Hybride Kundenberatung: von Banken lernen

Banken haben bereits vor einigen Jahren vermehrt auf Beratung über alternative Kanäle umgestellt. Die Gründe dafür begannen schon vor der Pandemie. „Bereits in den letzten fünf Jahren waren die Besuchszahlen bei Banken mit klassischem Filialnetz quantitativ rückläufig“, berichtet Prof. Dr. Jürgen Weimann, Unternehmensberater für Banken und Sparkassen zu Themen wie Kundenzentrierung, digitale Transformation und Zukunftsgestaltung. Somit standen Banken vor der Frage: Wie können wir Kundennähe auch in einer digitalen Welt zeigen? „Eine Möglichkeit neben dem früheren Telefonbanking, bei dem man mit dem Tastenwahltelefon irgendwelche Kundennummern oder Kontonummern erfasst hat, war bereits vor rund zehn Jahren das sogenannte Screen Sharing. Dabei hat man eine Unterlage geteilt und dazu telefonisch beraten“, so Weimanns Blick in die Vergangenheit. Dies war der Beginn der Teleberatung – ein Trend, der dann durch die Pandemie massiv verstärkt wurde. „Es kam sozusagen zu einer Mischung aus technischer Evolution und verändertem Kundenverhalten plus Pandemie als Wachstumstreiber“, erläutert der Experte weiter.
Fabian Stenzel, der bei der Erste Bank den Bereich Retail Österreich leitet und damit alle Vertriebskanäle verantwortet, sieht dies ähnlich: „Die regelmäßigen bzw. täglichen Services wie beispielsweise Überweisungen wurden bereits in den vergangenen Jahren sukzessive digitalisiert. Außerdem wurde das Filialnetz optimiert. Dabei setzen wir auf Qualität statt Quantität, mit größeren Standorten sowie längeren Öffnungszeiten, und betreuen vor Ort Privat- und Firmenkunden zur gesamten Produktpalette. Dass umfassendere persönliche Beratungen auch über Telefon und Video durchgeführt werden, wurde im Laufe der Pandemie Realität.“

Vertrauen und „Human Touch“

Stenzel betont weiters, dass Beratung eine große Vertrauenssache sei, die auch einen menschlichen Touch benötige. „Dies von der analogen in die Remote-Welt zu verlagern, war eine große Herausforderung, die wir – für digital affine Kund:innen – sehr gut bewältigt haben. 100%ig digital wird unsere Beratungsleistung jedoch nie stattfinden, denn viele Kund:innen wollen weiterhin in den Filialen betreut, serviciert und beraten werden. Unsere Kund:innen sollen selbst entscheiden, welchen Kanal sie für Beratung und Service nutzen wollen“, so Stenzel.

Hürden überwinden

Bei der Etablierung der digitalen Beratung hatten – und haben – die Banken einige Hürden zu überwinden. „Das beginnt mit den technischen Hürden, an erster Stelle mit der Bandbreite des Internets oder, genauer gesagt, mit der Frage, ob man in der Region so viel Bandbreite zur Verfügung hat, dass mehrere Mitarbeiter:innen gleichzeitig eine Videoberatung durchführen können. Gerade im ländlichen Raum ist das noch immer ein großes Thema. Dazu kam das Investment in die Technik, also Kameras, Tontechnik und so weiter, was vor einigen Jahren noch bedeutend kostenintensiver war als heute“, erklärt Weimann. Als Haupthürde sieht er allerdings die Bereitschaft der Berater:innen, mit Kund:innen virtuell zusammenzuarbeiten. „Ein Teil der Mitarbeiter:innen war begeistert, bei anderen ist man auf zahlreiche Ressentiments gestoßen. Und natürlich brauchten alle erst ein entsprechendes Training, wie man digitale Meetings durchführt. Denn zusätzlich zum fachlichen Know-how erfordert das digitale Setting auch technisches Wissen und die Fähigkeit, die Kund:innen beim Benutzen der Technik anzuleiten“, weiß Weimann aus der Praxis.
Der dritte wichtige Punkt neben Technik und der inneren Haltung der Mitarbeiter:innen ist in seinen Augen die Umstellung des gesamten Beratungsprozesses – der Didaktik: „Der rote Faden einer virtuellen Beratung muss anders aufgezogen werden als bei einer Face-to-Face-Beratung. Das gilt für die Visualisierung wie auch für die Gesprächsführung. Ein ganz entscheidender Aspekt ist beispielsweise, dass man das Online-Gespräch interaktiv gestaltet, damit der:die Kunde:Kundin nicht das Gefühl hat, er:sie säße in einem langweiligen Seminar.“

