Neue Wege bei Vertriebsmodellen

„ Wir haben gerade zu Beginn der Pandemie viele Unternehmen bei der Umstellung auf einen Remote-Kundenkontakt begleitet“, berichtet Claus-Dieter Beck, Unternehmensberater, cdb-digital-­sales. „Dabei ging es stark darum, die Außendienstmitarbeiter:innen für diese neue Form des Kundenkontakts zu qualifizieren, einerseits in Bezug auf die technischen Fähigkeiten für die Nutzung von Zoom, Go-to-Meeting und anderer Online-Meeting-Plattformen, andererseits in Bezug auf den didaktischen Aufbau der Meetings, denn im Online-Kundenkontakt benötigt man dieselben Skills wie im Face-to-Face-Kontakt – plus zusätzliche Fähigkeiten“, erklärt Beck.
In seinen Augen erfordern digitale Kontakte eine intensivere Vorbereitung: „Man kann gewisse Dinge der persönlichen Ebene im digitalen Kanal nicht so abbilden, wie dies analog möglich war. Die Zeiten, in denen man zu den Kund:innen hinging und mal schaute, was diese so brauchen, sind eindeutig vorbei. Es braucht daher eine viel klarere Zielfokussierung.“ Das beginnt seiner Meinung nach bereits beim ersten Telefonat. „Ich muss von Beginn an mein Anliegen formulieren können – sonst bietet das Gespräch keinen Mehrwert für die Kund:innen“, so Beck.

Weniger Verkauf, mehr Beratung

Beck ist davon überzeugt, dass in den letzten zwei Jahren auch im Pharmabereich eine neue Art des Vertriebs entstanden ist: „Es geht weniger ums Verkaufen, sondern mehr um eine Begleitung, fast um ein Coaching der Kund:innen, damit diese für sich eine neue Qualität ihrer Entscheidung finden können. Das Ziel muss sein, die Kund:innen so zu unterstützen, dass sie am Ende des Gespräches eine neue Sichtweise auf ihre Kriterien haben. Das bedeutet für den Außendienst, dass er sich ganz intensiv mit den Bedürfnissen der Kund:innen auseinandersetzen muss.“
Diese Veränderung des Außendienstes ist für Beck dadurch entstanden, dass sich die Kund:innen, also die Ärzt:innen, verändert haben bzw. aufgrund der Pandemiesituation verändern mussten: „Früher ist der Außendienst hingegangen und hat die Produkt­palette präsentiert. Das brauchen die Kund:innen heute aber nicht mehr, denn diese Informationen finden sie jetzt in den digitalen Kanälen. Und die meisten sind durchaus fit in der Nutzung digitaler Formate.“

Kundenanalyse durchführen

Wolfgang Schober, Geschäftsführer von Pharm Ref Consulting und Lehrgangsleiter an der DonauUni Krems für den Bereich Pharmavertrieb, plädiert dafür, vor der Neuausrichtung des Außendienstes eine Analyse der Kund:innen durchzuführen. Er ist davon überzeugt, dass nicht alle Ärzt:innen die digitalen Kanäle bevorzugen: „Daher muss man sich die Frage stellen, für welche Kund:innen ein digitales bzw. hybrides Vertriebsmodell überhaupt infrage kommt. Vor allem im Krankenhaus gibt es beispielsweise eine technische Hürde, denn nur der Chef einer Krankenhausabteilung hat einen Internetzugang bzw. muss aus Sicherheitsgründen in der IT-Abteilung um einen Internetzugang angesucht werden. So kommt es, dass einige Ärzt:innen digitale Kontakte zu Hause erledigen oder ihren privaten Laptop ins Spital mitnehmen.“ Generell ist Schober davon überzeugt, dass sich viele Ärzt:innen darauf freuen, wieder persönlichen Kontakt mit dem Pharma-Außendienst zu haben.

Wirkung erzeugt Vertrauen

Beck plädiert dafür, die Rolle des Außendienstes aktuell zu hinterfragen und neu auszurichten, denn aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen einer zunehmend digitalen Welt brauche der Vertrieb eine neue Definition. „Dabei muss man sich einer Sache bewusst sein: Jede:r Mitarbeiter:in erzielt auf die Kund:innen eine Wirkung, sei es am Telefon, digital oder persönlich. Aus der Summe dieser Wirkungen heraus treffen die Kund:innen die Entscheidung, ob sie dem Unternehmen Vertrauen schenken und ihre Bedürfnisse erfüllt sehen. Das heißt, die Rolle des Sales hat sich verändert. Es werden andere Einheiten, wie z.B. in der Pharmazie die Medical-Service-Einheiten, viel stärker im Kundenkontakt wahrgenommen, weil die Ärzt:innen mit diesen wahrscheinlich öfter Kontakt haben als mit jemandem, der ihnen irgendeine neue Produktinformation gibt. Deswegen würde ich jedem Pharmaunternehmen raten, sich über die Rolle und die Erwartung an die Rolle des Außendienstes unter diesen neuen Rahmenbedingungen noch einmal Gedanken zu machen.“
Diese Klarheit über die Rolle des Außendienstes ist nach Ansicht des Unternehmensberaters auch für die Mitarbeitenden wichtig, denn: „Mitarbeiter:innen, die Klarheit über ihr Tun und ihre Aufgaben haben, sind begeistert und geben dies auch weiter. Und Begeisterung ist das, was wir am Markt hervorrufen wollen. In den letzten zwei ­Jahren waren manche Außendienstmitarbeiter:innen nicht begeistert, weil ihnen ihre Standardfähigkeiten, den persönlichen Kontakt zu pflegen, weggenommen worden sind. Daher lautet die Aufgabenstellung jetzt: Wie begeistere ich meinen Außendienst neu, damit dieser wieder mit voller Begeisterung in einem anderen Set-up die Ärzt:innen betreut?“

Keine Besuche, sondern ­Inszenierung!

