Nimmt die Inzidenz von Demenzen ab? – Trends in der Demenzinzidenz seit 1990 in der Rotterdam-Studie

Neben genetischen Faktoren und Alter sind Blutdruck, Diabetes, Hyperlipidämie, Nikotin, Alkohol, Übergewicht, Schädelhirntrauma und schlechter Bildungs- sowie sozioökonomischer Status die wesentlichen Risikofaktoren für die Entstehung einer Demenz. Eine eben veröffentlichte Untersuchung1 unter der Führung des Departments für Epidemiologie der Universität Rotterdam beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die Inzidenz von Demenzen mit der Zeit geändert hat.

Studiendesign: Analysiert wurden in einem Rotterdamer Bezirk zwei Kohorten – die erste ab 1990 und die zweite ab 2000. Beide Kohorten umfassten nichtdemente, 60–90-jährige Personen, die in Abständen von jeweils 3–4 Jahren verlaufsuntersucht wurden. Die StudienteilnehmerInnen wurden zu Studienbeginn und bei den Verlaufsuntersuchungen mit dem Mini-Mental State Examination (MMSE) und dem Geriatric Mental State Schedule (GMS) hinsichtlich Demenz gescreent und bei einem MMSE von 25 oder weniger Punkten und einem GMS-organischen Befund von > 0 mittels der Cambridge-Untersuchung für mentale Erkrankungen älterer Menschen (CAMDEX) neuropsychologisch evaluiert.
Die beiden ab 1990 und ab 2000 untersuchten Kohorten unterschieden sich zum Zeitpunkt des jeweiligen Beobachtungsbeginnes in der Anzahl (5727 versus 1769 Personen), dem Alter in der Alterskategorie 60–69 Jahre (die Jahr-2000-Kohorte war durchschnittlich um 1–2 Jahre jünger) und der Bildung (höhere Bildung in der Jahr-2000-Kohorte).

Ergebnisse: Trotz einer signifikant höheren Prävalenz einer systolischen und diastolischen arteriellen Hypertonie, eines höheren Body-Mass-Index und Hüftumfanges, bei vergleichbarer Prävalenz von Diabetes sowie Myokardinfarkt- und Schlaganfallanamnese, aber bei einem geringen Anteil an RaucherInnen und signifikant häufigerer Verwendung von Antithrombotika (Thrombozytenfunktions- oder Aggregationshemmer und Cumarin) sowie lipidsenkender Substanzen war in der Jahr-2000-Kohorte die Inzidenz von Demenz in einem Zeitraum von 5 Jahren in allen untersuchten Altersgruppen (60–69, 70–79, 80–89 Jahre) – wenn auch grenzwertig nicht signifikant – geringer (Inzidenzraten-Ratio IRR 0,75). Dies traf auch für die Mortalitätsrate (IRR 0,63) zu.
Schließlich konnten in einer begleitenden MRI-Untersuchung ein signifikant größeres Hirnvolumen und ein nicht signifikant geringeres Volumen an Läsionen der weißen Substanz in allen Altersklassen der im Jahr 2000 eingeschlossenen ProbandInnen im Vergleich zum Jahr-1990-Kollektiv festgestellt werden.

Kommentar

Die Ergebnisse der Untersuchung sind insofern mit Vorsicht zu interpretieren, als zwischen den beiden untersuchten Kohorten Altersunterschiede bestanden, die Jahr-2000-Kohorte wesentlich kleiner war, einen höheren Bildungsgrad aufwies und die PatientInnen mit Screening-Tests (MMSE, Geriatric Mental State Schedule), die eine diagnostische Unsicherheit aufweisen können, primär hinsichtlich des Ausschlusses einer Demenz evaluiert wurden.
Ein ähnlicher Trend in Richtung Abnahme von Inzidenz und Prävalenz der Demenz in den letzten Jahren wurde in einzelnen anderen Studien2-4 beobachtet (in weiteren Studien aber nicht bestätigt). Obwohl mit Ausnahme von Rauchen und Alkoholkonsum vaskuläre Risikofaktoren in der Jahr-2000-Kohorte im Vergleich zur Jahr-1990-Kohorte zugenommen hatten, war eine statistisch nicht signifikante Risikoreduktion zu verzeichnen, die möglicherweise auf die deutlich höhere medizinische Behandlungsrate mit RR-senkenden Medikamenten, Antidiabetika, vor allem aber Antithrombotika und lipidsenkenden Substanzen zurückgeführt werden kann.
Es ist sicherlich noch zu früh anzunehmen, dass durch medizinische Maßnahmen das Demenzrisiko reduziert werden kann. Es ergeben sich aber erste Hinweise, dass unter medizinischer Behandlung vaskulärer Risikofaktoren (Antithrombotika, Lipidsenker) das Demenzrisiko zumindest nicht zunimmt.
In einem Editorial von EB Larson und KM Langa5 zu diesem Artikel wird auf die methodischen Vorteile dieser Studie und die wichtige Rolle einer Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren hingewiesen und die Hoffnung auf eine Abnahme des Demenzrisikos durch medizinische Behandlung derselben unterstrichen.

1 Schrijvers EM et al., Is dementia incidence declining? Trends in dementia incidence since 1990 in the Rotterdam Study. Neurology 2012; 78:1456–63
2 Rocca WA et al., Trends in the incidence and prevalence of Alzheimer’s disease, dementia, and cognitive impairment in the United States. Alzheimer’s Dement 2011; 7:80–93
3 Manton CK et al., Declining prevalence of dementia in the U.S. elderly population. Adv Gerontol 2005; 16:30–37
4 Langa KM et al., Trends in the prevalence and mortality of cognitive impairment in the United States: is there evidence of a compression of cognitive morbidity? Alzheimer’s Dement 2008; 4:134–44
5 Larson EB, Langa KM, Aging and incidence of dementia: A critical question. Neurology 2012; 78:1452