Den Arztberuf attraktiver gestalten. Wo ein Wille, da ein Weg!

Eine der größten Herausforderungen für das Gesundheitssystem wird in den nächsten Jahren die Überalterung der bestehenden Ärzteschaft darstellen. 81 % der knapp 4.000 niedergelassenen Fachärzte mit Kassenvertrag sind älter als 50 Jahre. Mit der zu erwartenden großen Pensionierungswelle in den kommenden Jahren drohen massive Versorgungsengpässe. Bereits jetzt zeigen sich schon vielerorts akute Nachwuchsprobleme. Das hat mehrere Ursachen:

Ein Hauptproblem sind die vielfältigen und von keiner Menschenseele überschaubaren Finanzierungsströme im Gesundheitssystem. Die Buchführungsvorschriften sind für Gemeinden ausgesprochen dürftig, die Länder kochen sowieso ihre eigene Suppe, und im Bund wird an den verschiedenen Seilenden zwischen schlecht bis gar nicht beeinflussbaren Sozialversicherungen auf der einen Seite und einem abgesehen von Gesetzen und Verordnungen zahnlosen Bundesministerium auf der anderen Seite hin- und hergezogen. Dazu kommen noch politische Interventionen und Parteiinteressen, sinnlose Spitalsprojekte, oft über­gangene, sture Standesvertretungen, und fertig ist der Gesundheitssalat.

Über Jahrzehnte waren die Krankenkassen bestrebt, möglichst alle Leistungen in den Spitalsambulanzen zu halten, denn diese speisen sie mit einer Pauschale ab. Den Rest zahlt der Steuerzahler, was aber keineswegs zur Kostenreduktion beiträgt. Die zweifellos ausreichend vorhandenen Mittel verlieren sich in dem undurchschaubaren Dschungel von Trägern und Finanzquellen. In den vergangenen Jahren wurden überdies Unsummen in anderen Finanzbereichen verschwendet (siehe Finanz- und Bankenkrise). Durch den so entstandenen Sparzwang wird nun vermehrt Augenmerk auf die Kosteneffizienz einzelner Strukturen gelegt. Dabei ist es nicht zu übersehen, dass Spitals­ambulanzen teurer arbeiten als Ordinationen. Die gekürzten Arbeitszeitmodelle und die dadurch überlasteten Spitalsärzte tragen das Ihre zum Megatrend der Verschiebung aller nur denkbaren Leistungen in den ambulanten Bereich bei.

Allerdings hat man ganz darauf vergessen, neben der Strukturreform im Krankenhausbereich die Arbeitsbedingungen im niedergelassenen Bereich zu erleichtern. Ganz im Gegenteil – es werden immer neue, völlig überzogene, bürokratische Hürden aufgebaut die ein Arbeiten in den Ordinationen immer weniger lukrativ und immer mühsamer machen, und das ohne echten Nutzen für die Patienten, sondern eher zu deren Nachteil. Die Folgen dieser schlechten Rahmenbedingungen lassen nicht auf sich warten: Jungmediziner nehmen nach dem Studium lieber einen Job im Ausland als einen Kassenvertrag im Inland an. Das betrifft derzeit vor allem Hausarztpraxen, es zeigen sich aber auch schon bei manchen fachärztlichen Ordinationen Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. Und immer mehr Fachärzte eröffnen eine Wahlarztpraxis ohne Kassenvertrag, denn dort gelten nicht dieselben Einschränkungen wie für Kassenvertragsärzte.

Besonders erschreckend ist das zum Teil völlig veraltete Honorierungssystem, das nicht nur in allen Bundesländern völlig verschieden, sondern das auch mit zahlreichen Leistungsdeckelungen und Obergrenzen für Einzelleistungen durchzogen und damit leistungsfeindlich ist.

Dabei hat Österreich im internationalen Vergleich eine sehr hohe Ärztedichte. Ein beträchtlicher Teil der Personalressourcen wird allerdings nach wie vor im Spitalsbereich gebunden, der in Österreich traditionell sehr stark ausgebaut ist. Die jetzt erforderlichen Reformen sind aber nicht nur überstürzt und wenig durchdacht (weil jahrzehntelang auf die lange Bank geschoben und mittlerweile unter Zeit- und Gelddruck stehend), sondern sie dienen vor allem einem Zweck: der Einsparung. Und so ist es nicht verwunderlich, dass viele Spitalsärzte frustriert abwandern, sei es in die örtlich nahe Ordination, sei es ins Ausland. Diese Abwanderung aus dem Mittelbau wird zunehmend zum ernsten Problem, da zahlreiche „System­erhalter“, also Fachärzte mit großer Erfahrung und Können, verloren gehen, die nicht so leicht nachzubesetzen sind.