Gestaltung eines virtuellen Raumes

Wenn man virtuelle Beratung anbieten will, muss man die entsprechenden digitalen Räume schaffen, ist Stenzel überzeugt: „Wir haben unser Video-Beratungstool gebrandet und einen virtuellen Raum geschaffen, in dem eine Beratungssituation analog zum Filialsetting erzeugt wird, natürlich zugeschnitten auf die digitalen Möglichkeiten. Wichtig ist weiters, dass der gesamte Ablauf virtuell stattfinden kann – von der Präsentation über die Beratung bis hin zum Unterzeichnen mit Face-ID oder Fingerprint.“
Stenzel sieht daher ebenso wie Weimann die Notwendigkeit, den virtuellen Kanal bei den Mitarbeiter:innen entsprechend zu positionieren: „Viele denken bei Remote-Center an ein Callcenter – virtuelle Beratung, wie wir sie anbieten, ist aber etwas anderes. Das fängt mit dem Setting an: In Pandemiezeiten war (und ist) ein Remote-Kundenkontakt aus dem Homeoffice in Ordnung, nach der Pandemie geht dies aus Gründen der Professionalität nicht mehr. Wir haben daher eigene Räumlichkeiten, in dem unsere Remote-Berater:innen ihre speziell ausgestatteten Video-Beratungsräume haben. Diese wurden in Sachen Ausstattung komplett auf die virtuelle Nutzung ausgerichtet. Das Remote-Beratungszentrum wurde im Herbst 2021 eröffnet – damit wurde unser neuer Vertriebskanal mit allen Finessen und End-to-End-Strecken gelauncht.“

Erlebnischarakter kreieren

Die Remote-Beratungswelt soll für die Kund:innen zum Erlebnis werden, so die Zieldefinition von Stenzel: „Dafür braucht es einen professionellen Online-Auftritt und speziell geschulte Mitarbeiter:innen. Wir müssen unsere Kund:innen positiv überraschen – wie wir es ja auch mit frisch renovierten Filialen wollen.“ Für die Kund:innen steht vor allem die Convenience, die Bedienungsfreundlichkeit, an oberster Stelle. „Wir wollen, dass sich niemand eine App hochladen muss, sondern dass die virtuelle Welt komplett selbsterklärend ist. Neben Präsentationen und unseren Beratungstools nutzen wir z.B. Whiteboards, auf denen man wie auf Papier schreiben kann. So entsteht eine ganz eigene Welt und alle, die wollen, können diesen Kanal nutzen – ohne Wegzeiten, ohne Parkplatzsuche. Selbstverständlich stehen wir mit unseren Filialen aber auch weiterhin allen Kund:innen für Beratung und Service zur Verfügung“, erklärt Stenzel das duale Prinzip.

Übergangsphase in eine hybride Welt

Wichtiger erster Schritt für eine digitale Beratungsleistung ist laut Stenzel, dass jene Kund:innen, für die virtuelle Beratung infrage kommt, eruiert werden: „Wir haben daher die Remote-Affinität unserer Kund:innen erhoben und daraus abgeleitet, wer welchen Kanal bzw. welche Kanäle bevorzugt. Denn man darf eines nicht vergessen: In Zukunft werden wir uns in einer zunehmend hybriden Welt bewegen. Darin wird es Kund:innen geben, die sich für einen Kanal entscheiden. Andere Kund:innen wiederum werden ihre verschiedenen Anliegen auf unterschiedlichen Kanälen besprechen wollen. Hier müssen wir die Präferenzen der Kund:innen möglichst kennen und auch unser Filialnetz entsprechend aufrüsten, indem in den Filialen ein eigener Raum geschaffen wird, aus dem Re­mote-Beratung stattfindet.“
Derzeit ist es der Erste Bank ein Anliegen, dass Mitarbeiter:innen entweder analog oder digital beraten, da beide Kanäle unterschiedliche Fähigkeiten erfordern. „In Zukunft werden wir vermutlich auch einige Berater:innen so schulen, dass diese hybrid arbeiten können – in einer hybriden Welt brauchen wir sozusagen auch hybride Berater:innen“, erläutert Stenzel die geplanten Schritte.

