Übersterblichkeit und sinkende Lebenserwartung 2020

Übersterblichkeit wird definiert als die Zunahme an Todesfällen (alle Todesursachen) im Rahmen einer Krise im Vergleich zur Todesfallzahl unter „normalen“ Umständen. In Österreich stieg im April und März 2020 die Sterblichkeit spürbar an, ein erster Höhepunkt wurde im April mit einem Plus von 16 % Todesfällen gegenüber dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre registriert, wobei allerdings nur 4 % der Sterbefälle auf COVID-19-Infektionen zurückzuführen waren.
Im späteren Frühjahr sank dann die Sterblichkeit zwar wieder auf das Niveau der Vorjahre, Ende Oktober war eine deutliche Exzess-Mortalität zu verzeichnen, insbesondere seit November 2020 starben bis zu 60 % mehr Menschen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres (Abb.).

 

 

Kollateralschäden von Lockdowns: Maßnahmen gegen die Pandemie müssen gegen die negativen Folgen dieser Maßnahmen auf Ebene der körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit abgewogen werden. So ergab eine Studie der MedUni Graz, dass in der Steiermark zur Zeit des Lockdowns die Sterberate bei den in Krankenhäusern aufgenommenen Patienten mit Herzkrankheiten und Pulmonalembolien im Vergleich zu den vorangegangenen 4 Jahren um 65 % zunahm; die Patienten suchten zur Zeit des Lockdowns einfach zu spät die Kliniken auf, womit sich lebensrettende Behandlungen drastisch verzögerten.
Auch in Bezug auf Krebserkrankungen ist belegt, dass ein Nicht-Aufsuchen von Krankenhäusern, aufgrund angstschürender Berichterstattungen und sozialer Isolation im Rahmen des Lockdowns, die Sterbezahlen mittel- bis langfristig deutlich erhöht. So zeigte eine kürzlich im BMJ publizierte Metaanalyse1, dass sich durch 4-wöchige Verschiebung von Krebstherapien je nach Krebsart das Sterberisiko um 6–13 % erhöht, bei Brustkrebs ein Aufschub von 8 Wochen um 17 %, um 12 Wochen sogar um 26 %.
Tatsächlich hat eine Studie der AGO unter Federführung der Universität Innsbruck gezeigt, dass von März bis Mai um 40 % weniger Mammakarzinome im Vergleich zu 2019 neu diagnostiziert wurden (18 österreichische Zentren), da im Frühjahr die Zahl an Brustkrebsscreening-Untersuchungen um 70–80 % abgenommen hatte.

ZUSAMMENFASSEND ist zu sagen, dass in der Pandemie nicht allein die unmittelbare Bedrohung durch das Virus eine Gefahr darstellt, sondern dass durch verzögerte Prävention, Früherkennung und Therapie bedingte Kollateralschäden die Opferzahlen weiter steigen lassen werden. Es ist also davon auszugehen, dass es den Menschen in naher Zukunft insgesamt gesundheitlich deutlich schlechter gehen wird, womit die aktuell erhöhte Sterblichkeit nur die messbare Spitze des Eisbergs ist.


  1. [Link]
  2. Quellen: AGES, STAT AT 2020, HS&I-eigene ­Zusammenstellung; Grafik: HS&I Health System Intelligence e.U.