Autonome Komplikation nach Schlaganfall

Hyperaktivität des sympathischen Systems und Dysfunktion des parasympathischen Systems können zu Herzrhythmusstörungen, insbesondere Tachy- oder Bradyarrhythmien, Herzinfarkt oder auch plötzlichem Tod führen, dabei werden Zusammenhänge mit den Hirnregionen, die vom Schlaganfall betroffen sind, diskutiert1-4. Zahlreiche Arbeiten zeigen auch, dass die Prognose nach Schlaganfall ungünstiger wird, wenn Störungen der Herzfrequenzvariabilität vorliegen. Sykora und MitarbeiterInnen untersuchten Zusammenhänge zwischen Schlaganfall und Baroreflex- Empfindlichkeit und fanden nach Schlaganfall Störungen der Anpassung der Herzfrequenz an plötzliche Blutdruckänderungen5. Diese Beobachtung ist klinisch relevant, da es zahlreiche Hinweise gibt, dass sympathische Überaktivität und gestörte Baroreflex- Empfindlichkeit mit einer Einschränkung der Prognose nach Schlaganfall einhergehen6-8.

Bedeutung der Hirnregion und der betroffenen Seite

Bereits 1990 berichteten Oppenheimer et al. über die Bedeutung der Inselregion für die Pathophysiologie des plötzlichen ungeklärten Herztodes9.
In mehreren Arbeiten zeigten die AutorInnen, dass Schädigungen im Bereich der Inselrinde zu einer Beeinträchtigung kardiovaskulärer Kontrollmechanismen führen. In einer neueren Arbeit von 2009 konnten Rincon et al. im Rahmen der Northern Manhattan Stroke Study (NOMAS)10,11 zeigen, dass neben dem Alter der PatientInnen, männlichem Geschlecht, höheren Werten auf der National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) und einer vorbestehenden koronaren Herzkrankheit die Hirnregion, die vom Schlaganfall betroffen war, entscheidenden Einfluss auf die langfristige Überlebensrate der PatientInnen hatte. Dabei waren Läsionen im Frontallappen, Parietallappen, Temporallappen und in der Inselregion mit einer erhöhten Mortalitätsrate infolge kardialer Erkrankungen assoziiert10,11.
Rincon et al. fanden in einer Follow-up-Untersuchung nach 5 Jahren bei den PatientInnen der NOMAS-Studie ein um den Faktor 4,45 erhöhtes Risiko, am kardialen Tod zu versterben, wenn der linke Parietallappen vom Schlaganfall mit betroffen war. Dabei kam dem Parietallappen nur im längerfristigen Krankheitsverlauf nach Schlaganfall dieses erhöhte Risiko zu; in den ersten 30 Tagen nach einem Schlaganfall scheinen Läsionen im Parietallappen einen weniger ungünstigen Effekt auf das kardiovaskuläre System zu haben10,11.
Daneben kommt der Seite, die betroffen ist, wesentliche Bedeutung zu. Klingelhöfer und Sander12 fanden bei PatientInnen nach rechtshemisphärischen Schlaganfällen eine deutlich reduzierte zirkadiane Modulation des Blutdrucks und insgesamt eine höhere Inzidenz kardialer Arrhythmien nach hemisphärischen Infarkten als nach Hirnstamminfarkten.
Zamrini und MitarbeiterInnen13 sowie Hilz et al14 fanden bei Epilepsie-PatientInnen, bei denen vor einem epilepsiechirurgischen Eingriff eine hemisphärische Inaktivierung während des so genannten Wada-Tests erfolgte, eine Zunahme sympathisch vermittelter kardiovaskulärer Modulation nach linkshemisphärischer Inaktivierung und vermehrte parasympathische Aktivität nach rechtshemisphärischer Inaktivierung.

