Von Remote zu Hybrid

Komplettes Homeoffice wurde durch die Pandemie für viele Monate zum Arbeitsalltag. Pharmaunternehmen taten sich mit der Umstellung oftmals deutlich leichter als andere Branchen, da mobiles Arbeiten in vielen Firmen bereits vorher gelebt worden war, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, zu dem die Corona-Situation geführt hatte. Doch der „new way of working“ wird nach der Pandemie nicht wieder verschwinden. Es gilt, hybride Arbeitsmodelle zu etablieren.

Transition von Remote zu Hybrid

„Derzeit befinden wir uns in der Transitionsphase von der Pandemie zu ‚COVID wird Normalität‘“, erklärt Dr. Isabella Eder, Commercial Director Oncology, Janssen Austria. Sie erinnert sich an den Beginn der Pandemie zurück: „Von einem Tag auf den anderen musste auf rein virtuelles Arbeiten inklusive digitaler Meetings umgestellt werden. Digitalisierung und flexibles Arbeiten waren bei Janssen bereits seit Jahren im Arbeitsalltag integriert, somit war die Umstellung zumindest von technischer Seite her, das heißt, in der grundsätzlichen Nutzung von Online-Tools für unser internes Arbeiten, keine große Hürde. Extern war die Situation anders, die primären Kanäle waren hier prä-COVID auf Telefon und persönliche Besuche fokussiert.“
Etwas mehr als zwei Jahre später geht es in ihren Augen darum, einen neuen Mix zwischen virtuellem Austausch und persönlicher Interaktion zu finden – und das in allen Funktionen im Unternehmen. „Die entscheidenden Fragen lauten derzeit: Wann macht es am meisten Sinn, sich zu einem Face-to-Face(F2F)-Meeting zu treffen, wann ist ein virtueller Austausch zielführender und effizienter? Was ist meine Erwartungshaltung, um ins Büro zu kommen? Was ist die Erwartungshaltung unserer externen Stakeholder, sich persönlich zu treffen? – Wir wollen so viel Flexibilität wie möglich schaffen und die individuelle Abstimmung im Team gemeinsam mit dem:der Vorgesetzten bzw. mit den Kund:innen fördern“, so Eder.

Volatil, unsicher, komplex und ambivalent (VUKA)

„Remote Work ist ein fester Bestandteil unserer agilen Arbeitsweise im globalen Netzwerk bei Roche, denn auch schon vor der COVID-19-Pandemie war vieles in unserem Alltag volatil, unsicher, komplex und ambivalent – also mehrdeutig. Daher verfügten alle Kolleg:innen bereits über die notwendigen Tools“, berichtet Susanne Erkens-Reck, General Manager bei Roche Austria GmbH. Um die Mitarbeiter:innen auf diese neue ­Arbeitswelt einzustellen, hat das Unternehmen das Arbeitsumfeld agil, weniger hierarchisch und kollaborativ organisiert. „Vieles erfolgt vertrauensbasiert, denn unsere Mitarbeiter:innen können selbst am besten beurteilen, was sie wann wie erledigen“, erläutert Erkens-Reck.
Auch Lydia Sedlmayr, Leitung People & Organisation bei Novartis Österreich, sieht viel Eigenverantwortung bei den Mitarbeitenden und den jeweiligen Teams: „Die einzelnen Teams entscheiden autark, welche Form der Zusammenarbeit am effizientesten ist. Selbstverständlich bleibt auch der persönliche Austausch mit physischer Präsenz ein wichtiges Element der Zusammenarbeit. Im Zentrum steht die Kommunikation, diverse technische Tools helfen dabei. Hier gilt es flexibel zu bleiben, denn ständig kommen neue Tools dazu.“
Für Erkens-Reck ist agiles Arbeiten ebenfalls ein ständiger Lernprozess: „Man braucht Neugier und den Mut zur Priorisierung. Die Pandemie war in puncto ,digital fluency‘ eine Zeit intensiven Lernens. Wir haben bei Roche große Schritte in Richtung agiler und fluider Arbeitsformen gemacht. Die so gewonnene Flexibilität hat uns bei der Interaktion mit unseren Partner:innen im Gesundheitswesen sehr geholfen.“