Virtuelle Beratung eröffnet neue Kundenkreise

Auch Weimann hält es für sehr entscheidend, dass Teleberatung nur ergänzend angeboten wird, denn noch immer schätzen viele Kund:innen den persönlichen Kontakt in der Filiale: „Ganz ohne digitale Beratungsangebote geht es aber auch nicht mehr, denn viele Menschen wünschen sich die Flexibilität einer virtuellen Beratung. Dies bringt auch Vorteile bei der Kundengewinnung: Denn digital erreichen Banken auch Menschen, zu denen es vorher eher weniger bis gar keinen Kontakt gab, z.B. weil sie aufgrund eines eng getakteten Arbeitsalltags keine Zeit für Filialbesuche haben. Zudem sind Online-Meetings natürlich auch für Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, vorteilhaft.“ Man habe aber beispielsweise auch gesehen, dass die Termineinhaltungstreue bei virtuellen Treffen größer ist als bei persönlichen Treffen, bei denen leichter etwas dazwischenkommen könne, berichtet Weimann.

Empfehlungen für die Pharmabranche

Auch für die Pharmaunternehmen sieht Weimann in den geringeren Fahrzeiten bei Kundenkontakten einen großen Vorteil: „Durch virtuelle Gespräche, aber auch virtuelle Veranstaltungen kann man mehr Ärzt:innen in kürzerer Zeit erreichen.“ Zudem ermöglicht seiner Ansicht nach das hybride Kommunikationsmodell einen Effizienzgewinn für Pharmaunternehmen: „Virtuelle Kommunikationswege eröffnen meiner Meinung nach auch für Pharmaunternehmen die Möglichkeit, Ärzt:innen zu erreichen, die sie vorher über analoge Kanäle nur wenig oder gar nicht erreicht haben.“ Auch Stenzel sieht dies so: „Für digital affine Kund:innen ist Remote der richtige Weg, da sie sich Zeit ersparen. Zudem kann man in einem digitalen Setting ohne großen Aufwand eventuell benötigte Spezialist:innen zum Gespräch hinzuziehen. Für Mitarbeiter:innen kommt es zu einer Effizienzsteigerung, da sie den doppelten Kundenstock betreuen können und die Meetings effizienter sind – unter anderem, weil Smalltalk wegfällt.“
Am Ende des Tages sieht Weimann durch hybride Kundenkontaktmöglichkeiten zudem eine Steigerung der Attraktivität des Pharmareferentendaseins, „nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Gewinnung von jungen Talenten, die vielleicht nicht mehr so viel Lust haben wie frühere Generationen, viel Zeit im Auto zu verbringen“.
Stenzel rät allen Unternehmen, die Re­mote-Beratungen einführen wollen, hierbei nicht an Professionalität zu sparen: „In Post-COVID-Zeiten werden Kund:innen gewöhnt sein, jene Kanäle zu nutzen, die sie nutzen wollen. Diese Kanäle müssen Unternehmen daher weiterhin zur Verfügung stellen – und zwar auf einem hoch professionellen Niveau. Auch Video-Beratungsgespräche müssen auf höchst professionellem Niveau stattfinden – Beratungen aus dem Homeoffice gehen dann nur noch in Ausnahmefällen. Stattdessen gilt es, die Erwartungshaltung der Kund:innen zu eruieren und dann zu versuchen, einen Wow-Effekt in einer gebrandeten virtuellen Unternehmenswelt zu erzielen“, so Stenzel abschließend.

Tipps für die virtuelle Didaktik

Damit virtuelle Meetings gelingen, empfiehlt Unternehmensberater Prof. Dr. Jürgen Weimann Folgendes:

  • „Besser keine übertriebene Visualisierung, denn sehr künstlerisch gestaltete Präsentationen mit mehreren Animationen und vielleicht noch irgendwelchen Tonunterlegungen können verwirrend sein.
  • Empfehlenswert ist eine nüchterne Visualisierung in Verbindung mit einer persönlichen Note.
  • Die meisten Banken, die ich berate, setzen PowerPoint-Präsentationen ein, aber immer kombiniert mit der Möglichkeit, über ein iPad oder Pen-Pad etwas auf diese Präsentation zu schreiben. Dann kann man die Präsentation zusammen mit dem:der Kunden:Kundin anschauen und zusätzlich den einen oder anderen Punkt markieren oder Gedanken dazu anders visualisieren.
  • Darüber hinaus gilt natürlich alles, was bei der Offline-Beratung auch gilt: nicht zu textlastig, visualisiert mittels Bildern, Einhalten eines klaren roten Fadens etc.
  • Wichtig ist zudem die Dauer der Beratung: In der Filiale kann ein Beratungsgespräch zwischen 45 und 60 Minuten dauern, Online-Beratungen sollten nach ca. 30 Minuten zu Ende sein.“