Pandemiefolgen: Erkältungsmarkt am Boden

Die Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt, und so ist es auch im pharmazeutischen Markt zu Veränderungen gekommen. Für Mag. Hannes Wellacher, Sales Manager bei INSIGHT Health, ist beispielsweise ein erhöhtes Lagervolumen bei Rx-Produkten in Apotheken eine Folge der Corona-Situation. „Hier ist eine Steigerung von plus 15% zu verzeichnen. Wohlgemerkt: Das ist nicht das Großhandelslager, sondern das, was die Apotheken direkt auf Lager haben“, betont er.
Ausgelöst wurde dies durch den ersten Lockdown, der im März 2020 begonnen hat. „Damals hatten viele Apotheker Sorge, dass bestimmte Produkte nicht mehr lieferbar sein könnten. Dazu gab es Produktgruppen, von denen man sich erhoffte, sie könnten bei einer COVID-19-Erkrankung helfen. Infolgedessen haben sich sowohl Großhändler und Apotheken als auch Patienten bevorratet. Als Beispiel möchte ich hier die Analgetika nennen, die im März 2020 sehr stark eingekauft wurden – ich glaube, einige Apotheken haben noch immer etwas davon auf Lager“, berichtet Wellacher. Zudem habe der März-2020-Peak dazu geführt, dass sehr viele Lieferungen vom Großhandel übernommen wurden, vor allem im Bereich Direktlieferungen und dort speziell im OTC-Segment. „Dadurch konnte der Großhandel an Bedeutung gewinnen – ob das nachhaltig ist, bleibt abzuwarten“, so Wellacher.

Veränderte Standortbedeutung bei Apotheken

Eine weitere Auffälligkeit ist in seinen Augen die Umkehrung des Stadt-Land-Gefälles: „In ‚normalen Zeiten‘ – sprich, vor der Pandemie – haben Apotheken in der Stadt eher viel verkauft und auf dem Land eher wenig. Das hat sich durch die Homeoffice-Situation umgekehrt: Wir haben in Wien ein Minus von knapp 1% im Sell-out und in Niederösterreich ein Plus von 10%.“
Die Bedeutung der Standorte von Apotheken hat sich also deutlich verändert, nicht nur in Bezug auf Stadt oder Land. „Das Einkaufszentrum war früher das ‚Nonplusultra‘ als Apothekenstandort – in Pandemiezeiten mit Lockdowns ist es das nicht mehr. Dasselbe gilt für die Innenstadtlage oder Tourismusregionen. Daher sind die Gratistests ein Glück für die Apotheken, denn diese erwirtschaften durch die Refundierung, die sie für die Tests erhalten, derzeit rund 15% ihres OTC-Umsatzes“, erläutert Wellacher. Die Situation mit den Gratistests könnten die niedergelassenen Apotheken seiner Ansicht nach dazu nutzen, ihre Position gegenüber den Online-Apotheken zu stärken, indem sie Kunden durch das Angebot der Gratistests wieder vermehrt an sich binden.

Berg- und Talfahrten am OTC-Markt

Vitaminhaltige und andere immunstärkende Präparate konnten in Pandemiezeiten ein Plus von 24% verzeichnen. Auch im Bereich Hautpflege zeigten sich Zuwächse – in erster Linie bei den Handpflegeprodukten. Zwei weitere Produktgruppen, die zugelegt haben, sind Diätetika und Fieberthermometer. Letztere wurden speziell im Herbst 2020 vermehrt gekauft. Hingegen ist der Erkältungsmarkt massiv eingebrochen. „Hier kommt sicher noch etwas auf die Industrie zu. Es hat sich in den letzten Jahren so eingespielt, dass die Apotheken ihre abgelaufene Ware wieder zurückgeben und austauschen können. Husten- und Erkältungsmittel sind aber nur zwei Jahre haltbar. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass der Erkältungsmarkt auch langfristig nie wieder so werden wird wie vor der Pandemie. Denn die erprobten Vorsichtsmaßnahmen wie Maske tragen und Hände waschen werden in Zukunft zu weniger Erkältungsinfektionen führen“, meint Wellacher. Ebenfalls im OTC-Bereich zurückgegangen ist der Umsatz bei Sonnenschutzmitteln, Diarrhö- und Magenpräparaten.

 

 

Gewinner und Verlierer im Rx-Bereich

„Generell verzeichnen wir im Rx-Markt ein Plus von 5% nach Umsatz in den Sell-out-Daten bezüglich Hinausverkäufen aus den Apotheken und dem, was in die Hausapotheken geliefert wird (nicht Krankenhausbereich). Allerdings muss man bedenken, dass hier natürlich auch die Neueinführungen und die ganzen Parallelimporte, die speziell im hochpreisigen Segment auf den Markt gekommen sind, enthalten sind. Nach Packungen ergibt sich daher ein Minus von 2,3%“, erklärt Wellacher.
Besondere Einbußen verzeichnen die Antibiotika mit minus 30% nach Packungen und 22% nach Umsatz, Husten- und Erkältungsprodukte sind um die Hälfte gesunken. Auch Rhinologika, klassische Antirheumatika sowie Kontrazeptiva sind zurückgegangen. Zugelegt haben dagegen Antidiabetika, Anti-Psoriasis-Präparate sowie die bereits erwähnten Parallelimporte. Letztere haben Wachstumsraten um plus 30% verzeichnet. Der Zuwachs bei den ­Antidiabetika und Anti-Psoriasis-Präparaten ist allerdings vermutlich kein Effekt von COVID-19, sondern wurde durch erfolgreiche Neueinführungen ausgelöst. Auch bei den FSME- und Influenza-Impfstoffen gab es einen Anstieg.

Die Auswirkungen bei den ­Endverbrauchern

Im Hinblick auf die Patienten ist Wellacher überzeugt, dass seit dem ersten Lockdown deutlich mehr Menschen ihre Hausapotheke, den „Vorratsschrank für Medikamente“, regelmäßig bestücken. „Zudem hat sich ­gezeigt, dass die Menschen während der Pandemie sehr auf ‚Hoffnungstherapien‘ angesprungen sind. Sobald es eine Nachricht gab, dass dieses oder jenes Präparat vor ­COVID-19 schützen bzw. bei einer Erkrankung hilfreich sein soll, wurde dieses sehr stark gekauft. Dabei hat sich gezeigt, dass es für die Endverbraucher schwierig war, zwischen fundierten Informationen und Fake News zu unterscheiden. Das heißt, es wurden auch Präparate vermehrt gekauft, deren Effekt auf eine COVID-19-Infektion nicht wissenschaftlich belegt war“, berichtet ­Wellacher.

 

 

* Das Interview mit Mag. Hannes Wellacher wurde im März 2021 geführt.