Der Außendienst im Wandel

Auch die Kommunikation zwischen Pharma-Außendienst (AD) und der Ärzteschaft hat sich in der Pandemie stark gewandelt, waren doch F2F-Treffen oftmals nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich – eine neue Herausforderung für den Außendienst, nicht nur im Hinblick auf technische Fertigkeiten. „Speziell für neue Mitarbeiter:innen bzw. Kolleg:innen, die in ein neues Indika­tionsgebiet gewechselt haben, war die ­Herausforderung sehr groß, nicht auf bestehende Netzwerke aufbauen zu können“, weiß Eder aus der Praxis.
Außendienstmitarbeiter:innen und auch die Health Care Professionals (HCPs) mussten während der Pandemie ihre Kenntnisse und Bereitschaft zur Nutzung digitaler Tools stark ausbauen. „Virtuelle Kongresse, verstärkte Kommunikation per Mail, Termine über Zoom oder Teams – all dies wurde schrittweise in den Arbeitsalltag integriert – natürlich unter Berücksichtigung der Präferenzen und Verfügbarkeiten unserer Kund:innen“, erläutert Eder. Schließlich sei während der COVID-19-Pandemie das Online-Meeting oft die einzige Möglichkeit gewesen, im persönlichen Kontakt mit den Spitalsärzt:innen zu bleiben, unterstreicht auch Erkens-Reck. „Folglich war es für unsere Partner:innen im Gesundheitswesen wichtig, bei Roche klare ‚Points of Contact‘ zu haben. Nach zwei Jahren der Pandemie können wir sagen: Unsere Gespräche mit Ärzt:innen und Patient:innen haben an Tiefe gewonnen, gleichzeitig investieren wir mehr Zeit in die Vorbereitung. Deshalb sind unsere Außendienstkolleg:innen in crossfunktionale Teams eingebunden, denn eine 360-Grad-Sicht auf das Gesundheitswesen fördert neue Denkansätze“, so Erkens-Reck.

Kommunikationsmix aus Digital und F2F

„Mit zunehmender Rückkehr zur Normalität und zum Zugang zu unseren Stakeholdern wissen und spüren wir, wie wertvoll persönlicher Austausch ist. Sich ganz auf das Gegenüber einlassen zu können, Körper und Sprache uneingeschränkt in der Kommunikation nutzen und aufmerksam dem Gespräch folgen zu können, die Beziehungsebene zu leben – dies alles ist im virtuellen Setting eingeschränkt“, betont Eder. Sie ist davon überzeugt, dass es für den Pharma-Außendienst jetzt darum geht, im Austausch mit den HCPs den richtigen Mix aus F2F und digitalen Tools zu finden: ­„Zeiteffizienz soll und darf dabei nicht die primäre Komponente sein, sondern die Qualität und der Mehrwert der Interaktion.“
Für Sedlmayr geht es bei der zukünftigen Kommunikation zwischen Außendienst und Ärzt:innen weniger um eine Entscheidung zwischen F2F oder Digital, sondern eher um einen Mix aus den verfügbaren Kanälen, basierend auf den Kundenbedürfnissen – ganz nach dem Unternehmensmotto: „We are creating impact through engagement.“ „Denn es ist nach wie vor schwierig, HCPs in Krankenhäusern persönlich zu treffen, aber sie können über digitale Kanäle wie Telefon, Videocalls oder E-Mails, die personalisierte medizinische Aufklärung und Informationen liefern, erreicht werden. Wir sehen, dass sie bereit sind, sich zu engagieren, solange man ihnen einen wertvollen Inhalt oder eine Lösung anbietet – es geht also nur um den Mehrwert“, betont ­Sedlmayr.

Omnichannel-Kundenbindung

Bei Roche verfolgt man den Ansatz, Patient:innen, Ärzt:innen und sonstige Stake­holder im Gesundheitswesen flexibel dort abzuholen, wo ein sinnvoller Austausch möglich ist. „Mit unserem Omnichannel Approach haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Digitale Kanäle sind wichtige Schnittstellen, sie sind Teil unseres Kommunikationsmix“, gibt Erkens-Reck Einblick. Bei Novartis berichtet man Ähnliches: „Bereits vor COVID haben wir den Wechsel von konventionellen Vertriebs- und Marketingaktivitäten zu Omnichannel-Kundenbindungsaktivitäten vorangetrieben. Dies gibt den Kolleg:innen mehr
Flexibilität und bietet gleichzeitig das bestmögliche Kundenerlebnis durch personalisierte Inhalte und eine individuell gewählte Vorgehensweise“, erklärt Sedlmayr.
Selbstverständlich werde die Rolle der Customer-facing Associates wichtig bleiben, daher sei auch keine Verkleinerung des Außendienstes geplant, denn „wir müssen weiterhin mit den Vertreter:innen des Gesundheitswesens in Kontakt und im Austausch bleiben. Aber der Schwerpunkt des Außendienstes verändert sich, um den HCPs weiterhin einen Mehrwert zu bieten und sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse erfüllt und die Ergebnisse für die Patient:innen verbessert werden“, so Sedlmayr weiter. Sie ist davon überzeugt, dass die Außendienstmitarbeiter:innen durch die neuen digitalen Kanäle zusätzlich zu den persönlichen Besuchen die Möglichkeit ­erhalten, ihre Kommunikationskanäle zu verbessern und zu erweitern, um einen persönlicheren Ansatz entsprechend den Bedürfnissen der HCPs zu liefern. „Mithilfe von Omnichannel und personalisiertem ­Engagement können Kommunikationsstrategien besser auf unsere Vertreter:innen des Gesundheitswesens abgestimmt werden. Um dies zu erreichen, ist ein digitales Up-Skilling des Außendienstes notwendig und essenziell. Bestimmte Veränderungen müssen auch von ihnen vorangetrieben werden, um den Digitalisierungsprozess des Gesundheitssystems zu unterstützen“, unterstreicht Sedlmayr.

