 2020 Nov 5; 587