Um der drohenden Ärzteknappheit entgegenzuwirken, sind vor allem zwei Schritte von größter Wichtigkeit:

1. Die Rechnung darf nicht ohne den Wirt gemacht werden. Soll heißen, dass Ärzte und ihre Standesvertretung in die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen einzubinden sind. Wenn auch nur die Hälfte der Ärzteschaft Dienst nach Vorschrift macht, kollabiert das ganze Versorgungssystem hoffnungslos.

2. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen dringend geändert werden, um moderne Kooperationsformen und Netzwerkbildungen zu ermöglichen, ohne den freien Arztberuf zu gefährden.

Für den Ausbau von Gruppenpraxen sind die Voraussetzungen derart zu gestalten, dass Ärzte als freie Unternehmer mit erweitertem Leistungsspektrum und breiteren Öffnungszeiten vor allem in den Wochenrandzeiten realistisch werden. Derzeit ist das schwierig, weil die Kassen sich weigern, neue Leistungen zu etablieren bzw. am Wochenende entsprechend erhöhte Honorare zu bezahlen, obwohl dies eigentlich schon Bestandteil des geltenden Honorarsystems wäre. Den Mitarbeiterinnen in den Ordinationen muss aber ein entsprechender Wochenendtarif bezahlt werden, somit kommt zum Opfer der Freizeit auch noch ein ungünstiges Einkommensverhältnis hinzu. Länder wie etwa Großbritannien haben diesen Weg bereits erfolgreich eingeschlagen.

Ganz wichtig wäre auch die rasche und effektive Steigerung der Attraktivität der Tätigkeit des niedergelassenen Arztes, auch für junge Ärzte. Vorstellbar wären z. B. Förderung oder Zurverfügungstellung von geeigneten Immobilien. Ärztlicherseits sollte vermehrt das Lehrpraxismodell angeboten werden. So können Jungmediziner die Arbeit in der Ordination kennenlernen und dort „hineinwachsen“. Hilfreich wäre auch die Entwicklung von Praxisnetzwerken mit enger Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizinern und Fachärzten. So könnten z. B. Terminmanagementsysteme, Austausch von Arztbriefen und Zuweisungen oder Befunden die Arbeit im Alltag deutlich erleichtern, und das brächte auch große Fortschritte für die Patienten. Freilich ist die elektronische Gesundheitsakte „ELGA“ in der derzeit geplanten Form dazu ungeeignet. Bei den bestehenden heterogenen EDV-Systemen und den datenschutzrechtlichen Bedenken ist allemal ein kleiner Datenträger, den der Patient selbst mit sich führt und nur den Ärzten seines Vertrauens überreicht, einfacher und bei Weitem billiger. Damit lässt sich aber – im Gegensatz zu ELGA – kein großes Geld verdienen, und es ist schwer bis unmöglich, Daten zu sammeln. Solche Praxisnetzwerke würden zweifellos auch zur Stärkung und Weiterentwicklung von Einzelordinationen beitragen.

Denn es ist eine Illusion, dass man alle Ärzte in Gruppenpraxen zwingen kann. Überdies böten sie interessante Einstiegsmöglichkeiten für Jungmediziner an. Da bräuchte es freilich auch flexible Formen der ärztlichen Zusammenarbeit, wie die Anstellung von Ärzten bei Ärzten, erweiterte Praxisvertretungsmodelle und vieles Ähnliche mehr. Manche dieser Möglichkeiten gibt es ja schon heute, aber stets sind sie mit Honorardeckelungen oder anderen gesetzlichen Einschränkungen leistungsfeindlich und werden daher gemieden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man abgesehen von dem (kaum zu lösenden) Knoten der heterogenen Finanzströme mit relativ einfachen Mitteln dem Problem entgegentreten könnte. Man müsste dazu allerdings standestypische und ideologische Hürden überspringen und endlich den Konsens zwischen Ärzteschaft und Politik herbeiführen. Es gibt ein wunderbares Beispiel, wie so eine Gesprächskultur auch scheinbar unlösbare Probleme aus der Welt schafft: Indem sich alle Beteiligten der norwegischen Nordseefischerei an einen Tisch setzten, konnte die Überfischung der Gewässer in den Griff gebracht werden, sodass heute wieder nachhaltige Fangquoten möglich sind.

Mit einer entsprechenden Vielfalt von Organisationsmodellen, Vernetzung und Verbesserung von Zusammenarbeitsformen, Anpassung der Leistungskataloge an den aktuellen Stand und die Erfordernisse der Medizin, Aufhebung von Limitierungen und Degressionen und dem Abbau von Bürokratie ließe sich der Arztberuf attraktiver machen. Voraussetzung für all das ist natürlich ein Miteinanderreden auf gleicher Augenhöhe. Denn es gilt (frei nach einem Werbeslogan): Geht es den Ärzten gut, dann geht es allen Menschen gut!

 

von Karl Dorfinger aus “Seite des Berufsverbandes” • SU 01|2016 erschienen am 25.05.2016