Relevanz der Inhalte, Präferenz der Kanäle

„Die Fokussierung auf die richtigen Vertreter:innen des Gesundheitswesens ist immer der Schlüssel, gleichzeitig ist es eine Kombination aus Push- und Pull-Ansätzen. Mit mehr Erkenntnissen und fundierten Insights über das Verhalten und die Vorlieben der Kund:innen (z.B. über digitale Kanäle) können wir den Vertreter:innen des Gesundheitswesens einen stärker personalisierten Ansatz bieten“, erklärt Sedlmayr weiter.
Auch Erkens-Reck ist überzeugt, dass die Zielgruppenansprache bei Ärzt:innen ­spezifischer wird, weil mit dem Fortschritt der personalisierten Medizin auch das ­Portfolio noch punktgenauer an bestimmte Gesundheitsthemen anknüpft. „Beim ­persönlichen Austausch mit unseren Außendienstkolleg:innen suchen die Expert:innen im Gesundheitswesen vor allem neue Denkansätze oder die Klärung von Spezialfragen“, so die Roche-Austria-Geschäftsführerin weiter. Auch in ihren Augen geht es in der Kommunikation mit der Ärzteschaft um relevante Inhalte: „Für einen echten Mehrwert im Gespräch nehmen sich Ärzt:innen nach wie vor Zeit.“
Eder sieht die Verknüpfung von relevantem Content, Channel Preference der Zielgruppe und Kompetenz in der Auswahl und Anwendung der Tools als entscheidende Grundlage eines Omnichannel-Ansatzes. Sie betont in diesem Zusammenhang, dass der Prozess der hybriden Kommunikationswege noch immer in Veränderung begriffen sei und daher Ausdauer, Resilienz und kontinuierliche Lernbereitschaft nötig seien, um sich immer wieder auf das Gegenüber und dessen Erwartungshaltung einzustellen.

Spezifischere Zielgruppenansprache

„Je nach Therapie und Lösung, die wir bei Janssen für die Patient:innen anbieten können, gilt es die Zielgruppe zu definieren“, erläutert Eder. Sie ist davon überzeugt, dass jede:r, die:der eine wichtige Rolle in der Patientenversorgung einnimmt, über die neuesten Daten und Erfahrungen zur Anwendung der Therapie informiert sein und offene Fragen schnellstmöglich klären können müsse, um maximale Sicherheit und bestmöglichen Therapienutzen in der Patientenversorgung zu fördern. „Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, hier bestmöglich zu unterstützen – gesetzlich, aber auch aus unserer inneren Überzeugung, unserem Purpose, heraus. Dabei geht es darum, die Bedürfnisse der Zielgruppe zu eruieren und sie mit Kompetenz und Feingefühl zu begleiten“, so Eder.
Erkens-Reck ergänzt: „In der Ansprache ­unserer Zielgruppen werden wir insofern selektiver, als wir verstärkt einen strategischen und zielgerichteten Ansatz verfolgen. Die Quantität der absolvierten Termine ist der Qualität des Beratungsgesprächs ­gewichen – das zufällige 5-Minuten-Treffen mit Ärzt:innen im Korridor des Krankenhauses gibt es immer seltener. Es geht uns nicht um ein Mehr an Kontakten, sondern um ­sinnvolle Ergebnisse für die bestmögliche Behandlung der österreichischen Patient:innen.“
Sedlmayr ist überzeugt, dass auf längere Sicht mit der Übernahme von Schlüsselpositionen in Krankenhäusern durch die jüngeren Generationen eine größere digitale Offenheit zu erwarten ist, die von den Pharmaunternehmen vorausschauend aufgebaut und genutzt werden sollte.