Die Schwere autonomer Störungen korreliert mit der Schwere des Schlaganfalls

Insgesamt ist der Einfluss der unterschiedlichen Regionen des zentralen autonomen Netzwerkes auf die autonome kardiale Modulation noch relativ wenig erforscht. Schädigungen des Gehirns durch einen Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma15 können offensichtlich mit einer jahrelang fortbestehenden Verschiebung und Störung der sympathischen und parasympathischen kardiovaskulären Modulation einhergehen16.
Die Schwere autonomer Störungen scheint dabei mit der Schwere des Schlaganfalls zu korrelieren. So konnten wir Zusammenhänge zwischen der Störung verschiedener kardiovaskulär-autonomer Parameter und der mittels NIHSS-Werten bestimmten Schwere des Schlaganfalls feststellen1. Zwar waren die Korrelationen schwach, jedoch korrelierten alle autonomen Parameter, die eine Verschiebung der sympathischen-parasympathischen Balance hin zu vermehrter sympathischer Aktivität nahelegten, mit der Schwere des Schlaganfalls1.
Die Zunahme sympathischer Aktivität nach einem Schlaganfall fördert das Risiko von Tachyarrhythmien17 sowie das Auftreten von Herzinfarkten4,18 und kann letztlich mit myofibrillären Nekrosen sowie perivaskulären und interstitiellen Fibrosen des Myokards wie auch mit Vakuolisierung der Myozyten einhergehen1,19.
Durch vermehrte sympathische Aktivität nach Hirninfarkt oder Hirnblutung steigt auch das Risiko für sekundäre Hinschädigung oder Hirnödem infolge sympathisch verursachter Entzündung mit Fieber, Hyperglykämie und vermehrter Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke1,8,20. Durch die reduzierte parasympathische Modulation entstehen nach Schlaganfall weitere Risiken1. So ist die Gefahr maligner Tachyarrhythmien erhöht1,2,14,21. Der Mangel an parasympathischer Modulation trägt auch zur Minderung der zerebralen Vasodilatation bei und erhöht das Risiko zerebraler Vasokonstriktion22 und sekundärer Hirnschädigungen23.
Da das zentral-autonome Netzwerk24 praktisch alle Regionen des Gehirns erreicht und offensichtlich eine ständige Abstimmung zwischen verschiedenen Zentren in der rechten und linken Hemisphäre gewährleistet9,25,26, ist verständlich, dass ein Schlaganfall fast immer mit Störungen der kardiovaskulären autonomem Modulation einhergeht.
Je schwerer und ausgedehnter der Hirninfarkt ist, desto schwerer scheinen die autonomen Störungen zu verlaufen1,27.
Spezifische Hirnregionen wie die Inselrinde oder der Parietallappen scheinen dabei mit einem besonders hohen Risiko kardiovaskulärer Gefährdung einherzugehen und auch die Langzeitprognose ungünstig zu beeinflussen1,2.

Fazit

Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass autonomen Störungen nach Schlaganfall bislang zu wenig Beachtung geschenkt wird. Durch die Kontrolle der Herzfrequenzvariabilität nach akutem Schlaganfall, am Monitor der Stroke Unit, lässt sich mit einfachen klinischen Mitteln prüfen, ob die Modulation unter Ruhebedingungen, beim Husten oder – sofern die Mitarbeit dies erlaubt – bei langsamer, metronomischer Atmung oder bei einem Valsalva-Manöver noch ausreichend gut ausgeprägt ist, ob sich die Herzfrequenz nach einer Blutdrucksteigerung, beispielsweise infolge eines kurzfristigen, leichten Kälte- oder Schmerzreizes, rasch wieder normalisiert bzw. auch absinkt, ob die Atmung einem regelmäßigen oder auffälligen Muster folgt. Mit diesen relativ einfachen klinischen Beobachtungen kann ein bettseitiges Screening erfolgen, das den Blick auch für autonome Störungen schult.
Bei PatientInnen, bei denen sich der klinische Status, insbesondere die NIHSS-Werte, verschlechtert, sollte – autonom verursachten – kardiovaskulären Auffälligkeiten besonderes Augenmerk geschenkt werden1.
Ein tieferes Verständnis zentral-autonomer Störungen nach Schlaganfall bedarf noch intensiver Forschungsarbeit. Zugleich sollte aber im klinischen Alltag mehr Aufmerksamkeit auf autonome Veränderungen nach Schlaganfall gerichtet und die Palette der therapeutischen Optionen mit Blick auf die Therapie autonomer Veränderungen erweitert werden, um so die Prognose von SchlaganfallpatientInnen im Akutstadium wie auch im langfristigen Krankheitsverlauf zu verbessern3.

 

