Trigeminusneuralgie

Klassische TN: Unterteilt wird die TN in eine klassische (früher idiopathische) und eine symptomatische Form. Der klassischen Form liegt ein Gefäß-Nerv-Konflikt als Ursache zu Grunde, der Nervus trigeminus wird zumeist von der A. cerebelli superior bedrängt. Gelegentlich sind auch pontine Venen oder andere umgebende Gefäße für die Irritation des Nervs verantwortlich. Pathophysiologisch wird eine segmentale Demyelinisierung des Nervs und eine daraus resultierende Fehlübertragung des Aktionspotenzials von nichtnozizeptiven auf nozizeptive Fasern vermutet. Ein Gefäß-Nerv-Konflikt kann kernspintomographisch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, allerdings weist fast die Hälfte der PatientInnen einen Gefäß-Nerv-Konflikt auch auf der nichtbetroffenen Seite auf. Ebenso kann bei vielen gesunden Kontrollen (bis ca. 30 %) dieser Befund erhoben werden.

Die symptomatische Form der TN ist we­sentlich seltener (je nach Studie bis zu 15 % der Fälle), sollte jedoch immer im Rahmen der Abklärung, auch in Hinblick auf die Auswahl der invasiven therapeutischen Verfahren, ausgeschlossen werden. 4–6 % aller PatientInnen mit Enzephalitis disseminata (ED) erkranken im Laufe der Jahre an einer TN, vice versa leiden ca. 2 % aller TN-PatientInnen an einer ED. AV-Malformationen, Ischämien und Neurinome sind seltene Ursachen der symptomatischen TN. Eine bilaterale TN, eine Sensibilitätsstörung auf der betroffenen Gesichtsseite oder ein Dauerschmerz zwischen den Attacken lassen eine symptomatische Form vermuten. Die Annahme, dass Schmerzen im Bereich des ersten Astes auf eine symptomatische Form hindeuten, konnte in den neueren Studien nicht bestätigt werden1, 2. Der zweite und der dritte Ast sind in Kombination in ca. 40 % der Fälle betroffen, separat in ca. 18 %.

Die Differenzialdiagnose stellt bei TN keine große Herausforderung dar. Kieferorthopädische, HNO- und zahnärztliche Pathologien sollten ausgeschlossen werden. Gelegentlich kann eine TN mit einer seltenen Form eines trigeminoautonomen Kopfschmerzes, dem so genannten SUNCT-Syndrom, verwechselt werden. SUNCT ist durch sehr kurze, heftigste, einseitige, orbitale, supraorbitale oder temporale stechende Schmerzen mit autonomen Begleitsymptomen charakterisiert und lässt sich somit als eine TN mit „tränendem Auge“ beschreiben.

Therapie

Mit Ausnahme der i. v. Gabe von Phenytoin bei akuten Schmerzexazerbationen ist die Therapie bei TN als prophylaktisch zu bezeichnen. Grundsätzlich sollte eine Monotherapie angestrebt werden. Die Medikamente sind langsam aufzutitrieren, entweder bis zur Schmerzfreiheit oder bis zum Auftreten von Nebenwirkungen.

In der Akutphase kann eine schnelle Aufsättigung mit 250 mg i. v. Phenytoin (Infusionsdauer 30 min, cave RR-Abfall!) durchgeführt werden. Die initiale Dosis kann bis zu 600 mg/d betragen, sollte dann jedoch innerhalb von 5 Tagen auf eine Erhaltungsdosis von 3-mal 100 mg p. o. gesenkt werden.

Medikamente der ersten Wahl: Die Wirksamkeit von Carbamazepin (CBZ, Tagesdosis 400–1600 mg) konnte durch mehrere ältere placebokontrollierte Studien3–6 belegt werden, dieses gilt nach wie vor als Medikament der ersten Wahl. Wenn möglich, sollte CBZ wegen zahlreicher Nebenwirkungen (NNH 3 für leichte und 24 für schwere Nebenwirkungen) langsam aufdosiert werden. Oxcarbazepin wird in der Dosis 900–1800 mg/d trotz der schlechteren Studienlage als gleich wirksam eingestuft, bei geringerem Nebenwirkungspotenzial.

