Der neue Chef von Österreichs Robert-Koch-Institut

Seit Beginn der Coronapandemie wird darüber diskutiert, dass Österreich ähnlich wie Deutschland ein zentrales Institut für Krankheitsüberwachung und -prävention braucht: ein österreichisches Robert-Koch-Institut (RKI). Kernaufgaben des deutschen RKI sind laut Eigenbeschreibung „die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere der Infektionskrankheiten. Zu den Aufgaben gehört der generelle gesetzliche Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu erarbeiten“.
Für Dr. Bernhard Benka (45) ist klar: Das beschreibt eigentlich seinen neuen Job. Benka ist seit September offiziell Nachfolger von Dr. Franz Allerberger als Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). „Wir sehen uns von unserem Selbstverständnis her schon tatsächlich als nationales Public-Health-Institut“, sagt er. Insgesamt decke die AGES sogar mehr ab als das RKI. „Die AGES deckt, salopp gesagt, so viele Bereiche ab wie zehn verschiedene Institute in Deutschland zusammen. Allerdings beschäftigt allein das RKI mehr Personal als die gesamte AGES.“ Doch auch die AGES hat aufgestockt und den Bereich Infektionsepidemiologie ausgebaut. In Benkas Bereich „Öffentliche Gesundheit“ sind aktuell 200 Fachleute beschäftigt, die Abteilung für Infektionsepidemiologie wurde während der Pandemie zu einem eigenen Institut ausgebaut und umfasst inzwischen allein 40 Personen.

Öffentliche Gesundheit im ­Blickpunkt

Offiziell unterstützt die AGES – mit mehr als 1.400 Beschäftigten – die Regierung „in Fragen der öffentlichen Gesundheit, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Arzneimittelsicherheit, Ernährungssicherung und des Verbraucherschutzes entlang der Nahrungskette fachlich und unabhängig mit wissenschaftlichen Expertisen“. Eigentümer sind zu 60% das Gesundheitsministerium und zu 40% das Landwirtschaftsministerium. Entstanden ist die AGES im Jahr 2002 aus der Zusammenlegung der Landeslabore im Lebensmittelbereich. Gerade im Hinblick auf die Pandemie und künftige Gefahren habe man dadurch, dass hier viele Bereiche zusammenkommen, enormes Potenzial, so Benka. Damit habe man etwa auch die Möglichkeit zum raschen Vergleich von Genomsequenzen von Erregern in Humanproben, Tierproben und Lebensmittelproben.
Benka weiß nur zu gut, wie wichtig das im Bereich der Seuchenbekämpfung und -prävention ist. Ab Ende 2015 war er Leiter der Abteilung „Übertragbare Krankheiten, Seuchenbekämpfung, Krisenmanagement“ im Gesundheitsministerium. Und davor für „Ärzte ohne Grenzen“ als Infektionsspezialist und ärztlicher Leiter im Norden Kenias, in schwer zugänglichen Bürgerkriegsregionen im Süden Kolumbiens, im Süden Mexikos, Paraguay sowie zuletzt als Country Manager Indien für ein Leishmaniose-Eliminationsprogramm des britischen Departments for International Development (DFID) im Norden Indiens im Einsatz. Die vielen Auslandsaktivitäten liegen Benka quasi im Blut: Schon durch seine Eltern war er viel international unterwegs. „Mein Vater war als Physiker in Japan und den USA tätig“, erzählt er.
Vor diesem Hintergrund könne er der Pandemie zumindest positiv abgewinnen, dass dadurch das Thema öffentliche Gesundheit mehr in den Blickpunkt gerückt ist. Denn unabhängig von SARS-CoV-2 gebe es in diesem Bereich zahlreiche wichtige Themen, die ihn in seinem neuen Job beschäftigen werden, wie beispielsweise die gesundheitlichen Herausforderungen des Klimawandels und die zunehmenden Antibiotikaresistenzen. „Eine Vielzahl der Themen überschneiden sich mit dem, was ich vorher gemacht habe und wo ich auch schon mit der AGES zusammengearbeitet habe“, berichtet der neue AGES-Mediziner. Neben Zukunftsthemen wie der Überwachung des Antibiotikaverbrauchs gehören dazu auch andere Infektionskrankheiten: „HIV, Tuberkulose und Hepatitis C kennen wir zwar schon lange, sie sind aber immer noch eine Herausforderung. Auch darauf wird man sich nach Corona wieder fokussieren müssen. Dazu kommen Krankheiten, die wieder auftauchen – meist begünstigt durch den Klimawandel.“

