Allgemeinmedizin: Schlechte Noten für Corona-Versorgung

Die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen geht weiter. Gesundheitsminister Rauch sieht Schulschließungen nun problematisch. Eine aktuelle Umfrage zeigt die Schwachpunkte der Corona-Versorgung auf und zieht Lehren für kommende Pandemien.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sieht rückblickend betrachtet vor allem Schulschließungen und die Maßnahmen in Pensionisten- und Pflegeheimen während der Coronapandemie als problematisch. Das hat er nun im ORF-Radio Ö1 betont. So wie zuletzt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hielt auch Rauch fest, dass „unzweifelhaft“ Fehler gemacht worden seien, aber man immer entlang des damaligen Wissensstands agiert habe. Einige Punkte würde man künftig wohl anders machen, meinte er.

Kritisch sieht er etwa die Schließung der Schulen. „Die halte ich rückblickend mit dem Wissen von heute für schwierig, um nicht zu sagen, das war ein Fehler“, sagte Rauch. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien würden diese Zeit nur schwer aufholen können. Auch die „vollständige Abschottung“ von alten Menschen in Pflegeheimen werde man in Zukunft wohl nicht mehr so durchführen, befand er. Damals sei die Einschätzung bezüglich der Maßnahmen jedoch so gewesen. Auch wisse man jetzt, dass man sehr präzise kommunizieren müsse.

Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) nannte in der „ZIB-2“ als größtes Problem den Beginn der Pandemie: Man sei ganz schlecht auf eine solche Situation vorbereitet gewesen, obwohl alle Expert:innen vor einer demnächst bevorstehenden großen Pandemie gewarnt hätten. Anschober hatte von der FPÖ ein entschlacktes Gesundheitsministerium übernommen, bei dem es etwa keine Generaldirektion für öffentliche Gesundheit mehr gab. Im weiteren Verlauf sei das Vorgehen dann immer problematischer geworden, als die Verparteipolitisierung begonnen habe und als erste die FPÖ aus dem davor herrschenden Konsens ausgeschert sei, sagte Anschober. „Das hat uns geschadet.“ Auch die Kooperation in der Regierung sei daraufhin schwieriger geworden.

Die Primärversorgung des österreichischen Gesundheitssystems war auf die Corona-Pandemie schlecht vorbereitet. Was viele in der Praxis erlebt haben, zeigt nun auch eine aktuelle Studie von Susanne Rabady von der Karl Landsteiner Universität in Krems, Mira Mayrhofer von der MedUni Wien und deren Co-Autor:innen, die kürzlich in „BMC Health Services Research“ publiziert worden ist. In 30 strukturierten Interviews schilderten Allgemeinmediziner:innen (alle Bundesländer außer Salzburg) ihre Erlebnisse aus der Pandemie. In elf Fällen handelte es sich um Hausärzt:innen in Einzelordinationen, in ebenfalls elf Fällen um Gruppenpraxen, acht Interviews fanden mit Ärzt:innen in Primärversorgungseinheiten (PVE) statt.

Trotz unterschiedlicher Arbeitssettings, waren die Erfahrungen teils sehr ähnlich: Am Anfang der Pandemie herrschte große Unsicherheit unter den Allgemeinmediziner:innen, wie die Studie zeigt. Es gab Unsicherheiten bezüglich der Schutzkleidung (Masken etc.), Probleme mit Desinfektionsmitteln und Ähnlichem. Hinzu kamen laut den Allgemeinmediziner:innen massive Kommunikationsprobleme: „Die ersten Wochen der Pandemie wurden von allen Studienteilnehmer:innen als speziell schwierig in Sachen der Information und Orientierungshilfen erlebt (…). Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens wurden als große Herausforderung gesehen“, heißt es von den Studienautor:innen. Ein Zitat aus der Studie zeigt das Ausmaß der Probleme: „In den ersten vier bis sechs Wochen hörten wir von niemanden etwas. Wir hatten, was wir hatten.“
Erster Kontaktpunkt war für die meisten Teilnehmer:innen in dieser Zeit die Ärztekammer oder die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), die Kommunikation funktionierte laut Allgemeinmediziner:innen mal besser und mal schlechter. „Die ÖGK (…) hatte und hat ‚abgedreht‘, was die Pandemie betrifft. Keine Orientierungshilfen, keine Instruktionen, Nichts. Nichts in zwei Jahren“, wird eine teilnehmende Person zitiert. Die Studienautor:innen kritisieren in diesem Zusammenhang, dass es „keine Kommunikationsstruktur, die es erlaubt, alle Allgemeinmedizin-Ordinationen direkt und gleichzeitig zu kontaktieren“ gibt. Denn die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) müsse dazu neun verschiedene Kommunikationsnetzwerke in neun Bundesländern benützen – „Das Gesundheitsministerium hat keinen direkten Zugang zu den Ärzt:innen.“

Ebenfalls kritisch sehen die Autor:innen, dass es in Österreich „keine spezifischen Unterstützungsstrukturen“ sowie „keine strukturierte Gliederung der (medizinischen; Anm.) Versorgung“ und „keine Definition der Rolle der Allgemeinmediziner im Rahmen einer Pandemie“ gibt. Sie fordern daher für die Zukunft infrastrukturellen Support, Kommunikation und Informationen zu sichern.

Die Umfrageergebnisse zeigen weiters, dass sich die Zahl der Patient:innenkontakte in den ersten Wochen und Monaten stark reduzierte. Die meisten Ordinationen setzten ganz oder zumindest teilweise auf Terminvergaben, versuchten durch eine Vorselektion potenziell infektiöse Patient:innen von den übrigen zu trennen. An die Terminvergaben seien manche Patient:innen einfach nicht gewöhnt gewesen, auf der anderen Seite hätte man auch eine administrative Mehrbelastungen erlebt, heißt es in der Arbeit. Manche Ärzt:innen hätten mehr Mobiltelefone für das Ordinationspersonal und Laptops gekauft. Auch teilweise Home-Office des Personals gab es, um das Infektionsrisiko möglichst klein zu halten. Die Studienautor:innen resümieren: „Die Allgemeinmediziner:innen haben im Management der Pandemie essenzielle Aufgaben übernommen und ein hohes Maß an Verständnis ihrer Rolle gezeigt. Das wurde hauptsächlich auf informeller Ebene und mit einem hohen persönlichen Einsatz erreicht.“ (kagr/APA)