Bei digitalen Treffen beobachte man sich immer auch selbst, erläutert Beck. Das sei anstrengend, auch für die Kund:innen. Der erste Schritt für einen qualifizierten Kontakt zwischen Außendienst und Kund:innen ist für ihn daher immer die Entscheidung, welcher Kanal genutzt wird: „Es muss nicht immer das Videomeeting sein, manchmal ist ein Telefonat oder ein E-Mail die bessere Wahl. In Zukunft kann man auch wieder persönliche Treffen ansetzen – aber das Setting muss immer danach gewählt werden, welches Ziel man verfolgt.“
Wichtig ist laut Beck, dass der Kontakt qualifiziert wird Kasten, Seite 15): „Digital bedeutet, dass der Außendienst keinen Besuch mehr macht, sondern eine Inszenierung. Dazu kann beispielsweise gehören, dass man andere Kolleg:innen aus dem Unternehmen zum Meeting dazuholt, um dem Gespräch eine zusätzliche Qualität zu geben. Das ist digital deutlich einfacher möglich als im Face-to-Face-Kontakt.“ Entscheidend ist für Beck, mit welcher Emotion der:die Kunde:Kundin aus dem Termin weggeht: „Dies kann man auch dadurch beeinflussen, indem man die Kund:innen zum Teil der Lösung macht. Es geht um die Entwicklung eines gemeinsamen Plans. So beeinflussen wir auch, was die Kund:innen nachher ihren Kolleg:innen über das Gespräch erzählen. Ein ganz entscheidender Punkt ist, wie gesagt, dass der Außendienst selbst mit Begeisterung, mit Leidenschaft dabei ist – das spüren die Kund:innen auch digital. Und werden im besten Fall von dieser Begeisterung angesteckt.“

Keine Überflutung!

Für Schober ist es von großer Bedeutung, dass der Außendienst mit Maß und Ziel agiert, denn „teilweise sind die Ärzt:innen derzeit bereits genervt, weil sie z.B. mit E-Mails bombardiert werden. Daher lautet meine Empfehlung an die Firmen, mit den digitalen Möglichkeiten maßvoll umzugehen. Sonst kommt es zu einer ähnlichen Entwicklung wie in den 1980er/1990er-Jahren, als die Ärzt:innen mit Papierinformationen überflutet wurden, bis es – auch auf Initiative der Pharmig – zu einer freiwilligen Selbstbeschränkung der Pharmaunternehmen kam. Jetzt müssen sich die Firmen Gedanken machen, die Ärzt:innen nicht mit digitalen Informationen überzustrapazieren, sondern wirklich inhaltsvolle Informationen zu übermitteln.“

AD-Mitarbeiter:innen motivieren

Es ist eine Tatsache, dass manche Menschen digital affiner sind als andere. Dies gilt für Ärzt:innen, aber auch für die AD-Mitarbeiter:innen selber. Beck sieht hier die Führungskräfte dazu aufgerufen, die Mitarbeiter:innen zu befähigen, die neuen technischen Möglichkeiten mit Begeisterung zu nutzen und zu erkennen, welche zusätzlichen Chancen sich durch die digitalen Wege eröffnen. „Es gibt drei Vertriebs­kanäle: Telefon, digital und persönlich. Wichtig ist, für den jeweiligen Kontakt den richtigen Kanal auszuwählen und dann auch entsprechend zu nutzen. Diese Wahl sollte in erster Linie nach den Vorlieben auf Kundenseite getroffen
werden, aber ­natürlich muss sich auch der:die AD-Mitarbeiter:in wohlfühlen. Und es gibt ja durchaus Optionen – wer bei einem ­Online-Meeting die Videofunktion nicht ­aktivieren will, sollte beispielsweise besser telefonieren.“
Auch Schober plädiert für eine gute Schulung der Mitarbeiter:innen im Umgang mit den digitalen Medien: „Teilweise sind diesbezüglich nach wie vor Ängste vorhanden, diese gilt es abzubauen. Zudem darf man nicht von allen Mitarbeiter:innen erwarten, dass sie die digitalen Medien bereits jetzt optimal nutzen können. Wenn ein:e Mitarbeiter:in über Teams kleine Ärzterunden zu ­Vorträgen etc. zusammenbringt und diese Treffen auch moderiert, ist das super. Aber derzeit können das nur wenige AD-Mitarbeiter:innen. Die anderen muss man dazu erst befähigen, ehe man das von ihnen verlangen kann.“

Prognose: Geringfügige Reduktion des Außendienstes

Für die nächsten Jahre sieht Wolfgang Schober, Geschäftsführer von Pharm Ref Consulting, durchaus Veränderungen auf den Außendienst zukommen. Dabei muss man seiner Meinung nach unterscheiden, welche Ärztegruppe betreut wird: „Ich glaube, im Klinikbereich wird es größere Gebiete für eine:n Außendienstmitarbeiter:in geben, da man den Kontakt mit den Ärzt:innen über digitale Wege halten kann, statt zu allen hinfahren zu müssen. Daher kann es hier zu einer Reduktion des Außendienstes kommen. Im niedergelassenen Bereich wird es eventuell ebenfalls Reduktionen geben, aber keine einschneidenden. Zudem wird dies aufgefangen werden, da auch wieder viele Firmen neu dazukommen.“