Neues AGES-Institut für Infektionsepidemiologie

Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie steckte die AGES viele Ressourcen in Coronatests und Analysen, das Contact Tracing, die Fallabklärung, in die Ermittlung der Reproduktionszahlen und die Aufklärung der Bevölkerung. Hauptaktivitäten des neuen Instituts für Infektionsepidemiologie sind die Prävention, Verhütung, Erkennung und Bekämpfung von meldepflichtigen Infektionskrankheiten sowie die Abklärung von Krankheitsausbrüchen.
Das neue Institut hat 4 Abteilungen: Die Experten der Abteilung für Data Science und Modellierung füttern etwa Computermodelle mit aktuellen Daten, um abzuklären, welche Erreger relevant werden können und wie sich Krankheiten ausbreiten. Die zweite Abteilung ist für die Ausbruchsabklärung zuständig. Sie klärt bei gehäuftem Auftreten von Krankheitsfällen, um welche Erreger es sich jeweils handelt. Dadurch lässt sich feststellen, ob es sich um einen potenziell gefährlichen Ausbruch handelt oder um zufällig gleichzeitig auftretende Fälle mit unterschiedlichen Ursachen. Die Abteilung Surveillance überwacht den Verlauf einer Epidemie und ist für das Monitoring zuständig. Sie ermittelt, wie viele Menschen betroffen sind, wo sie sich angesteckt haben und wie schnell die Krankheitszahlen steigen oder sinken. Hinzu kommt die Abteilung für Datenqualitätssicherung – am Anfang der Pandemie haben etwa die verschiedenen Behörden an das epidemiologische Meldesystem teils uneinheitliche Daten zu unterschiedlichsten Zeitpunkten geliefert.
Als eine der wichtigsten „lessons learned“ aus der COVID-19-Krise gilt es, die Zusammenarbeit mit Universitäten, Forschungseinrichtungen etc. weiter zu stärken, so Benka. AGES-intern wurde zusätzlich zum Zoonosenzentrum in Graz, wo die österreichweiten Proben zusammenlaufen, mit dem Bau eines Zoonosenlabors in Mödling begonnen. Das Ziel ist, sich bereits heute auf künftige Mensch-Tier-übertragbare Krankheitsausbrüche oder gar Pande­mien vorzubereiten.

Föderalismus – ein „zweischneidiges Schwert“

Die Zusammenarbeit mit der Politik ist für Benka dabei nichts Neues, er kenne nun beide Seiten, sagt er. Und er gibt rückwirkend auch einen Einblick in die Pandemiebekämpfung der Regierung: „Ich beneide die politischen Entscheidungsträger nicht. Es ist einfacher, von außen etwas zu fordern, als es umzusetzen und für die Folgen dann auch die Verantwortung zu tragen“, richtet er Kritikern aus. Nur wenige Experten hätten etwa erwartet, dass ein Corona­virus eine Pandemie auslöst. Die Folge: Es mussten auch diagnostische Dinge wie PCR-Tests erst entwickelt werden. „Die Entwicklung kann sich natürlich auch immer wieder kurzfristig verändern. Diverse Prognosen eines nahen Endes der Pandemie haben sich schlussendlich als nicht zutreffend herausgestellt“, schildert Benka.
Den viel kritisierten Föderalismus sieht er als „zweischneidiges Schwert“. „Es ist für ein kleines Land teilweise problematisch, wenn es vieles in neun Ausführungen geben muss. Umgekehrt müssen Populationen nicht ­immer gleich sein, es kann auch regionale Unterschiede geben, und diese können vor Ort auch oft besser beurteilt werden.“ Es sei aber völlig richtig, dass „wir nicht alle Daten haben, wie wir sie gerne hätten“. Etwa im Spitalsbereich müsse man an den Gesetz­geber appellieren, ­Lösungen zu finden. Hier gelte es auch datenschutzrechtliche Punkte auszuräumen. Benkas Fazit: „Es hat im ­Großen und Ganzen in den vergangenen zwei Jahren nicht so schlecht funktioniert.“

Zur Person:

Dr. Bernhard Benka (45) studierte Medizin an der MedUni Innsbruck, absolvierte dabei Famulaturen in Uganda, Nepal und Brasilien sowie die Ausbildung zum Allgemeinmediziner im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz. Danach machte er sein „Diploma in Tropical Medicine and Public Health“ an der Charité in Berlin. Es folgten Auslandsaufenthalte für „Ärzte ohne Grenzen“. Zuletzt war er Leiter der Abteilung „Übertragbare Krankheiten, Seuchenbekämpfung, Krisenmanagement“ im Gesundheitsministerium. Er lebt in einer Lebensgemeinschaft und hat eine sechs Monate alte Tochter. Privat ist er vor allem gerne in der Natur und macht dabei alles, was man in den Bergen machen kann: vom Wandern bis zum Paragleiten. Auch Musik genießt der Gitarrist und Schallplattensammler „in allen Formen“.

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