Substanzen der zweiten Wahl sind Gabapentin (900–3600 mg/d), Pregabalin (150–600 mg/d), Lamotrigin (bis 400 mg/d), Topiramat (50–200 mg/d) und Levetiracetam (3–4 g/d).
Gabapentin kann aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils auch bei älteren Menschen gut eingesetzt werden, ist jedoch im Vergleich zu CBZ als weniger wirksam zu betrachten. Die initial gute Wirksamkeit von Topiramat lässt im Verlauf deutlich nach. Auf mögliche Nebenwirkungen wie kognitive Einschränkungen und Sprachstörungen soll geachtet werden. Lamotrigin (400 mg/d) führt bei 60 bis 80 % der Patienten zu Schmerzfreiheit, hat jedoch aufgrund der langsamen Aufdosierungsschemata in der Akutbehandlung kaum einen Stellenwert. Levetiracetam (bis 4 g/d) hat sich in zwei Studien als Add-on-Therapie als wirksam erwiesen7, 8.

Weitere Optionen: Baclofen (Initialdosis 3-mal 5 mg, Erhaltungsdosis 25-75 mg/d) wird bei therapieresistenten PatientInnen mit CBZ kombiniert. Pimozid (4–12 mg/d) war in einer kontrovers diskutierten Studie9 CBZ überlegen, wird jedoch aufgrund des Nebenwirkungsspektrums (v. a. Dyskinesien und Herzrhythmusstörungen) nur mehr in Ausnahmefällen empfohlen. Misoprostol, ein Prostaglandinanalog, das für Behandlung von Magen-Darm-Ulzera zugelassen ist, war in 2 offenen Studien in der Dosierung 3-mal 200 µg/d bei der TN bei ED wirksam10, 11.

Invasive Verfahren werden beim Versagen der medikamentösen Therapie empfohlen. Es stehen drei Methoden zur Verfügung: Mikrovaskuläre Dekompression (MD) nach Jannetta, perkutane Verfahren oder radiochirurgische Methoden.
Eine MD nach Jannetta ist als kausale Therapie bei der klassischen TN zu bevorzugen. Die perkutanen Verfahren destruieren vorwiegend die C-Fasern, welche Schmerzimpulse leiten. Die Schmerzfasern werden durch Temperatur (Thermokoagulation), Druck (Ballonkatheter) oder chemisch (Glyzerin) beschädigt. Die Früherfolgsrate ist mit über 90 % bei allen Verfahren sehr hoch. Der Behandlungserfolg ist auch noch nach 10 Jahren bei ca. 70 bis 80 % gegeben (ca. 50 % der Patienten sind schmerzfrei). Als Nebenwirkungen werden zumeist eine Hypästhesie im Versorgungsbereich des Trigeminusnervs, selten auch motorische Trigeminusausfälle, beschrieben. Bei der MD kann in Einzelfällen als Komplikation eine ipsilaterale Ertaubung auftreten. Die gefürchtete Anaesthesia dolorosa kommt sehr selten vor.
Als Alternative zu operativen Verfahren stehen radiochirurgische Behandlungsmethoden, z. B. Gamma-Knife, zur Verfügung. In Hinblick auf Langzeitergebnisse sind die radiochirurgischen Methoden den operativen unterlegen, sie sind jedoch nebenwirkungsärmer.

1 Cruccu G et al., Diagnostic accuracy of trigeminal reflex testing in trigeminal neuralgia. Neurology 2006;10; 66(1):139–41
2 Gronseth C et al., Practice parameter: the diagnostic evaluation and treatment of trigeminal neuralgia (an evidence-based review): report of the Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology and the European Federation of Neurological Societies. Neurology 2008; 71:1183–1190
3 Rockcliff BW, Davis EH, Controlled sequential trials of carbamazepine in trigeminal neuralgia. Arch Neurol 1966; 15:129–136
4 Cambell FG et al., Clinical trial of carbamazepine (Tregretol) in trigeminal neuralgia. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1966; 29:265–267
5 Killian JM et al., Carbamazepine in the treatment of neuralgia. Arch Neurol 1968; 19:129–136
6 Nicol CF, A four year double blind study of Tegretol in facial pain. Headache 1969; 9:54–57
7 Jorns TP et al., Pilot study to evaluate the efficacy and tolerability of levetiracetam (Keppra) in treatment of patients with trigeminal neuralgia. Eur J Neurol 2009; 16:740–744
8 Mitsikostas DD et al., An observational trial to inves
tigate the efficacy and tolerability of levetiracetam in trigeminal neuralgia. Headache 2010; 50:1371–1377
9 Lechin F et al., Pimozide therapy for trigeminal neuralgia. Arch Neurol 1989; 46:960–963
10 Reder AT, Arnason BG, Trigeminal neuralgia in multiple scleros is relieved by a prostaglandin E analogue. Neurology 1995; 45:1097–1100.
11 Group DS, Misoprostol in the treatment of trigeminal neuralgia associated with multiple sclerosis. J Neurol 2003; 250:542–545