1 Hilz MJ, Moeller S, Akhundova A, Marthol H, Pauli E, De Fina P et al., High NIHSS Values Predict Impairment of Cardiovascular Autonomic Control. Stroke. 2011; 42(6):1528-33.
2 Hilz MJ, Schwab S, Stroke-induced sudden-autonomic death: areas of fatality beyond the insula. Stroke. 2008; 39(9):2421-2.
3 Dutsch M, Burger M, Dorfler C, Schwab S, Hilz MJ, Cardiovascular autonomic function in poststroke patients. Neurology. 2007 11; 69(24):2249-55.
4 Rincon F, Dhamoon M, Moon Y, Paik MC, Boden-Albala B, Homma S et al., Stroke location and association with fatal cardiac outcomes: Northern Manhattan Study (NOMAS). Stroke. 2008; 39(9):2425-31.
5 Sykora M, Diedler J, Rupp A, Turcani P, Steiner T, Impaired baroreceptor reflex sensitivity in acute stroke is associated with insular involvement, but not with carotid atherosclerosis. Stroke. 2009; 40(3):737-42.
6 Robinson TG, Dawson SL, Eames PJ, Panerai RB, Potter JF, Cardiac baroreceptor sensitivity predicts long-term outcome after acute ischemic stroke. Stroke. 2003; 34(3):705-12.
7 Sykora M, Diedler J, Turcani P, Hacke W, Steiner T, Baroreflex: a new therapeutic target in human stroke? Stroke. 2009; 40(12):e678-82.
8 Sykora M, Diedler J, Rupp A, Turcani P, Rocco A, Steiner T, Impaired baroreflex sensitivity predicts outcome of acute intracerebral hemorrhage. Crit Care Med. 2008 ; 36(11):3074-9.
9 Oppenheimer SM, Cechetto DF, Hachinski VC, Cerebrogenic cardiac arrhythmias. Cerebral electrocardiographic influences and their role in sudden death. Arch Neurol. 1990; 47:513-9.
10 Dhamoon MS, Tai W, Boden-Albala B, Rundek T, Paik MC, Sacco RL et al., Risk of myocardial infarction or vascular death after first ischemic stroke: the Northern Manhattan Study. Stroke. 2007; 38(6):1752-8.
11 Sacco RL, Boden-Albala B, Gan R, Chen X, Kargman DE, Shea S et al., Stroke incidence among white, black, and Hispanic residents of an urban community: the Northern Manhattan Stroke Study. Am J Epidemiol. 1998; 147(3):259-68.
12 Klingelhofer J, Sander D, Cardiovascular consequences of clinical stroke. Baillieres Clin Neurol. 1997; 6(2):309-35.
13 Zamrini EY, Meador KJ, Loring DW, Nichols FT, Lee GP, Figueroa RE et al., Unilateral cerebral inactivation produces differential left/right heart rate responses. Neurology. 1990; 40(9):1408-11.
14 Hilz MJ, Dutsch M, Perrine K, Nelson PK, Rauhut U, Devinsky O, Hemispheric influence on autonomic modulation and baroreflex sensitivity. Ann Neurol. 2001; 49(5):575-84.
15 McMillan TM, Teasdale GM, Death rate is increased for at least 7 years after head injury: a prospective study. Brain. 2007; 130(Pt 10):2520-7.
16 Hilz MJ, Defina PA, Anders S, Koehn J, Lang CJ, Pauli E et al., Frequency Analysis Unveils Cardiac Autonomic Dysfunction after Mild Traumatic Brain Injury. J Neurotrauma. 2011 Apr 21.
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18 Ay H, Koroshetz WJ, Benner T, Vangel MG, Melinosky C, Arsava EM et al., Neuroanatomic correlates of stroke- related myocardial injury. Neurology. 2006; 66:1325-9.
19 Natelson BH, Suarez RV, Terrence CF, Turizo R, Patients with epilepsy who die suddenly have cardiac disease. Arch Neurol. 1998; 55(6):857-60.
20 Ay H, Arsava EM, Koroshetz WJ, Sorensen AG, Middle cerebral artery infarcts encompassing the insula are more prone to growth. Stroke. 2008; 39(2):373-8.
21 La Rovere MT, Pinna GD, Hohnloser SH, Marcus FI, Mortara A, Nohara R et al., Baroreflex sensitivity and heart rate variability in the identification of patients at risk for life-threatening arrhythmias: implications for clinical trials. Circulation. 2001; 24; 103(16):2072-7.
22 Toda N, Ayajiki K, Tanaka T, Okamura T, Preganglionic and postganglionic neurons responsible for cerebral vasodilation mediated by nitric oxide in anesthetized dogs. J Cereb Blood Flow Metab. 2000; 20(4):700-8.
23 Kano M, Moskowitz MA, Yokota M, Parasympathetic denervation of rat pial vessels significantly increases infarction volume following middle cerebral artery occlusion. J Cereb Blood Flow Metab. 1991; 11(4):628-37.
24 Benarroch EE, Overview of the organization of the central autonomic network. In: Benarroch EE, editor. Central Autonomic Network: Functional Organization and Clinical Correlations. Armonk, NY: Futura Publishing Company, Inc.; 1997; 3-28.
25 Oppenheimer S, Wilson J, Guiraudon C, Insular cortex stimulation produces lethal cardiac arrhythmias: a mechanism of sudden death? Brain Res. 1991; 550:115-21.
26 Oppenheimer S, Cerebrogenic cardiac arrhythmias: cortical lateralization and clinical significance. Clin Auton Res. 2006; 16:6-11.
27 Korpelainen JT, Sotaniemi KA, Myllyla VV, Autonomic nervous system disorders in stroke. Clin Auton Res. 1999; 9(6):325-33.

 

Zusammengestellt für den Beirat “Autonome Störungen”